Kapitel vom 11.05.1892: Über das Sakrament der Buße (Teil 2)
Sprechen wir heute noch einmal von der besten Art und Weise, das hl. Bußsakrament zu spenden. Unser hl. Gründer fordert uns zur Liebe und Sanftmut gegenüber den armen Sündern auf, empfiehlt uns des Weiteren die Klugheit eines Arztes gegenüber den seelisch Kranken. Diese Klugheit erstreckt sich auf zwei Dinge: auf zu stellende Fragen und auf eventuelle Ratschläge. Nur mit größter Umsicht schuldlos nicht gewusstes Gebot nicht verpflichtet. Ist ein Beichtender im guten Glauben, recht zu handeln, ist außerdem mit moralischer Sicherheit zu erwarten, dass er nach Aufklärung seiner Unwissenheit das Gebot nicht befolgt, er vielmehr nicht mehr zu den Sakramenten geht, so steht man einer delikaten Frage gegenüber, die Gebet und Klugheit erfordert. In dem Falle also, wo man nicht zum Fragen verpflichtet ist, und auch nicht positiv zu einem klärenden Wort aufgefordert wird, sollte man das Fragen unterlasse oder aber sich auf allgemeine Fragen beschränken.
Ich weiß sehr wohl, dass Rom in der letzten Zeit um eine Entscheidung angegangen wurde, ob gewisse Fragen zu stellen oder zu vermeiden seien, und dass Rom im positiven Sinne geantwortet hat. Rom hat geantwortet, wie es antworten musste. Diese Antwort widerspricht aber in keiner Weise dem theologischen Grundsatz der Klugheit und Vorsicht, den ich oben angeführt habe. Eine Anzahl junger Geistlicher stützt sich nun auf diese Antwort und glaubt, man müsse bei jeder Gelegenheit und ohne Rücksicht auf den guten Glauben und die Folgen einer unzeitigen Aufklärung Fragen stellen.
Man stellt Rom vor die Entscheidung: „Sind Fragen zu stellen?“ und Rom antwortet mit „Ja“. Ganz natürlich: Würde ein Beichtvater als seine gewöhnliche Verhaltensweise dem Grundsatz folgen, niemals über gewisse Gegenstände Fragen zu stellen, selbst dann, wenn Beichtende um eine Auskunft bitten, oder wenn der Beichtvater weiß oder vermutet, dass hier ein Fehler vorliegt, mit dessen Abstellung er rechnen könne, so hätte dieser Beichtvater auch schon vor der Entscheidung Roms falsch gehandelt. Hätte man Rom gefragt, ob man den Dieb verpflichten müsse, das gestohlene Gut zurückzuerstatten, so hätte Rom ebenfalls mit Ja geantwortet. Oder hätte man Rom vor die Frage gestellt, was zu tun sei, wenn jemand sich in der nächsten Gelegenheit zur Sünde befindet, so hätte Roms Antwort auch hier gelautet: der Gelegenheit müsse aus dem Wege gegangen werden. Die Antwort wird also gegeben für solche unklugen Beichtväter, die grundsätzlich niemals Fragen stellen wollen über gewisse Punkte. Fragen sind zu stellen, wann und wie dies nötig ist, und Fragen zu unterlassen, wenn man nicht Fragen stellen muss. Die Grundsätze der Kirche haben sich also nicht geändert. Kardinal Gousset, den ich öfters besuchte, wenigstens einmal im Jahr, und mit dem ich mich gern über theologische Fragen unterhielt, vertrat voll und ganz diesen Standpunkt und beteuerte mir dies öfters. Eines Tages sagte er mir sogar: „Was ich Ihnen da vortrage, sage ich nicht nur als Theologe, sondern als Kardinal der hl. Kirche. Es ist der Standpunkt des Papstes und der Kirche.“
Besteht Grund zur Annahme, der Beichtende befinde sich im guten Glauben, richtig zu handeln, und dieser gute Glaube bewahre ihn wenigstens vor einer schweren Sünde, hat man also Grund zu fürchten, eine gezielte Frage würde ihn zu einer formellen und schweren Sünde verführen, so fragt ihn lieber nicht oder beschränkt euch auf allgemeine Fragen.
