Kapitel vom 30.03.1892: Über das Sakrament der Buße (Teil 1)
Die andächtige Spendung des Bußsakramentes.
Die Spendung des Bußsakramentes ist zweifellos ein hervorragendes Seelsorgeamt zur Heiligung der Gläubigen. Pius VII. sagte bei seiner Durchfahrt durch Troyes zum Regens des Priesterseminars: „Geben Sie uns gute Beichtväter, und die Kirche ist gerettet!“ Darin gehen alle einig, dass es sich da um eine ausgezeichnete Einrichtung handelt. Auf einer Reise nach Genf befand ich mich eines Tages in Gesellschaft eines der höchsten Würdenträger der protestantischen Kirche von Berlin. Wir sprachen über dies und das. Er machte Einwendungen gegen die Verehrung der Heiligen im Allgemeinen und die der Mutter Gottes im Besonderen. Es gelang mir beinahe, ihn zu meiner Überzeugung zu bekehren. Dann äußerte er Bedenken gegen die Beichte. Ich brachte meine Gegenargumente vor, worauf er meinte: „Zugegeben, es geht hier um eine vortreffliche Sache, bewundernswert und ungeheuer nützlich. Schade nur, dass sie von Menschen stammt!“ Leider waren wir in diesem Augenblick am Zielort angekommen, und ich konnte diese Unterhaltung nicht fortsetzen, m ihm zu beweisen, dass sie nicht von Menschen, sondern von Gott stammte.
„Das Urteil, das sie da auf Erden in redlicher Absicht fällen, hat auch im Himmel Geltung…“
Redlich, juristisch einwandfrei und rechtmäßig muss unsere Entscheidung beschaffen sein. Diese Bedingung der Rechtmäßigkeit und Redlichkeit ist erfordert, damit unser Urteilsspruch im Himmel ratifiziert werde. Nur so erhält unser Spruch auch im Himmel Rechtskraft, es sei denn, die gute Disposition und der gute Glaube des Pönitenten rechtfertigen ihn auch ohne das. Um rechtmäßig zu absolvieren, braucht der Priester nicht nur das Weihesakrament, sondern auch die kirchliche Jurisdiktion.
„Durch ihren Mund ergießt sich der Friede des Himmels auf alle Menschen guten Willens…“
Das heißt es bedenken, dass unsere Worte im Bußgericht den Seelen den Frieden vermitteln müssen und gleichzeitig nicht Verwirrung, sondern Gottesfurcht einflößen sollen. Denn nur so fällt der Sünder nicht mehr in seine früheren Fehler zurück und wird mit heilsamer Furcht vor den Strafgerichten Gotte und den gefährlichen Gelegenheiten erfüllt. Auf diese doppelte Pflicht hat der Beichtvater zu achten.
„Sie mögen bedenken, dass es eine außerordentliche Ehre und ein großes Glück für sie ist, zu einer Würde erhoben zu sein, zu der selbst die Engel nicht berufen wurden…“
Daraus folgt, dass wir in diesem Dienst an den Seelen gar nicht sorgfältig genug vorgehen können. Dieses Sakrament muss richtig und mit Nutzen gespendet werden, muss von Gebeten und theologischen Studien begleitet sein. Nicht auf gut Glück heißt es hier vorgehen, vielmehr sind gewissenhaft die Richtlinien zu beachten, die die Theologie vorschreibt. Die Vollmacht wurde uns ja nicht von Menschen übertragen, sondern von Gott und der hl. Kirche. Sie stellt die Grenzen dieser Vollmacht auf und legt deren Ausmaße fest. Jeder muss sich darum vor dem Beichthören darüber im Klaren sein, was er da zu tun hat und wie weit seine Vollmachten reichen. Darüber muss er einschlägige Studien vornehmen, muss sich seiner Verantwortung bewusst werden und muss sich vor allem selbst heiligen, damit er andere heiligen kann. Der Dienst im Beichtstuhl erfordert also gründliche theologische Kenntnisse, denn hier gilt es, sich an die Lehren einer gediegenen Theologie zu halten, wie auch das Lehrgut unserer Kongregation zu beachten. Was die Theologie als verboten hinstellt, können wir nicht eigenmächtig erlauben. Wenn ferner die Theologie das Gebet und die Flucht vor gefährlichen Gelegenheiten vorschlägt, so verdient das unsere treue Beachtung. Neben diesen allgemeinen Verhaltungsweisen wird uns dann immer noch genügend Spielraum verbleiben, diese allgemeinen Richtlinien und Ratschläge auf den Einzelfall anzuwenden.
