Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 20.01.1892: Über das Stillschweigen

Das Stillschweigen. „Bekommt ein Oblate einen einfachen Gehorsam, so nimmt er ihn stehend und in bescheidener, ehrfürchtiger Haltung an.“

Das hier Gesagte setzt voraus, dass der Obere den Gehorsam im Anschluss an die Rekreation erteilt. Zurzeit ist es uns fast unmöglich, diesen Punkt in den verschiedenen Häusern durchzuführen. Die Patres und Brüder, die da einen Gehorsam empfangen, mögen ihn gesammelt und stehend entgegennehmen. Bei dieser Gelegenheit kann man dann auch Erlaubnis und Aufträge erfragen.

„…und so geht er an seine Arbeit. Dabei denkt er gern an die Gegenwart Gottes. Er kann auch auf die Morgenbetrachtung zurückgreifen und sich den Herrn in dem Geheimnis vorstellen, das er betrachtet hat…“

Das ist sicher ein vorzügliches Mittel, seine Arbeit gut zu verrichten, besonders wenn es sich um eine Handarbeit handelt und wir dem lieben Gott nichts Besseres zu sagen wissen. Solch ein Zwiegespräch ist für unsere Seele von großem Vorteil. Es fördert die Gewohnheit, mit Gott in beständiger Vereinigung zu leben. Haben wir freilich eine geistige Arbeit zu besorgen, zu studieren, Aufsicht zu führen, wo man nicht längere Zeit den gleichen Gedankengang verfolgen kann, so wollen wir wenigstens von Zeit zu Zeit unser Herz zu Gott erheben und ihm ohne bestimmte Worte unser Tun aufopfern. Erbitten wir dann eben Gottes Licht für unsere Studien. Der hl. Thomas v. Aquin pflegte zu Gott zu sagen: „Ich übergebe mich Dir, o mein Gott. Gib du Dich mir in Form von Erleuchtungen und Einsichten und gutem Willen!“ Auf solche Bitten geht Gott gerne ein. So werden dann nicht nur unsere Studien geheiligt, es werden uns darüber hinaus Gottes Erleuchtungen zuteil. Ich lade euch ein, selber diese Erfahrung zu machen. Damit haben wir Gott immer bei uns, und mit ihm verstehen wir alles besser und behalten es besser. So betrieben die Heiligen ihre Studien.

„Er kann aber auch wie Magdalena still zu den Füßen des Herrn verweilen und lauschen, was er…“

Versteht wohl, was der hl. Stifter damit bezwecken will: Die Zeit der Arbeit nennt er Stillschweigen. Diesen Namen gibt er weder der Zeit der Ruhe (Erholung und Schlaf) noch der des Gebetes. Während der Ordensmann also seine Arbeit verrichtet, d.h. während des Großteils seines Tagesablaufes, lebt er im Stillschweigen. Alle unnötigen Worte und unangebrachten Unterhaltungen haben da zu unterbleiben. Er soll mit Gott statt mit den Geschöpfen sprechen. Während dieser Zeit des Schweigens und der Arbeit ist die Seele Gott zugekehrt und beschäftigt sich mit ihm, indem sie die Gedanken der Morgenbetrachtung wieder aufnimmt oder aber, falls die Beschäftigung dies nicht zulässt, sich mit ihm durch Anmutungen, Herzenserhebungen und liebevolle Worte verbindet. In all diesem schöpft der Oblate außer der Gnade Gottes Kraft und Mut zu frohem Schaffen.

Während der Aufsicht beten wir für unsere Schüler. Damit ziehen wir auf uns selbst wie auf die uns Anvertrauten reiche Segnungen herab. Beachtet wohl: Satzungen und Direktorium geben euch wie das Evangelium keine rein menschlichen Mittel an die Hand. Vielmehr empfehlen sie die Vereinigung mit Gott, das Gebet und die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart Gottes. Wir versichern uns so der Mitarbeit Gottes bei unserem Mühen, während wir selbst alles, was wir tun, zu einem Gebet gestalten. Das ist unsere Methode zurzeit des Stillschweigens. Franz v. Sales bietet uns anschließend eine Zahl von Stoßgebeten zu Gott, zur seligen Jungfrau und zum Schutzengel zur Auswahl an. Außerdem empfiehlt er uns noch einige nützliche Gedanken wie z.B. die an den Tod beim Stundenschlag, wobei wir uns fragen, ob unser augenblickliches Tun Lohn oder Strafe, Himmel oder Hölle verdient.

„Mit solchen Gedanken verbindet er irgendein Stoßgebet, dass ihm Gott in seiner letzten Stunde gnädig sein möge…“

