Kapitel vom 18.05.1892: Über das Sakrament der Buße (Teil 3)
Unser hl. Stifter empfiehlt den Beichtvätern, aufmerksam den Seelenzustand ihrer Beichtkinder zu studieren, um die dann entsprechend behandeln zu können. Darauf bestehen die Theologen vielleicht allzu wenig. Wir sollen uns wirklich auf das Niveau unseres Beichtkindes hinab begeben, seine seelische Verfassung studieren, die Möglichkeiten, die er bietet, seine Aufnahmefähigkeit und seine Kräfte, den Grad seiner Unwissenheit wie seines guten Willens zu erkennen suchen und, soweit es ratsam ist, ihn aufklären. Die Sakramente sind für die Menschen da. Wir dürfen das Beichtkind nie seiner Sünden überlassen, sobald wir wissen, dass es nicht im Unwissenheit und in gutem Glauben sündigt. Dass es sich von der Sünde trennt, dazu müssen wir es ständig mahnen und ihm die nötigen Mittel an die Hand geben, müssen ihm echtes Mitgefühl in seinem Zustand entgegenbringen und zu erkennen suchen, ob es gesundheitlich, geistig oder charakterlich krank ist. Ein kluger Arzt verordnet für schwächliche Patienten keine Rosskur. Dazu möge der Beichtvater Gott um das nötige Licht bitten und langsam Schritt für Schritt vorangehen. Er muss sehen, wie weit er gehen kann und wann er haltmachen muss. Das setzt eine gewisse Erfahrung voraus, die Anfänger noch nicht haben können. Das Sprichwort sagt: Der Arzt soll jung, der Beichtvater alt sein. Im Beichtstuhl wie in der Seelenführung kann man also nicht ohne Klugheit vorgehen. Für die Seelen muss man sich interessieren, darf das Apostolat des Beichtstuhles nicht als eine leidige Plage betrachten, die es möglichst schnell abzuschütteln gilt. Wir sollen mit Liebe beichthören. Geht auf eure Beichtkinder ein, dass ihr ihnen wirklich helft, von ihren Sünden loszukommen. Gebt ihnen väterliche Ratschläge und unterstützt sie liebevoll auf jede Weise. Bei euch sollen sie ja die nötige Stütze finden, sich aus dem Schlamm der Sünde herausarbeiten, die helfende Hand finden, die ihnen nicht Gewalt antut und ihnen nicht die Arme ausreißt. Betet darum viel um das nötige Licht von Oben, um Klugheit. Eure Klugheit soll sich auf Gott stützen, der aber zunächst auf eure eigene Liebe zum Beichtkind wartet. Eure Liebe soll nicht auf menschliche Beweggründe zurückgehen, sondern sich in den Schranken einer ganz geistlichen und übernatürlichen Liebe halten. Eine rein natürliche Zuneigung zum jungen Beichtkind, die den Beichtvater dazu bringt, seine Unterhaltung zu suchen, sich darin zu gefallen und daran zu ergötzen, wäre von großem Übel. Das Band der Liebe, das beide umschlingen soll, muss ganz in Gott gründen und für Gott bestehen. Darüber können wir uns leicht Klarheit verschaffen, indem wir unsere Gefühle zu diesem oder dieser Beichtenden einer Prüfung unterziehen und unsere Absichten zu ergründen suchen. So werden wir schnell unterscheiden können, ob wir aus Liebe zu Gott oder zu uns selbst arbeiten, ob wir uns selbst zu gefallen suchen, ob die Eigenliebe und Sinnlichkeit ihren Anteil an unserem Tun hat. Das wäre der Ruin der Seelen. Handelt der Beichtvater dagegen aufgrund eifriger und inniger Gebete, zeigt er sich interessiert am Seelenheil seiner Beichtkinder, liebt er sie in der einzigen Absicht, sie zu Gott zu führen, dann wird er auch Erfolg nie versagt bleiben. Fasst dabei also unverwandt Gott ins Auge und bringt den Seelen nur aus Liebe zu Gott Liebe entgegen. Hütet euch wohl, euch selbst und eure kleine natürliche Befriedigung zu suchen. Damit würdet ihr alles verderben. Eure Liebe zu den Seelen muss ernst und reell sein, sie muss sich erweisen in Gebet, wirklicher Hilfe und erprobten Ratschlägen. Welch ein Glück, einen guten Beichtvater gefunden zu haben! Ein irdisches Glück, das uns aber eine glückliche Ewigkeit garantiert. Sich selbst in der Leitung anderer Seelen, wie verwerflich! Man richtet sich dabei selbst ebenso wie die anderen zugrunde. Nun stellt diesem traurigen Schauspiel das der klugen Liebe entgegen: Das eine Mal nimmt man den Seelen das Gefühl für Gott, riskiert, ihnen sogar den Glauben zu rauben, fügt ihnen ein mitunter ein nicht wieder gutzumachendes Übel zu, das andere Mal, betet und opfert man für die Sünder, und unser Mühen wird unfehlbar von Erfolg begleitet werden. Das Apostolat des Priesters im Beichtstuhl ist gleichsam allmächtig.