Die Tatsache, dass wir viel Theologie betrieben haben, macht uns freilich noch nicht zu guten Beichtvätern. So ist man ja auch noch kein guter Arzt, wenn man die Namen aller Medikamente genau kennt, sondern erst dadurch, dass man die Krankheiten durchschaut und danach die passenden Medikamente auswählt. Kommen einem Zweifel, so sucht man Rat, statt einfach den Knoten zu durchschlagen. Wir müssen sicher sein, dass wir in der Wahrheit und in der Weisheit stehen. Unseres Weges sind wir solange gewiss, als wir dem Vorgehen, der Leitung und den Gewohnheiten unseres Institutes treu bleiben. Unsere Genossenschaft besitzt die Approbation der Kirche, hat also die Standesgnade, dass sie die theologischen Prinzipien in Weisheit und Wissenschaftlichkeit anwenden. Verstehen wir aber diese Prinzipien richtig? Sollen wir sie mit Strenge oder mit Milde interpretieren? … Das größte Übel der Welt ist ein junger Theologus, der sich hartnäckig auf das versteift, was er in seinen Büchern gelesen hat oder glaubt, darin gefunden zu haben, der in allen Fragen hartnäckig seinen eigenen Standpunkt vertritt und dem nie ein Zweifel kommt. Er stellt eine reelle Gefahr dar. Halten wir uns doch an die Weisungen unserer Kongregation und unserer Vorgesetzten. Keiner möge sein eigener Kirchenlehrer sein, sondern reihe sich in die Bewegungsrichtung der Genossenschaft ein, die die nötige Standesgnade hat zu leiten. Und unsere Kongregation soll es als ihre Pflicht betrachten, sich in allem die Doktrin des hl. Franz v. Sales zu Eigen zu machen und sich auf seine theologischen Prinzipien zu stützen. Wie viel Dank schulden wir doch dem lieben Gott, dass seine Lehre uns einen so sicheren und ebenen Pfad weist. Wenn wir dieser Fahrbahn folgen, sind wir sicher, wohlbehalten ans Ziel zu kommen. Glücklicher als viele andere haben wir nur einen einzigen Theologen, jenen, den Papst Pius IX. den unfehlbaren Lehrer, Doctor infallibilis, nennt. Wenn wir uns an ihn halten, brauchen wir nicht rechts oder links zu suchen. Unsere Beichtväter können gar nichts Besseres tun, als sich tief mit der Doktrin dieses Kirchenlehrers zu durchdringen und ihn so zu interpretieren, wie es sich gehört… Gewisse Erklärer kommen nämlich genau zu den entgegengesetzten Entschlüssen wie wir. Eine Anzahl Priester, und sogar sehr gute, greifen bei vielen Gelegenheiten vollkommen daneben, wenn sie über den hl. Franz v. Sales sprechen. Wir wollen ihn so verstehen, wie unsere Kongregation ihn versteht, dann haben wir nichts zu fürchten. Welch eine Wohltat, meine Freunde, sich auf eine so sichere Lehre stützen zu können!
„Sie mögen sich einer großen Zartheit und Reinheit des Gewissens befleißigen, da sie sich anschicken, das der anderen zu reinigen…“
Erstes Gebot für den, der anderen ihre Sünden nachlassen will, ist es, sich von seinen eigenen zu reinigen. Wir empfangen doch die vertraulichen Mitteilungen und Geständnisse von Seelen, die vielfach mehr wert sind als wir und die uns an Reinheit und Unschuld übertreffen. Reinigen wir darum zuerst unsere eigene Seele durch eine echte Reue. Halten wir uns demütig zu Füßen des lieben Gottes. Unser Wort soll ja ein Kanal sein, durch den das Wort Gottes fließt. Aus einem schmutzigen Kanal kann aber kein sauberes und durchsichtiges Wasser kommen, wenn sein Boden mit einer Schlammschicht bedeckt ist. In diesem Falle nähme das Wasser die auf dem Grund liegenden Krankheitserreger mit.
