Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 08.03.1892: Über die richtige Art, die Schlafenszeit zu begehen.

Vom Schlafengehen: „Die Oblaten sollen sich schnell auskleiden und dabei so viel wie möglich auf den Gegenstand achthaben, den man für die Morgenbetrachtung vorgesehen hat.“

Die Handlung des Sichauskleidens soll also wie jede andere geheiligt werden, obwohl es eine ganz gewöhnliche Sache ist. Franz v. Sales empfiehlt dafür Behändigkeit. Der Geist sollte vom Gegenstand der Morgenbetrachtung ganz eingenommen sein – sicher eine ausgezeichnete Übung. Hat man den Punkt der Morgenbetrachtung aber wieder vergessen, so schlage ich ein anderes Mittel vor, ein höchst vortreffliches, um uns da wie zu jeder anderen Zeit den Wandel in Gottes Gegenwart zu erleichtern und uns in der Nähe Gottes zu halten: nämlich, dass wir uns sagen, Gott will in diesem Augenblick von  mir gerade diese Handlung und keine andere. Ich kann folglich nichts Vollkommeneres und Gott Wohlgefälligeres tun als das, was Gott selbst jetzt von mir will. Diese Art vorzugehen wünscht der hl. Gründer selbst von uns, ein Leben also ganz dem Willen Gottes unterworfen, ein Leben, dessen Affekte, Willensäußerungen und Handlungen einzig auf den Willen Gottes ausgerichtet sind. Warum also nicht auch das Auskleiden mit solchen Gedanken ausfüllen? Wenn wir ein Leben beständigen Gebetes, ständiger Sammlung und Gottvereinigung führen, werden wir bestimmt auch hier so vorgehen. Dieser Gedanke bietet jedenfalls weniger Schwierigkeiten als das Nachdenken über einen Betrachtungspunkt. Darum empfehle ich euch dieses wirkungsvolle Mittel. Während wir unsere Soutane, Schuhe und Strümpfe ausziehen, vollbringen wir also Akte der Gottesliebe, der einfachen und vollkommenen Hingabe an den Willen Gottes. Das bedeutet für uns eine wunderbare Hilfe, versetzt unsere Seele in einen Zustand der Wahrheit und des Friedens, erteilt Stärke für die Erfüllung unserer Standespflichten und für den Dienst an den Seelen. Gott findet Gefallen an Handlungen, die für ihn verrichtet werden, bergen sie doch in sich seinen hl. Willen. Welche Bedeutung gewinnen dadurch doch all diese Handlungen! Man geht zu Bett, man steht auf, man zieht sich an und aus und erfüllt in allem den Willen des Ewigen und liebt diesen Willen. Gibt es denn auf Erden etwas Vollkommeneres? Gewiss hat auch der Gedanke des Direktoriums etwas Vortreffliches an sich und strebt nach demselben Ziel, den Willen Gottes zu lieben. Wenn aber die Vielfalt der Übungen des Direktoriums unseren Geist ermüdet, kann man gut den Gedanken wählen, den ich da vorschlage, den Gedanken des Wohlgefallens am derzeitigen Willen Gottes: Mein Gott, Du willst es, darum will ich es auch. Das wirkt besänftigend, beruhigt, und befriedet und vereinigt ausgezeichnet mit Gott. Der Mensch lässt da sein Persönliches zurück, um ganz Gottes zu werden und zwar in seinem ganzen Tun und Lassen. Welche Reichtümer zieht uns das zu!

„Sie sollen sehr gewissenhaft Sittsamkeit und Schamhaftigkeit bewahren…“

Ja, seien wir recht sittsam und jeder möge diese schöne und heilige Tugend bei sich und den anderen gegenüber hüten. Man vermeide alles, was die Ehrbarkeit und Schicklichkeit verletzt…

„Wenn sie im Bette liegen, mögen sie sich erinnern, dass unser Herr und viele Heilige auf bloßer Erde geschlafen haben…“

Ein schöner Gedanke! Wenn man sich niederlegt und mit aller Bequemlichkeit sich dem Schlaf überlässt, empfindet man eine gewisse natürliche Befriedigung und Zufriedenheit, die in sich sehr wohl erlaubt ist und der niemand entgeht. Schreibt uns nun unser hl. Stifter in diesem Augenblick eine positive Abtötung vor? Nein, er will lediglich, dass wir der väterlichen Güte unseres Gottes danken, die uns mit solcher Freigebigkeit diese Annehmlichkeiten gewährt. Und da sollen wir eben daran denken, dass es nicht allen so gut geht wie uns, dass sie Leiden und Entbehrungen zu ertragen haben. Selbst unser lieber Herr machte davon keine Ausnahme. Viele Heilige schliefen auf bloßer Erde. Eines Tages, so erzählt die Legende der Urkirche, fragten die Jünger des hl. Petrus ihren Meister, warum er beim Anblick von Bäumen immer so bewegt sei. „Ich gehe nie an einem Baum vorbei“, habe er geantwortet, „ohne an meinen göttlichen Meister zu denken, der, wenn er auf seinen Predigtwanderungen ermüdet war, sich auf den Boden legte, um zu ruhen. Wir brauchen dann einige Zweige von den Bäumen und bedeckten damit sein Haupt zum Schutz vor den sengenden Sonnenstrahlen…“ Liegt nicht das Wesen des Christentums darin, alles ohne Ausnahme auf den lieben Gott zu beziehen, Angenehmes wie Unangenehmes?

