Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 23.03.1892: Über die hl. Fastenzeit.

Wir stehen in der Fastenzeit. Auch wir müssen im Geiste unserer hl. Regel fasten. Erinnern wir uns immer, dass wir Oblaten sind und unsere Handlungen nur dann zu ihrem vollen Wert gelangen, wenn wir sie in unserem Geist verrichten. Leben wir als Söhne des hl. Franz v. Sales und nicht als Franziskaner, Jesuiten oder Kartäuser. Was heißt das für die Fastenzeit? Selbstverständlich müssen wir uns körperlich Nahrung entziehen, falls unsere Gesundheit und unsere Kräfte dies erlauben. Zunächst so wie jeder Christ, der sich durch Fasten und körperliche Abtötung Gewalt antut. Das entspricht durchaus dem Geist unserer Ordensregel. Ihr wisst: Als wir unsere Satzungen zur Approbation der Regiosenkongregation vorlegten, bemängelte der Berichterstatter aus dem Kapuzinerorden, dass die Oblaten nicht viel Buße übten und wir deshalb wenigstens die anderen in unsren Predigten zur Buße anhalten müssten. Aus diesem Grunde ließ er an den Schluss der Satzungen diesen besonderen Punkt anfügen. Wir müssen diese Kritik ernst nehmen – wie unsere Satzungen es wollen – und sie in unsere Predigten und Seelsorge einbauen.

Für dieses Jahr hat die Kirche einen allgemeinen Dispens vom Fast- und Abstinenzgebot gewährt. Wir können uns auf diesem Gebiet schon deshalb kein bedeutendes Opfer auferlegen, weil unsere Tätigkeit all unsere Kräfte beansprucht und unsere Gesundheit geschwächt und zerrüttet ist. Trotz allem bleiben wir zur Selbstbeherrschung verpflichtet. Wir wollen dies im Geist des hl. Franz v. Sales tun, indem wir täglich unser Kreuz auf uns nehmen und es mit Großmut und Treue tragen. Ja, gerade in der Treue sollte unser Fastenopfer bestehen. Der Oblatenlehrer in der Schule hat seine Kreuze, Plagen und Widersprüche, hat gegen den bösen Willen, den Leichtsinn und die Undankbarkeit anzukämpfen. Er möge seinen Unterricht im Geist der Buße geben, indem er „Ja“ sagt zu all diesen Mühen und Abtötungen. In gleicher Weise möge der Präfekt vorgehen, und in allen übrigen Ämtern ist es notwendig, in diesem Sinne zu verfahren. Auch die Handarbeit kennt ihre Probleme, Unannehmlichkeiten und Misserfolge. Mit Mut und gutem Willen sollen wir die damit verbundene Buße annehmen und keine Abstriche vornehmen. Wenn wir fasten und auf Fleischspeisen verzichten, ist es wichtig, dies mutig und ohne Feilschen zu tun. Es gilt gleichermaßen in all unseren Ämtern ein volles „Ja“ zu sagen zu den damit verbundenen Plagen und Abtötungen. Eine Fastenzeit, die wir in diesem Geist verbringen, vermittelt unserer Seele viele Früchte, als wäre es eine Zeit von hl. Exerzitien. Der Geist der Buße bildet nun einmal die Grundlage eines echten Christenlebens. Gegen den Eigensinn, den Stolz, die Charakterfehler angehen, den eigenen Willen einem höheren unterwerfen und gehorchen – besteht nicht darin das Christentum? Ist das nicht auch Kern und Stern der Oblatenaszese? Das Schmerzliche, das solches Unterwerfen mit sich bringt, treu und hochherzig annehmen, in allem, was uns begegnet und was sich in unserem Inneren dem Wollen, Planen und Lenken des Gehorsams uns der Oberen entgegenstemmt, alles, was unserem Wählen und Wollen zuwiderläuft, alles, was uns in unserem Amt und auch außerhalb unseres Amtes, selbst auf dem Gebiet der Politik, begegnet, was wir einfach zu ertragen und zu erdulden haben – all das sollten wir zu unserem geistlichen Nutzen verwerten und es zu unserer Buße, zu unserem Fasten machen. Heißen wir alles gut, was Gott zulässt und weil er zulässt. Preisen wir die Hand Gottes in unseren äußeren Peinen und körperlichen Leiden. Gewiss dürfen wir uns um Heilung und Erleichterung bemühen, aber in der Zwischenzeit lasst uns liebend die Anordnungen und Zulassungen Gottes umfangen. Opfern wir diese Leide, welcher Art sie auch sein mögen, in der Absicht auf, das Fasten und die Enthaltsamkeit zu ersetzen, die wir nicht auf uns nehmen können. Durch solches Verhalten gewinnen wir ungeheuer. Zunächst erwerben wir den wahren Ordensgeist, jenen Geist also, der Mühe, Leid und Demütigung schweigend und liebend bejaht. Jenen Geist, der allem, was kommt, und wie es kommt, beipflichtet. Liegt nicht das Wesen des Ordensmannes und des Oblaten in Sonderheit darin, dass er Großes vollbringt, indem er gemäß der Bedeutung seines Namens „Oblate“, als Hingeopferter also, in jedem Augenblick, Tag und Nacht sich opfert, um den Willen Gottes zu vollbringen?

Jeden Morgen sollen wir im Voraus die Kreuze unseres Tagewerkes, die Dornen, Nägel und Demütigungen entgegennehmen und lieben, sollen täglich unser Kreuz umfassen und tragen und dem hohen Kreuzträger nachgehen. „Fürchtet euch nicht, ich bin es.“ Bei jedem Kreuz sollen wir sagen: „Herr, ich fürchte mich nicht, ich weiß ja, dass du es bist, ich erkenne dich.“ Ich bestehe nachdrücklich auf dieser einfachen, starkmütigen, ja heldenmütigen Art, ja zu sagen zu allem, jeden Augenblick sich loszuschälen von sich selbst und seinen Neigungen, von der eigenen Natur und der Wesensart dessen, der dem Kreuz aus dem Weg geht. Dieser Weg bietet unter allen die größte Sicherheit, zu unsrem Herrn zu gelangen, am Kreuz und im Himmel. Bringen wir unsere Fastenopfer aber auch noch in anderer Absicht: Denken wir dabei an unsere abwesenden Mitbrüder, an unsere Werke, an die uns anvertrauten Seelen im Fegefeuer, damit alle Anwesenden, alle, die uns verlassen haben, die uns aber durch ein bestimmtes Band nahestehen, an unseren Verdiensten und Gnaden Anteil nehmen.

Die Gute Mutter hat während ihres ganzen Lebens diese Art Buße in heroischem Grade geübt. Die ganze Klostergemeinde war voller Bewunderung für ihre Gewohnheit, sich mit übermenschlichem Mut abzutöten. Ahmen wir sie nach. Halten wir unseren Geist hellwach und lassen wir uns nichts entgehen, ohne davon für unsere Seele zu profitieren.