„Sie sollen ein brennendes Verlangen nach dem Heil der Seelen in sich tragen, besonders derer, die sich ihnen im Bußgericht nahen…“
Der Eifer für das Heil der Seelen muss uns ganz erfüllen, der Eifer für ihre Reinigung und ihre Heiligung. Für ihren Fortschritt in der Liebe zu Gott müssen wir alles tun, was wir können. Tun wir dafür zunächst, was in unserer eigenen Macht steht: beten wir für unsere Beichtkinder, leisten wir für sie und mit ihnen zusammen Buße! Denn von Beichtkindern gilt dasselbe, was ich von unseren Schülern sage: Ein Oblatenlehrer kümmert sich um die Angelegenheiten seiner Schüler, er sucht ihre Gesellschaft, nimmt Anteil an allem, was sie bewegt, er geht ihnen nach. Nur so hat er Erfolg bei ihnen. Gebt ihr aber euren Unterricht nur so recht und schlecht, dann werden eure Schüler nichts davon profitieren. Das gleiche gilt auch von den Beichtkindern.
„Sie mögen besonders darauf achten, dass sie sich ihren Beichtkindern gegenüber nicht allzu harter bedienen. Dies ist nicht nach dem Willen Gottes, der sich beklagt…“
Zu der Zeit, als unser hl. Stifter diese Worte niederschrieb, ging noch alles zur Beichte, und die Beichtväter gebrauchen manchmal recht harte und bittere Worte. Heute besteht diese Gefahr weniger. Heute müsste sich der Beichtvater eher zu Füßen seines Beichtkindes werfen, um ihm Vertrauen und Mut einzuflößen, dass es seine Sünde eingesteht und so die Vollständigkeit der Anklage garantiert ist. Das Beichten ist mehr zu einem Apostolat der Liebe als der Autorität geworden.
Denkt an diese Empfehlung des hl. Franz v. Sales wenigstens bei Kindern, Schwachen und Ängstlichen in Ländern des Glaubens, wo noch alles zur Beichte geht. Missbrauchen wir da nicht unsere Autorität und vermeiden wir alle Rauheit. Wir verstießen sonst gegen die Überzeugung unseres hl. Stifters. Wir sollen unsere Beichtkinder wirklich lieben. Das ist eine unerlässliche Vorbedingung, um Erfolg zu haben. Natürlich sollen wir nur ihre Seelen lieben. Diese Liebe kann dann gar nicht groß genug sein, wir können uns ihnen vor Gott und für Gott gar nicht genug interessiert sein. Von dieser ausschließlich auf Gott hin orientierten Liebe abgesehen, würde jede andere Liebe größte Gefahren bergen. Ein Arzt erzählte mir einmal in der Beichte: „Als ich meine Examina ablegte, versprach ich Gott, mich niemals mit den Kranken, die ich zu betreuen habe, allzu eng zu verbinden. Und das kam mir vortrefflich zustatten. Denn ein Arzt, der sich an seine Patienten anzuhängen versucht, ist kein Arzt, sondern ein Hund.“
Das Wort dieses Arztes machte einen tiefen Eindruck auf mich. Er fürchtete, sich an Frauen zu hängen und deren Anhänglichkeit zu gewinnen, während er sie heilt. Und er hat Wort gehalten. Er war wahrlich kein schlechter Arzt, im Gegenteil. Denn das hinderte ihn nicht im Mindesten, seine Kranken zu lieben und mit ganzer Hingabe zu pflegen. Unser Herr Jesus selbst nennt uns das Maß für unsere Zuneigung: es ist das Maß des Elends, der Schuldhaftigkeit und Unwissenheit unserer Beichtkinder. Ihr könnt beobachten, dass alle, die über die Vorbereitung auf die Beichte schreiben, empfehlen, man solle den Beichtvater mit „Vater“ anreden. Ja, wir müssen Väter sein, und, wie uns der Regens des Priesterseminars ans Herz legte: Wir sollen Väter und nicht Mütter sein!