Natürlich müssen wir zum Gesetz und Gebot stehen. Will ein Beichtkind eine Auskunft über eine Verpflichtung, ein Gesetz, dann könnt ihr nicht antworten, dieses Gesetz existiere nicht. Fragt es euch aber nicht, weil es die Existenz oder die Schwere dieser Verpflichtung nicht kennt, warum denn auf seine Schultern eine Last wälzen, die es nicht tragen kann? Ein zweifelhaftes Gesetz verpflichtet nicht, wie viel mehr ein nicht gewusstes Gebot. Lasst also mit Fragen größte Umsicht walten, besonders im Sechsten Gebot. Anderenfalls würdet ihr eure Beichtkinder in einen Zustand der formellen Todsünde und vielleicht der Revolte gegen die Sakramente und die Lehre der Kirche stürzen, statt sie zu Gott zu führen. Habt Geduld, Gott übt ja auch so viel Geduld. Wenn wir uns bemühen, sie allmählich zu einem ernsten Christenleben zu führen, indem wir klug und Schritt für Schritt vorangehen mit ihnen und viel beten, so werden wir sanfter und sicherer ans Ziel gelangen. Dann wird Gott selbst die nötige Aufklärung durch seine Erleuchtungen übernehmen und wird zu gleicher Zeit die nötige Kraft dazutun, ihnen zu folgen. Indem ihr mit kluger Vorsicht den Augenblick der Vorsehung abwartet, werdet ihr selbst auf der Hut sein, und wenn die Liebe Gottes im Herzen des Beichtenden kräftige Wurzeln geschlagen hat, werdet ihr den entscheidenden Augenblick erkennen, wann eine Aufklärung am Platz ist.
Und selbst wenn wirklich Fragen zu stellen sind, heißt es mit Umsicht zu Werke gehen, besonders auf dem Gebiet des Sechsten Gebotes und dem der Gerechtigkeit. Das ist wirklich keine leichte Materie, sondern wirft mitunter heikle Probleme auf. Ein Vater hat seine Tochter kommen zur Beichte. Ihr sagt nun zu ihnen wie es der gute Pfarrer von A. getan hat: „Ihr Vater darf dieses Geld nicht behalten, und Sie dürfen davon nicht profitieren.“ – „Das ist aber eine sehr heikle Angelegenheit“, wurde ihm geantwortet. „Wem soll denn das Geld zurück erstattet werden? Es ist ja auf krumme Art erworben worden. Gebe ich es zurück, dann kommt es einem Menschen zugute, der ‚schlechte Häuser‘ unterhält, und damit sein dunkles Gewerbe zum Florieren bringen wird. Dann stiftet er noch mehr Unheil an als vorher. Zurzeit lebt er in beschränkten Verhältnissen und kann kein großes Ärgernis geben.“ Der gute Pfarrer denkt scharf nach und sagt: „In diesem Fall müssen Sie das Geld für gute Zwecke verwenden.“ – „Für welche guten Werke?“ – „Ich will Sie Ihnen nennen.“ – „Was wollen Sie damit sagen?“ – „Dass Sie das Geld mir geben müssen.“ – „Danke für diesen Rat, Herr Pfarrer! Hier hört aber Ihre Autorität auf. Das tu ich nicht.“ Und der Pfarrer exkommunizierte sein Beichtkind. Das hat sie freilich nicht gehindert, in einen strengen Orden als Schwester einzutreten. Ihr Geld wollte sie aber dem Pfarrer nicht aushändigen, dass er damit mache, was ihm beliebe – und damit hatte sie sicher recht. Hier will ich nicht untersuchen, welchen Gebrauch das Beichtkind mit dem Geld zu machen hatte und ob die Schwester das auf unrechte Weise erworbene Geld dem Eigentümer trotz seines schlechten und unmoralischen Gewerbes zurückerstatten musste. Diese heiklen Fragen hat der gute Pfarrer etwas allzu leicht entscheiden. Im Allgemeinen ist auf unrechte Weise erworbenes Gut sicher zurückzugeben, wann immer dies möglich ist. Oft dürfte es das Einfachste sein, es als Almosen zu verwenden. Aber ist es zartfühlend, dem Beichtenden zu sagen: Geben Sie das Geld mir? Auf unrechte Weise erworbenes Gut der Eltern kann für die Kinder zu einem schwierigen Problem werden. In solch einem Fall heißt es guten Rat einholen, sich notfalls an den Bischof oder an den Papst wenden, vorausgesetzt, der Bischof hat nicht ein etwas weites Gewissen und ist nicht schnell mit der Antwort da: Gebt das Geld ruhig mir! Sich an Rom wenden, wäre in jedem Falle sicherer, weil man dann alle Sicherheit hätte, dass die Antwort der strikten Gerechtigkeit entspricht. Die Macht des Papstes erstreckt sich in gewissem Sinne ja auch auf den weltlichen Bereich. Wir Oblaten sagen jedenfalls niemals: Geben Sie das Geld mir! Theologisch gesprochen hat der Bischof in Fragen dieser Art nicht mehr Autorität als der Beichtvater. Der Papst allein ist berechtigt, Eigentum auf andere zu übertragen, unsichere Rechtstitel zu festigen, den wirklichen Besitzer zu bestimmen, und sein Urteilsspruch muss zu seiner vollen Auswirkung kommen. Selbstverständlich darf man sich nicht Kleinigkeiten an Rom wenden, sondern nur in einer bedeutenden Materie.