Sind das nicht sehr schöne und wunderbare Verheißungen? Erweisen wir uns also treu in dieser Übung des Denkens an den Tod! Mit ihrer Hilfe vermögen wir von Tugend zu Tugend zu schreiten bis zur Vollkommenheit der göttlichen Liebe, ja bis zum Himmel. Vom Himmel übrigens müssen wir uns eine exakte Vorstellung machen. Die aszetischen Schriftsteller geben drüber so wie die Katechismen nur bruchstückhafte Hinweise. Die großen Kirchenlehrer hingegen wie der hl. Thomas und Franz v. Sales lehren, dass das gegenwärtige Leben nur ein Beginn des vollen, endgültigen Lebens sei. Was wir hier auf Erden unternehmen, werden drüben weiterführen. Es stirbt lediglich der Leib. Das jenseitige Leben wird nichts als die Fortsetzung des diesseitigen sein. Ein Mensch, den Gott mit dieser oder jener Anlage, Eigenschaft oder Gesinnung geschaffen hat, geht ihrer im Tode nicht verlustig. Die Gabe Gottes, die uns zu dem macht, was wir sind, die unseren Charakter prägt, unsere geistige Physiognomie ausmacht, geht uns nimmermehr verloren. Der Himmel ist uns also nichts Wesensfremdes. Um uns in den Himmel zu versetzen, wird Gott uns nicht neu schaffen. Wir bleiben vielmehr im Himmel wie in der Hölle wir selber. Unser Himmel wird nicht in einer allgemeinen (allen gleichen) Belohnung bestehen. Die Geheime Offenbarung belehrt, Gott werde uns einen Edelstein in die Hand legen, auf dem ein Name steht, den niemand erfahren kann als wir. Dieser Name steht nur uns zu, ist ausschließlich für uns bestimmt. Er versinnbildlicht das Glück, das unserem innersten persönlichsten Sein zugeteilt wird und das genauestens unserer Vorliebe und Veranlagung entspricht. Unser ganzes Sein und Handeln nimmt somit hier unten seinen Anfang und findet dort oben seine Fortsetzung und Vollendung. Setzen wir also bereits jetzt mithilfe unserer Arbeiten, Leiden und Kreuze den Anfang unseres Himmels mit dem Einsatz unserer ganzen Persönlichkeit, mit all dem, was der liebe Gott Gutes in uns gelegt hat. Merzen wir alles Schlechte aus oder besser gesagt: verwandeln wir es in Gutes. Denn selbst unsere Fehler haben ein gutes Prinzip, aus dem wir leider schlechte Folgerungen ziehen. Wenn du z.B. zornmütig bist, so beweist das, dass du empfindsam bist, und das freilich im Übermaß.

Leben wir also ganz mit diesem Gedanken: jetzt schon beginne ich meinen Himmel. Was ich in diesem Augenblick vorstelle, hört mit dem Tode keineswegs auf. Wie der Architekt oder Maurer Stein auf Stein legt, schaffe auch ich an meinem Lebensgebäude. Betrachtet nur den herrlichen Fertigbau! Hat er nicht mit rohen Steinen und schmutzigem Mörtel begonnen? Mit viel Schweiß und Plackerei? Nur um solchen Preis dehnte er sich schließlich zu solchen Höhen aus. Nur um solchen Preis werden auch wir uns bis zum Himmel ausstrecken. Immer wenn wir bei unserem Tun Mühe und Pein erfahren, etwas wider unsere Natur leiden müssen, wollen wir uns vorsagen, dass uns all das für den Himmel zurüstet, dass wir bereits unterwegs dorthin sind und dass gerade darin einmal unsere ganz persönliche Seligkeit gründen wird. Der Himmel ist keine öffentliche Festlichkeit, an dessen Schauspiel wir uns ergötzen werden. Er ist ein Fest des Herzens, eine jedem einzelnen angepasste Beglückung. Aus diesem Gedanken können wir große Ermutigung schöpfen, weil alles, was wir angreifen, unmittelbar zu diesem unserem Himmel hinführt. Lasst uns also leidenschaftlich gut unsere Standespflichten erfüllen und vergeuden wir nicht die köstlichen Verdienste und Früchte, die auch in den unscheinbarsten Handlungen sich bergen. Wir sind Bürger des Himmels, besonders wir Ordensleute: Ihre Namen sind im Himmel niedergelegt.

Bedienen wir uns also während des Stillschweigens dieser Gedanken und häufen wir Schätze an, „Talente“, von denen wir im Himmel zehren können. Das Gleichnis von den Talenten findet hier seinen tiefsten Sinn. Der da sein Talent vergräbt und versteckt, ist ein schlechter Knecht. Der aber fünf oder gar zehn neue dazugewinnt, wird entsprechend belohnt. Im Augenblick des Sterbens erhält jeder seinen Anteil am Paradies entsprechend dem, was er beibringt. Nahen wir also nicht mit leeren Händen! Gleichen wir nicht Kaufleuten, die es nicht verstehen, ihr Kapital gewinngünstig anzulegen, die es vergraben und verkommen lassen. Der Lohn unserer Treue wird in der vollen Befriedigung unseres Seins bestehen. Der Himmel wird unser eigener Himmel sein, und jeder wird seine eigene Glückseligkeit verkosten. Schöpfen wir frohen Mut aus dieser Lehre, die so gewichtig und fest verbürgt ist. Unser ganzes Tagewerk wird die guten Folgen davon zu spüren bekommen.

Was den hl. Bernhard so groß vor Gott und den Menschen gemacht hat, ist gerade diese Wahrheit: Unser Wandel ist im Himmel. Der Arbeiter, der um seinen Lohn sich müht, der Tagelöhner, der sich nach seinem Tagelohn sehnt, der Gelehrte, der auf den Erfolg seiner Forschungen baut und ihren hohen Wert schätzt, sie lassen nichts verloren gehen, sondern nutzen jeden Augenblick. Verstehen darum auch wir, dass unsere geringsten und unscheinbarsten Handlungen dank der guten Meinung und des Gedankens an den Tod einen ungeheuren Wert umschließen. Erfüllen wir uns mit dem Gedanken, dass wir etwas Großes sind vor Gott. Als ich noch ein junger Theologe war, sagte einer von uns: „Ach, wäre ich doch ein hl. Aloysius!“ – „So würde ich nicht sprechen“, sagte einer unserer Professoren. „Die Tugend und Treue des hl. Aloysius können mir nicht zu meiner persönlichen Beglückung verhelfen, können mir nicht den Anteil an Glückseligkeit vermitteln, der allein meiner Treue und meinem persönlichen Verdienst vorbehalten ist.“

D.s.b.