„Sie sollen die Klugheit eines Arztes anwenden, da die Sünden ja geistige Wunden und Krankheiten sind…“
Wenn die Liebe für den Beichtvater wesensnotwendig ist, so ist die Klugheit nicht weniger wichtig. Mangel an Liebe kann uns Beichtkinder entfremden, mangelnde Klugheit aber kann eine ganze Reihe anderer Gefahren heraufbeschwören. Der unkluge Beichtvater kann die Seelen vom rechten Weg abbringen, ja völlig zugrunderichten.
In seinen Fragen wie Ratschlägen muss der Beichtvater große Klugheit walten lassen. Was das Fragen betrifft, so haltet euch an die uns gegebenen Weisungen. Ich möchte sie die Doktrin unseres Institutes nennen. Fragen wir mit größter Vorsicht nur, wenn und nur soweit es nötig ist. Bleibt stets achtsam, niemand auf Gedanken an Böses zu bringen, was er noch nicht kannte, oder das er wieder vergaß. Und was gewisse heikle Punkte angeht, so beachtet peinlich jenen Grundsatz der Theologie, man solle jemand im guten Glauben belassen, der nach unserer Aufklärung statt einer lässlichen sicher eine Todsünde begehen würde – es sei denn, wir würden positiv zu solch einer Aufklärung aufgefordert. Wenn man sein theologisches Lehrbuch zur Hand nimmt und dessen Grundsätze auf jeden Einzelfall anwenden möchte, ohne Rücksicht zu nehmen auf Unwissenheit, guten Glauben, Schwachheit und eine Menge anderer Umstände, würde man große Dummheiten begehen und es manchen Seelen geradezu unmöglich machen, gerettet zu werden. Manche haben ein großes Aufhebens von den Antworten Roms gemacht, welche Fragen auf gewissen Gebieten zu stellen sind. Die Antworten sind gewiss durchaus richtig und vernünftig. Sie entkräften aber nicht im Geringsten das theologische Prinzip, das wir soeben zitierten. Fragen sind zu stellen, wenn sie am Platze sind. Dabei ist mit Klugheit und Diskretion vorzugehen, wenn man uns nicht ausdrücklich um eine Aufklärung angegangen hat, was durchaus der Fall sein kann. Ansonsten ist der gute Glaube des Beichtenden zu respektieren, wenn begründeter Verdacht vorliegt, dass eine allzu deutliche Frage Unheil anrichten könnte. Dabei wollen wir keineswegs das Vorgehen gewisser Beichtväter angreifen, die es für gut und notwendig halten im Übermaß zu fragen und – ob angebracht oder nicht – Aufklärungen zu geben.
Lassen wir die anderen tun, wie sie es verstehen, während wir bei unserer Zurückhaltung bleiben wollen. Ich verbiete als ein ausgesprochenes Übel, sich in der Beichte in Dinge einzumischen, die uns nichts angehen, über das Privat- und Familienleben Fragen zu stellen, die eheliche Gemeinschaft nach eigenem Geschmack und eigener Fantasie lenken zu wollen. Von den Ratschlägen abgesehen, deren unsere Beichtkinder wirklich bedürfen, lassen wir uns bei unserer Führung niemals in Dinge ein, die mit dem Gewissensbereich nichts zu tun haben. Der Beichtvater darf sich nicht die Autorität von Vätern und Gatten über deren Frauen und Kinder anmaßen. Das wäre gegen die Vernunft und alle Regeln der Klugheit und Weisheit. Man kommt zu euch, um sich über begangene Sünden anzuklagen und deren Lossprechung zu erbitten, um Mittel und Wege zu erfahren, Sünden zu vermeiden, Tugenden zu erwerben, seine Pflichten treu zu erfüllen. Alles andere liegt außerhalb der Kompetenz eines Beichtvaters. Haltet euch an diese Regeln, dann werden eure Beichten ausgezeichnete Früchte tragen, für euch wie für eure Beichtkinder. Der Beichtvater des ersten Klosters der Heimsuchung von Paris, M. Bourbonne, der in Wahrheit ein großer Heiliger war, schöpfte gerade im Beichtstuhl eines seiner hauptsächlichen Heiligungsmittel. Er übte die Abtötung, um Gott Seelen zu gewinnen, und hatte das Glück, eine große Anzahl von Seelen aus dem Ordens- wie Laienstand zu Gott zu führen, und er selbst wurde so ein wirklicher Apostel und Heiliger.