In euren Ratschlägen an Beichtende achtet stets die rechtmäßige Autorität und lasst sie von anderen hochachten. Der Bischof muss der Herr in seiner Diözese bleiben, der Pfarrer in seiner Pfarrei, der Familienvater und Gatte in seinem Haus. Jederzeit müssen wir zum Gehorsam und zur Ehrfurcht anhalten gegenüber der Obrigkeit. Nie dürfen wir im Beichtstuhl dem Geist der Unbotmäßigkeit Raum und Recht geben, einen Pfarrer gegen seinen Bischof, eine Frau gegen ihren Mann, Kinder gegen Väter und Mütter anstacheln. Infolgedessen heißt es sich wohl hüten, sich selbst an Stelle der rechtmäßigen Autorität zu setzen und sich über die Frau die Autorität des Mannes, über die Kinder die der Eltern anmaßen. In allem gilt es, mit großer Klugheit vorzugehen, sodass man von uns nie sagen kann: Dieser Beichtvater gab diesen oder jenen Rat, der gegen das Ansehen der Vorgesetzten verstößt. Immer müssen wir selbst die Ordnung in der Liebe und im Gehorsam wahren und sie auch von anderen wahren lassen.
Ich erinnere mich da eines Pfarrers der Diözese Sens, der stocktaub war und der mit seinem Bischof ewig verkracht war. Er war geistreich und hatte Fähigkeiten und meinte ständig, dass der Bischof seine Pfarrer nicht richtig einsetze. Der Bischof war wütend und zog ihn zur Rechenschaft, doch der Pfarrer arbeitete weiter gegen seinen Oberhirten, bis er schließlich selbst Gewissensbisse bekam und sehr verdrossen war, weil kein Pfarrer seiner Umgebung ihm die Lossprechung erteilen wollte. Darum erschien er eines Tages im Priesterseminar in Troyes, wo niemand von seinem Kommen erbaut war. Man hörte ihn von einem Ende des Seminars zum anderen unaufhörlich lamentieren: „Ich möchte die Absolution bekommen. So tut mir doch den Gefallen! Gebt sie mir halt! Denn hier herrschen doch nicht die gleichen Verhältnisse wie bei uns.“ Und weiter erscholl seine Kritik: „Hört nur, was sich unser Bischof alles leistet: er tut dies und das…“ Dann brach er wieder in ein schallendes Gelächter aus… Selbstverständlich dürfte ein Beichtvater diesen braven Pfarrer in seinem Kampf gegen seinen Bischof nicht auch noch unterstützen.
Oder nehmt eine verheiratete Frau, die einen gottlosen Mann hat. Da müssen wir uns genau an das Vorgehen unseres hl. Stifters halten. Die Frau soll ihren Ehepartner von der guten Seite sehen, denn etwas Gutes lässt sich immer entdecken, Ehrlichkeit, Großmut oder sonst etwas. Irgendeine gute Seite hat also auch dieser. So redet ihr zu, Geduld zu üben und ihm nicht gelegen oder ungelegen mit Anklagen oder frommen Ermahnungen zu kommen.