Stehen die Beichtenden freilich Schlange vor unserem Beichtstuhl, so können wir nicht viel für sie beten und uns nicht um jeden einzelnen bemühen. Mitunter wird man auch von der Müdigkeit übermannt. In diesem Fall halten wir uns mit Gott vereinigt und bitten ihn, das zu ersetzen, was wir nicht geben können. Die Gute Mutter pflegte zu sagen: Wenn wir für Gott arbeiten und nicht mehr arbeiten können, übernimmt glücklicherweise Gott selbst die Fortsetzung… Halten wir uns an die Wahrheit und schöpfen wir Mut aus ihr. Gehen wir nicht in den Beichtstuhl, nur um möglichst schnell wieder von den Beichtkindern befreit zu sein. Sagen wir auch nicht: Ich kann nicht mehr tun, sondern: der Herr ist mit mir. Er ersetzt, was ich nicht tun kann. Mein bisschen seelsorgerlichen Mühen endet mit meinen Kräften, das weitere übernimmt der Herrgott… Ist der Beichtvater „voll der Gnade“, dann teilt er davon auch an seine Beichtkinder aus. Das müssen wir unseren (Priester-)Novizen sagen und unseren jungen Patres begreiflich machen, damit sie es nicht vergessen. Die so verstandene Beichte ist vielleicht der wichtigste Akt unserer Seelsorge und der wirksamste in der Kirche. Das sagen alle Prediger: Nicht einmal die Engel und die Mutter Gottes können Sünden nachlassen. Welch ein Übel und welch eine Gefahr liegt darin, dieses erhabene und furchterregende Seelsorgeamt nicht in seinem Wert zu erkennen und zu schätzen, es nur gewohnheitsmäßig auszuüben, sich nicht durch eifriges Gebet darauf vorzubereiten!
Über die rechte Art, Beichte zu hören, ließe sich noch vieles sagen. Man kann Männer nicht auf die gleiche Weise beichthören wie Frauen, nicht Jungen und junge Männer wie Mädchen. Mit der Beichte ist es eben wie mit der Predigt. Eine ganz praktische Predigt passt nicht für alle gleichermaßen, nicht alle würden sie in gleicher Weise aufnehmen. Um Männer beichtzuhören, bedarf es eines gewissen Freimuts und Offenheit. Man hört die Sünden an, die sie bekennen. Vermutet man, dass sie andere verschweigen, so fragt man sie mit Diskretion und Klugheit. Wissen sie nicht, dass etwas sündhaft ist, würde ihnen der Mut abgehen, sich diesem Gebot zu beugen, nachdem man sie aufgeklärt hat, würden sie den Sakramenten fernbleiben, dann heißt es mit größter Zurückhaltung vorgehen und die Leute lieber in ihrem guten Glauben lassen als sie zur Auflehnung zu treiben. Wählt bei euren Ratschlägen und Zusprüchen solche Gedanken aus, die sie verstehen und die für sie passen. Männer sind im Allgemeinen nicht sonderlich beschlagen in geistlichen Dingen.