„Sie sollen sich in solcher Lage niederlegen, wie sie es täten, wenn sie den Heiland mit ihren leiblichen Augen vor sich sähen.“

Der Herr ist allezeit mit uns und uns nahe. Achten wir auf seine heilige Gegenwart! Rufen wir uns auch jenen fruchtbaren und heilsamen Gedanken an den Tod ins Gedächtnis, dass wir eines Tages in gleicher Weise ausgestreckt im Grab liegen werden, und bitten wir Gott, uns in der letzten Stunde beizustehen. Dieser Gedanke an unser Sterben ist sehr empfehlenswert, wie das Direktorium versichert, um in der Versuchung Sicherheit zu finden und uns gegen die Täuschungen des Dämons zu wappnen. Der hl. Bernhard sagt: „Wenn ich an den Tod denke, kühle ich ab wie Asche.“ Der Gedanke an die Sterbestunde beruhigt die Fantasie und mehrt unseren Widerstand gegen den Teufel. Gerade im Augenblick des Schlafengehens kann die Versuchung uns überkommen, und mit Hilfe dieses Gedankens werden wir sie überwinden. Auch für die Nacht gibt uns der hl. Stifter besondere Gedanken und Stoßgebete an die Hand, und das nicht ohne Grund. Verbringen wir doch nicht weniger als ein Drittel unseres Lebens im Bett. Dieses Drittel müssen wir also von der Anzahl unserer Lebensjahre abziehen. Zählt unser Leben 90 Jahre, so verschlafen wir ganze dreißig Jahre. Und das ist keine Kleinigkeit, das stellt einen beachtlichen Wert dar. Verlieren wir also dieses Drittel unseres Lebens nicht, verbringen wir es nicht nutzlos, heiligen wir es vielmehr durch die Mittel des Direktoriums, wie wir sie im Artikel vom Schlafengehen vorfinden.

„Er ist darauf bedacht, mit einem guten Gedanken einzuschlafen. Es gibt nämlich einen Teufel, der seinen Schlaf belauert, um ihn mit schlechten Vorstellungen zu vergiften…“

Während des Schlafs können uns schlechte Vorstellungen belästigen, die uns vielleicht beim Erwachen wieder ins Gedächtnis zurückkommen. Das mag wegen mangelnder Einwilligung keine Sünde sein, haben wir aber beim Einschlafen keine Vorkehr getroffen gegen solche bösen Gedanken, haben wir unsere Fantasie nicht gereinigt, dann können derlei Vorstellungen mehr oder weniger schuldhaft werden, und das müsste man in der Beichte erwähnen, entsprechend der Einsicht, die wir von der Sache hatten. Haben wir aber unsere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, inmitten der Vorstellungen, die uns bestürmen und inmitten des Aufruhrs der Sinne gebetet und uns mit guten Gedanken beschäftigt und sind mit ihnen eingeschlafen, dann brauchen wir uns keinerlei Vorwürfe zu machen – wir bleiben Sieger, mag der Teufel anstellen, was er will.

„…und ein anderen, der sein Erwachen abpasst, um seinen Geist sogleich mit tausend nichtigen und unnötigen Gedanken zu verwirren.“

Das Direktorium hat ein unscheinbares Aussehen, ist nicht gespickt mit Zitaten aus den Werken der Kirchenväter, mit theologischen Argumenten und Schlussfolgerungen. Es hat nicht den Glanz eines hochgelehrten Moraltraktates. Und doch ist es für die Praxis ein wahres Meisterwerk an Beobachtung, Erfahrung und Weisheit. Der Sekretär des Bischofs Mermillod hatte schon recht mit seiner Bemerkung: Franz v. Sales ist der beste Stratege der geistlichen Schriftsteller. Der gute Benediktinerpater musste davon tief durchdrungen gewesen sein, denn naturgemäß hätte er doch müssen. Ja, beim Erwachen des Morgens bestürmen uns eine Menge unnötiger und wertloser Gedanken und hoffen fest, bis zur Bastion unseres Willens und unserer Liebe vorzustoßen. Der Teufel liegt immer auf der Lauer…

„Verleiht ihnen Gott die Gnade, des Nachts aufzuwachen, so werden sie ihr Herz sogleich mit folgenden Worten aufmuntern…“

Erinnern wir uns dann an all die schönen Gedanken, die uns der hl. Stifter zu diesem Zweck anempfiehlt, damit auch die Zeit der Schlaflosigkeit nicht verloren sei. Dazu ist es von Vorteil, die Formeln und Texte dieser Anmutungen und Anrufungen gut auswendig zu wissen, andernfalls bliebe es etwas Vages und Unbestimmtes. Überkommt uns dann wieder der Schlaf, dann erheben wir erneut unseren Geist zu Gott, damit wir mit einem guten Gedanken einschlummern. Diese Zeit der Schlaflosigkeit sollte aber keinesfalls in eine regelrechte Betrachtungsübung verwandelt werden. Das will die hl. Regel nicht, und darum sollte man es ohne Notwendigkeit auch nicht tun. Martern wir nicht unseren Geist, um diese Gedanken wiederzufinden. Denn die Nacht ist zum Schlafen und Ruhen da. Diese Anmutungen sollten uns lediglich helfen, uns Gott schenken und uns in ihm auszuruhen.

D.s.b.