Oder ihr habt es mit einer Tochter zu tun, die mit ihrer Mutter nicht auskommt. Die Mutter stellt zu hohe Anforderungen. Da möge sich die Tochter halt in Gehorsam unterwerfen, solange kein Gebot Gottes verletzt wird. Sie soll ihren Charakter anpassen, ihre Launen meistern. Auf diese Weise wird sie sich heiligen. Gott lässt diese Prüfung zu und sie wird Nutzen daraus ziehen. In Predigt und Seelenführung müssen wir in diesem Sinne vorgehen. Dasselbe gilt für die Beziehungen zwischen Geschwistern und anderen Familienmitgliedern. Auch in den Ordensgemeinschaften sollten wir die Mitbrüder – Priester oder nicht – zu diesen wesentlichen Grundsätzen der Ehrfurcht und des Gehorsams gegenüber der Autorität anhalten. Alles, was wir dagegen tun, sagen oder anraten, verdient Abscheu. Haltet euch jederzeit auf der Seite der Klugheit und Sanftmut! Zerbrecht euch den Kopf, wie ihr jedermann auf den rechten Weg zurückführt, auf den des Gehorsams. Das ist entscheidend. Gebt nie dem Vorgesetzten unrecht. Bemüht euch, sein Verhalten verständlich zu machen und zu rechtfertigen. Verpflichtet wenigstens zu liebevollem Schweigen und zur Ehrfurcht! Der Obere ist nun einmal der Stellvertreter Gottes und dieser Gedanke sollte alle anderen übertönen. Findet sich in seinem Tun und Lassen wirklich etwas Tadelnswertes, so sucht zu mildern und zu beruhigen und leitet dazu an, es mit Stärke und Liebe zu ertragen. Begegnet ihr einem Ordensmann oder einer Ordensfrau, die außerhalb des Gehorsams steht, die ihre Gelübde nicht beobachtet, so handelt nicht wie gewisse Pfarrer, die ihnen gar nicht schnell genug die Lossprechung erteilen können und ihnen reichliche Kommunionen spenden. Wem gehört denn eine Ordensperson, die sich mit dem Gehorsamsgelübde überworfen hat? Jedenfalls nicht euch! Ihr könnt ihr nicht die Sakramente spenden. Für sie ist allein der Bischof zuständig. Solche Beichtkinder unterstehen nicht eurer Autorität. Darum holt in solchen Fällen Rat ein, gießt Öl auf die Wogen, denn alles, was ihr da unternehmt, muss in Richtung auf die Rettung und die Liebe hinzielen.
Auch ein Pfarrer genießt in seiner Pfarrei eine wirkliche Autorität, die es zu respektieren gilt und zu deren Beachtung wir anhalten müssen. Ein Kaplan oder fremder Geistlicher hat in der Pfarrei nicht diese pfarrherrliche Autorität und darf die Seelen nicht in Revolte gegen diese Gewalt, im Mangel an gebührender Ehrfurcht unterhalten. Wir müssen die Gebote der Wohlanständigkeit und Schicklichkeit wahren. Beachtet auch genau die Stellung und Qualität eurer Beichtkinder und ihre verschiedenen Sonderpflichten. Da kommt z.B. eine Barmherzige Schwester zu euch in den Beichtstuhl und sagt: „Ich habe soeben von einem Familienmitglied eine bestimmte Summe Geldes geerbt. Da wir kein Armutsgelübde ablegen, kann ich darüber verfügen. Ich möchte es darum Ihnen geben.“ – „Nun, das ist ja sehr schön“, werde ich darauf sagen. „Doch holen Sie erst die Erlaubnis Ihrer Vorgesetzten mir leid, aber ihre Erlaubnis brauchen Sie doch. Gewiss haben Sie kein Armutsgelübde abgelegt, dafür aber das des Gehorsams, und diese Handlung fällt darunter.“ Bedenkt also, dass man nie zwei Grundsätze verletzen darf: den der Gerechtigkeit und den der Klugheit. Maßt euch also nie über eure Beichtkinder eine Autorität an, die von Gehorsam und der Unterwerfung unter die rechtmäßige Obrigkeit ablenken könnte, wer diese auch sein mag.