Ich begegnete früher öfters Herrn Reverchon, einem angesehenen Ingenieur und ehemaligen Schüler des Polytechnikums. Er legte bei mir sein Glaubensbekenntnis ab. Er schätzte einen gewissen Prediger, der bestimmt nicht zu den besten Kanzelrednern von Troyes gehörte. Aber er verstand es, die Dinge ganz einfach zu sagen. Herr Reverchon, ein guter Christ, wenn er auch sein Leben lang mit anderem beschäftigt war, verstand nicht viel von Spiritualität und religiösen Dingen. Ein zwölfjähriges Kind wusste genau so viel. „Hören Sie, was mein Beichtvater mir heute Morgen sagte“, erzählte er mir eines Tages, „ich hatte die Geduld verloren und gestand es ihm. Soso, Sie lassen sich also fortreißen. Dann sind Sie eben ein Dampfkessel, der den Umstehenden ins Gesicht spritzt.“ Der brave Mann war ganz entzückt von dem Vergleich, den er vortrefflich verstand, ebenso wie die üblen Folgen der Ungeduld. „Sehen Sie, Herr Pater, er verglich mich mit einem Dampfkessel. Wie recht er damit doch hat!“ Kann man also eine Wahrheit durch einen Vergleich illustrieren, der der Fassungskraft und der Mentalität des Gesprächspartners entspricht, so hat man viel gewonnen, mag der Vergleich auch nicht von großer theologischer Tiefe sein. Man ist überrascht und behält ihn. Ein kurzes, einfaches Wort, in das man sein Herz hineinlegt, genügt. Da sagt man manchmal, Männer hätten kein Herz und kein Gefühl. In Wirklichkeit sind sie manchmal empfindsamer als Frauen für das Interesse, das man ihnen entgegenbringt. Legt also etwas Herz in eure Worte, und ihr habt die Männer für euch gewonnen. Sagt ihnen etwas, was für sie passt, macht nicht viele Worte, dann richtet ihr sie wieder auf. Sie nehmen es mit und ziehen daraus ihren Nutzen. Haltet sie nur nicht lange im Beichtstuhl zurück.
Bei jungen Leuten braucht man keine Angst zu haben. Sie sind im Allgemeinen verständiger und offenherziger als Männer. Man muss sehen, ob sie für geistliche Dinge zu haben sind. Das fühlt man sehr schnell. Sie darf man auch ruhig aufklären, weil sie ihre Pflichten kennenlernen müssen, ob im Sechsten Gebot oder auf einem anderen Gebiet. Ihre Beichten sollen keine Lücken aufweisen. Wie sollen wir das bewerkstelligen? Indem wir etwa ihre Sünden zergliedern und darüber lange Erklärungen abgeben? Das wäre verlorene Zeit und könnte allerlei Unannehmlichkeiten nach sich ziehen. Bemüht euch, flüssig voranzugehen, um alles Notwendige zu erfahren, damit ihr selbst klar seht und auch von den anderen verstanden werdet. Fasst euch kurz und klar und gebt Acht, dass ihr keinen Anstoß erregt. Mäßigt euch mit Ratschlägen und verhängt keine langwährenden Bußen. Man muss wahrlich nicht alles, was man auf dem Herzen hat, auf einmal loswerden wollen. Das nächste Mal kann man ja damit weiterfahren. Macht den jungen Leuten Mut und legt euer Herz in eure Worte, aber nicht zu viel. Dafür sind junge Leute weniger empfänglich als Männer. Sie machen sich nicht viel daraus. Nehmt jeden so, wie er disponiert ist und holt aus ihm heraus, was eben in ihm vorhanden ist.
Kinder muss man dagegen gütig anfassen, muss ihre Zuneigung zu gewinnen suchen, ohne sie deshalb zu verwöhnen und die Mama bei ihnen zu spielen. Seid auf der Hut, kleine Jungen sind sehr leicht für schlechte Eindrücke offen. Sie neigen zur Sinnlichkeit. Darum meidet alles, was dies fördern könnte. Gestern sprach man mir von einem schlechten Pfarrer aus der Diözese Lyon. Er hat soeben seine Gefängnisstrafe abgesessen. Lange war er ein tüchtiger Priester gewesen, hatte in seiner Pfarrei manche Jugendwerke gegründet, scharte viele Kinder und Jungen um sich. Mit einigen aus ihnen wurde er etwas allzu vertraut, vergaß sich, wurde angezeigt, kam vors Gericht und wurde verurteilt. Meiden wir darum alle mehr und weniger sinnlichen Zuneigungen. Merkt ihr, dass sich ein Kind ein wenig allzu viel an euch hängt, so brecht ab, und flieht diese Zuneigungen, insoweit sie rein natürlich sind. Sonst richtet ihr dieses Kind zugrunde. Die Menschennatur bleibt sich immer gleich. Sobald man eine sinnliche Neigung, eine klebrige Anhänglichkeit verspürt, heißt es kurz abschneiden. Das Kind wird sich nur soweit an euch hängen, als ihr es wollt. Duldet ihr eine rein gefühlsmäßige Annäherung, dann seid ihr verloren und das Kind mit euch. Ergreift darum eure Vorsichtsmaßnahmen!