In den Klöstern der Heimsuchung heißt es doppelt Rücksicht nehmen auf diesen Grundsatz, der sich im Übrigen mit dem der Theologen und Kirchenväter, ja aller Christen deckt. Ein Beichtvater hat in einem Heimsuchungskloster eine ganz wichtige Aufgabe zu erfüllen. Ihm obliegt die Verwaltung der ungeheuren Gnaden der Beichte und Kommunion. Darum bestätigte Rom in seinen jüngsten Dekreten erneut die Rechte der Beichtväter in den Orden und unterband gewisse Missbräuche, die sich in manchen Kongregationen eingeschlichen hatten, freilich nicht bei der Heimsuchung, soviel ich weiß. Der Beichtvater hat über Beichte und Kommunion zu bestimmen, und zwar er allein. Aber selbst da heißt es Rücksicht nehmen auf die Regeln und Satzungen. Wenn diese vorschreiben, die Schwestern dürfen dreimal wöchentlich kommunizieren hat der Beichtvater das zu beachten und darf nur aus ernsten Gründen davon dispensieren. Auch sollte er diesem Akt der Kommunion nicht den Segen und die Gnaden des Gehorsams entziehen. Die Heimsuchungsschwestern mögen darum ihre Oberinnen um Erlaubnis bitten für die Kommunionen, für die sie die Erlaubnis des Beichtvaters bereits haben, damit der Segen des Gehorsams einem so wichtigen Akt nicht fehle. Ich möchte nicht, dass ihr anders handelt und euch an die Stelle der Autorität der Oberin setzt, dass ihr nach eigenem Befinden mit der Ordensregel verfahren, die Franz v. Sales verfasst und Rom approbiert hat. Bittet eine Schwester euch um eine zusätzliche Kommunion über den Gebrauch und die Regel hinaus, dann sagt zu ihr: „Gern, wenn Sie sich mit Ihrer Oberin darüber verständigen.“ Anderenfalls würde der Beichtvater die Ordensregel abändern und sich so die Rolle des Papstes anmaßen.
Um einer Ordensgemeinde mehr Kommunionen zu gewähren als die Regel vorsieht, wird sich ein kluger Beichtvater stets mit der Oberin verständigen. Er hat Ehrfurcht vor der Ordensregel, richtet sich soweit wie möglich nach ihr und schickt nicht aus Laune oder Unüberlegtheit eine Schwester täglich zum Tisch des Herrn, und vor allem nicht, wenn diese Schwester einen traurigen Lebenswandel führt, während die übrigen sich schön an die Regel halten. Genauso wie ein kluger Beichtvater einer verheirateten Frau nicht ohne gründliche Überlegung und Vorsicht den Rat gibt: Gehen Sie jeden Tag zur hl. Messe, verrichten Sie diese Frömmigkeitsübung, empfangen Sie soundso oft die hl. Kommunion, tun Sie jenes Bußwerk, unterlassen Sie Ihren Spaziergang, empfangen Sie nicht diese Person zu Besuch etc. Ein Beichtvater hat sich nicht in Einzelheiten des Familienlebens einzumischen. Die Dekrete der hl. Kongregation werden mitunter reichlich falsch ausgelegt in Bezug auf Kommunionempfang oder klösterliche Rechenschaft. Die Gute Mutter Maria Salesia hat zeitlebens nichts getan, was dem Geist oder dem Buchstaben dieser Dekrete widersprochen hätte, obwohl sie damals noch gar nicht existierten. Nie kam es vor, dass sie eine Schwester an der Kommunion hinderte, außer es war ein schwerer und öffentlicher Vorstoß vorgekommen. Wenn es möglich war, bat sie jedes Mal den Beichtvater um seine Meinung. Und ich gab nie einer Schwester eine außerordentliche Erlaubnis zur Kommunion, ohne dass ich sie diesen Akt der Frömmigkeit dem Gehorsam unterwerfen ließ. Jedes Mal, wenn die Gute Mutter wünschte, die Schwestern sollten eine zusätzliche Kommunion empfangen, bat sie mich um Erlaubnis. Dieses gute gegenseitige Einvernehmen ist notwendig, wenn man etwas erreichen will.
Nun haltet daneben jene unklugen Beichtväter, die von einer irrigen Interpretationen des Dekretes profitieren, um das Feldgeschrei zu erheben: Wir sind jetzt die Herren. Die Oberinnen haben nichts mehr zu sagen. Und diese ambulanten Glaubensstreiter zogen in den Kampf und zerstörten Autoritäten und Gehorsam. Kann der liebe Gott so etwas segnen? Welche Unordnungen brachten sie über gewisse Kommunitäten!
Mit den Sakramenten ist eine allgemeine Gnade verbunden, die Ordensleuten wie Gläubigen in gleicher Weise zugutekommen. Darüber hinaus steht aber für Ordensleute allein eine Gnade bereit, der die Theologen und Kirchenväter den Namen „Gemeinschaftsgnade, Gnade des Ordensstandes“ gaben, eine intimere und umfassendere Gnade also, die den Ordensleuten beim Sakramentenempfang zuteilwird aufgrund der innigen Beziehungen, die das Ordensleben zwischen den Religiosen und unserem Herrn knüpft. Ist aber der Beichtvater der Kanal, diese Sondergnade zu vermitteln? Durchaus nicht, dafür fehlt ihm die Standesgnade. Es sei denn, er durchdringt sich tief mit dem Geist der Ordensregel und der Ordensgemeinschaft und arbeitet mit der Oberin aufs engste zusammen. Sobald er den tieferen Sinn des Ordenslebens zu ergründen sich bemüht, kann er der Kommunität helfen, dieser Gemeinschaftsgnade, dieses „Commun“, wie Franz v. Sales es nennt, teilhaftig zu werden. Mit dieser Gnade ist also nicht der Beichtvater an sich betraut. Ihm steht nur die Gnade des Sakramentes zu. Über die andere, intimere Gnade verfügt er lediglich im Maße seines Aufgehens in der Ordensgemeinde und seines Eingehens auf die Intention der Oberin. Steht er aber nicht mit beiden Füßen in dieser Gemeinschaft des Denkens und Fühlens, dann geht ihm dieses Privileg ab. Versteht der Beichtvater seine Rolle in ihrem Ausmaß, so wird er zu einer äußerst wertvollen Stütze der Ordensfamilie. Er wird zum Engel Gottes, zum sichtbaren Gottesboten, weil er den Seelen auf dem Weg der Regeln und Satzungen zur Seite steht. Oft hat man den Beichtvätern der Heimsuchung den Vorwurf gemacht, sie seien nichts als Absolutionsmaschinen. So ging es auch mir, als man mich zur Heimsuchung von Troyes versetzte. Einer meiner Freunde, H. Lerouge, sagte mir da: „Sie sind eine Absolutionsmaschine.“ Das ärgerte mich. Wir gingen gerade hinter der Kaserne unweit der Straße Tour Boileau. Ich gab zurück: „Jawohl, ich bin eine Maschine, um die Gnaden des lieben Gottes zu vermitteln.“ Fromme Seelen, in Sonderheit die Ordensleute, brauchen dringend fromme, ernste und kluge Beichtväter, und sie ziehen Ordensleute als Beichtväter allen anderen vor, besonders wenn deren Ordensgeist mit dem ihrigen übereinstimmt. Dann verfügen diese Beichtväter über die nötige Weisheit, ihre Ordenspflichten und den Sinn ihrer Regeln besser zu erfassen. Seht nur, wie gern man bei Jesuiten oder Kapuzinern beichtet. Etwa deshalb, weil sie ihren Beichtkindern schmeicheln? Bestimmt nicht. Vielmehr sprechen sie ihnen Mut zu und werden ihnen zu einer echten Stütze, indem sie ganz in ihren Ordensgeist eindringen. Die Dominikanerinnern schätzen ihre eigenen Ordenspatres über alles. Sie haben denselben Geist, ihre Lebensweise gleicht den ihren, und daher dann die gleichen Gnaden. Vergessen wir also nicht die Grundsätze der Gerechtigkeit und der Klugheit in diesem so wichtigen Apostolat! Seien wir ganz Liebe im Beichtstuhl, denn die echte Liebe trügt nie. Das sei der Geist unserer Kongregation! Es war der Geist der hl. Franz v. Sales, des hl. Alfons, es ist auch der Geist der Kirche. Franz v. Sales war ein tüchtiger Theologe, er, den Pius IX. den „doctor infallibilis“, den unfehlbaren Lehrer nennt.
Eine letzte Empfehlung zum Abschluss dieses langen Kapitels: begünstigt und ermuntert in eurer Seelsorge die Ordensberufe! Don Bosco und die Gute Mutter versicherten mir, ein Drittel aller Menschen bekomme von Gott den Ordensberuf angeboten. Wie viele verlieren ihn ohne eigene Schuld, wie viele verlieren mit ihm aber auch die Ruhe und Sicherheit ihres Gewissens! Wie vielen fehlten die Ermunterungen der anderen! Seht nur, wie die Heiligen Ordensberufe zu erwecken verstanden: ein hl. Bernhard, ein Franz v. Sales, ein hl. Alfons. Wir sind zwar keine Heiligen, sollen ihnen aber nachfolgen und heute ihre Stelle vertreten.
D.s.b.