Bei den Frauen müssen wir uns nach ihrem Stand richten: verheiratete Frauen schauen im Allgemeinen nicht sonderlich auf die Person des Beichtvaters. Sie finden manchmal Vergnügen daran, lange Geschichten zu erzählen: Seid gütig und höflich und vermeidet alles Grobe, auch wenn sie euch auf die Nerven gehen. Haltet euch bei ihnen an die Regeln der Klugheit, die ich euch empfohlen habe. Seid ihr nicht sicher ob ihr fragen sollt, dann übt Vorsicht und fragt nur das Notwendige. Die Ratschläge, die ihr ihnen gebt, müssen immer in der Ordnung und der Richtung der Liebe zu Gott, zum Gatten und zu den Kindern liegen. Das ist reine und untadelige Frömmigkeit bei Gott dem Vater, sagt der hl. Jakobus: sich kümmern ums Hauswesen, um den Gatten und die Kinder. Lenkt die Frömmigkeit eine Frau von ihren Pflichten ab, die bei ihr an erster Stelle stehen, dann ist diese Frömmigkeit eben nicht rein und untadelig. Ermuntert sie zu einem Leben der Frömmigkeit, unterlasst lange Unterhaltungen, meidet alles, was auch nur im Geringsten nach Vertraulichkeit aussieht.
Auch bei Mädchen soll man sich kurz fassen. Sucht sie für die Frömmigkeit zu gewinnen. Legt bei ihnen vor allem eine solide Glaubensgrundlage. Fromme Gefühle sind wertlos, nur ein fester Glaube garantiert Sicherheit. In Italien, in Spanien und auch in Frankreich bringt man gerade der Mutter Gottes eine besondere Verehrung entgegen, desgleichen dem heiligsten Altarsakrament. Freilich entspricht ihre Lebensweise nicht immer diesem besonderen Kult. Den Glauben hat man vielleicht, aber es gebricht ihm an Lebendigkeit und Wirksamkeit im Alltag. Das Gefühl überwiegt hier gegenüber dem Glauben. Wir wollen darum die Glaubensgrundlage stärken und einen lebendigen und erleuchteten Glauben entwickeln, nur so werden die Andachten zur seligen Jungfrau, zur hl. Eucharistie und zu unserem Herrn, die Beichten, Kommunionen, Messen und Gebete wirkliche Früchte zeitigen. Bei Mädchenbeichten ist nicht viel zu beachten, außer dass man unkluge Fragen muss. Manche Mädchen leben in äußerst ungünstigen Verhältnissen, ohne dass ihnen darüber irgendwelche Zweifel aufsteigen und sie Schlechtes dabei denken. Wir dürfen sie also durch unkluge Fragen nicht auf schlechte Gedanken bringen, sodass sie Anstoß nehmen und durch uns ins Böse eingeführt werden. Stellt lieber allgemeine Fragen: ob sie schlechte Gedanken haben, böse Reden führen, ungeziemende Unterhaltungen pflegen, sich leichtsinnig benehmen. Dann könnt ihr allmählich weitergehen und genauer werden, wenn ihr einen Anlass dafür seht.
Ich empfehle eurem Gebet die Seele der Schwester Maria Emanuela von Süd-Afrika, die vor kurzem gestorben ist. Sie führte ein sehr erbauliches Leben. Vor 5 Jahren, im Alter von 50 Jahren, ging sie in die Mission… Lange Jahre hatte sie in England verbracht, und weil sie die Sitten und Gebräuche kennen gelernt hatte, bat sie um die Erlaubnis, nach Süd-Afrika gehen zu dürfen. Wie schön, in diesem Alter noch in die Mission ziehen zu können! Gott hat sie nicht lange dort arbeiten lassen, sondern sich beeilt, sie zu belohnen.
D.s.b.
