Kapitel vom 14.10.1891: Über die Oblaten: Sie sollen ein Zeichen sein, dem widersprochen wird.
3. Wunsch: „Söhne himmlischer Unterredungen, ich bitte euch, ja ich beschwöre euch, seid alle beseelt von der gleichen Liebe.“
Der Wunsch unseres hl. Gründers geht also dahin, dass wir in inniger Vereinigung mit Gott und in voller Harmonie untereinander gemäß unserer Berufung leben. Auf diesem Fundament ist unser Institut aufgebaut. Dazu möchte ich folgendes sagen:
Die Oblaten, die ein ganz innerliches, geistliches, und übernatürliches Leben führen sollen, werden von vielen Menschen nicht verstanden. Jene hingegen, die Gott selbst über die Vortrefflichkeit unserer Lebensweise aufklärt, begreifen und achten uns. Die anderen, die dieses Licht entbehren, haben Mühe, für uns Verständnis aufzubringen, ja sie empfinden gegen uns Widerwillen und Abneigung. Ich spreche nicht von schlechten Menschen, weil sich bei ihnen ihr Widerstand auf sämtliche Orden erstreckt. Sondern ich meine hier gute Priester, tugendhafte Christen, die mit uns nichts anzufangen wissen, die sich über unsere Lebensweise ärgern und daran Anstoß nehmen. Man braucht kein Prophet zu sein, um in solcher Einstellung eine Quelle mehr oder weniger lästiger Schwierigkeiten zu entdecken, die über uns kommen können und bereits gekommen sind.
Da unsere Art zu urteilen und unsere Mittel übernatürlicher Art sind, können all jene, die hauptsächlich auf natürliche Mittel bauen, von vornherein kein Verständnis für uns aufbringen. „Was sind das für Leute?“ fragen sie. Sie haben Geheimnisse und unterscheiden sich von den anderen. Fragen des eigenen Vorteils, der Eigenliebe, des Vorrangs und weiß ich noch stecken hinter dieser Feindschaft. Andere nehmen Anstoß an unserer Kleinheit und Niedrigkeit, daran, dass wir nicht auf unserem strikten Recht bestehen, dass wir uns nach der Meinung des Oberen richten, dass wir uns allen nachsetzen… „Daher die Verstimmung.“ Jeder Orden hat seine Kämpfe zu bestehen. Die unseren werden diesen nicht nachstehen. Hatte nicht auch der hl. Franz v. Sales viele Anfechtungen und Widerstände zu überwinden? Jetzt hört man über ihn nur noch Gutes aus jedermanns Munde. Zu seinen Lebzeiten war er vielen Orden verdächtig. Man fragte ihn, warum er keine Priesterkongregation gründe, statt sich mit Frauen abzugeben. Er erwiderte: „Ich habe es versucht, es gelang mir aber nur, anderthalb heranzubilden…“ Damit meinte er vielleicht H. Michel, seinen und der Heimsuchung Beichtvater, und Bischof Camus. Übrigens hat unser Herr auch nicht viel mehr bekehrt, als er auf Erden weilte. Es wird erzählt, in Annecy gäbe es eine große Truhe gefüllt mit Dokumenten, die gegen unseren hl. Gründer gerichtet waren, Prozesse, Einwände, Briefe… Mehrere Episoden aus seinem Leben zeugen von diesen Gegnerschaften. Als er für die Heimsuchung eine Kirche bauen ließ, leitete ein Kapuzinerbruder, der gewöhnlich im Kloster um Almosen bettelte, einen Wasserabfluss auf den Baugrund und setzte die Grundmauern unter Wasser. Mutter Chantal zeigte ob solcher Unverfrorenheiten gerechte Entrüstung. „Mein Bruder, und Sie kommen gleich wieder zum Betteln?“ rief sie aus – „Oh, ja“, meinte der Heilige, „kommen Sie ruhig wieder, Sie werden etwas mehr als gewöhnlich bekommen.“
Dinge, die unser hl. Gründer eingeführt hat und die heutzutage jedermann für gut findet, lösten zu seiner Zeit ungewöhnliche Widerstände aus. Die Gründung der Heimsuchung z.B. wurde zu einer Quelle größter Schwierigkeiten. Alle Bischöfe tadelten den Heiligen. Der Lyoner Erzbischof gab seinen Schwestern im Widerspruch zur ersten Gründungsabsicht die strenge Klausur und änderte die ganze Struktur des Ordens. Da des Heiligen Beweggründe rein und übernatürlicher Art waren, stellten sich ihm alle entgegen. Die merkwürdigen Prüfungen, die über ihn hereinbrachen, überschreiten das normale Maß. Der Zwang, den er sich auferlegte, um immer gleichmäßig sanft und freundlich zu sein, war so gewaltsam und heftig, dass er eine merkwürdige physiologische Erscheinung hervorrief: seine Galle vertrocknete und verhärtete sich in einem Maße, dass sie zu Kalk wurde (Anm.: „Wohl eine Anspielung an die ‚Hunderten von Steinchen‘, die man – nach Rolland – bei der Leichenobduktion in seiner Gallenblase fand.“).
Alles bisher Ausgeführte soll nur als Vorspiel dienen für das, was ich jetzt sagen will: Einer der wesentlichen Bedingungen jeder Oblatenexistenz ist der Widerspruch: Ein Zeichen, dem widersprochen wird. Diesen Widerspruch werden wir zunächst von Seiten unserer Mitbrüder erleben, dann von Seiten der Schüler. Die Art und Weise nun, wie wir diesen Widerständen begegnen, ist für uns von größter Wichtigkeit: Seien wir sehr darauf bedacht, aus ihnen den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Machen wir am Morgen darüber unsere Betrachtung und sehen wir alle Umstände voraus, in die uns Gott in der Absicht schicken wird, vom eigenen Ich loszukommen und dem Willen Gottes anzuhangen. Machen wir unser Herz allezeit geschmeidig und sanft gegenüber seinen Zulassungen und Fügungen. Kraft dieses Verhaltens werden wir für uns selbst wie für die anderen aus diesen Widersprüchen großen geistigen Nutzen und wirksame Gnaden schöpfen. Ich lege starkes Gewicht darauf, dass man bei uns an dieser Lehre festhalte und sie tief beherzige. Damit werden wir uns selber wie die übrigen Mitglieder unserer Genossenschaft heiligen, werden dieses Institut ausbreiten und der hl. Kirche wirksame Hilfe leisten.
Fassen wir heute den guten Vorsatz, alle Widersprüche, die uns begegnen, alle Plackereien des Alltages sanftmütig und willig anzunehmen, alles dem lieben Gott aufzuopfern wie es der hl. Franz v. Sales tat und so in inniger Gottvereinigung zu verharren. Das verlieh den Heiligen ihre Seelenstärke und das Vertrauen, inmitten der Kreuze, umgeben von Widersprüchen und Missgunst auszuharren. So werden auch wir siegen und tapfer angreifen. Nicht mit Hilfe von Faustschlägen und Fußtritten stürmen wir Oblaten voran, sondern durch Ertragen und Verzichten. Das ist zwar nicht so ermutigend für die Natur, dafür sind wir aber des Erfolges umso sicherer. Wir tragen ja nicht, auf uns allein gestützt, den Angriff voran, sondern Gott ist mit uns, stützt und hält uns.
Bitten wir den hl. Franz v. Sales um seinen Segen, dass wir diese Lehre tief erfassen. So werden wir alle eines Sinnes und einmütigen Herzens in unserem Lebensstand ausharren, und unser hl. Gründer wird die Fülle seiner Segnungen uns ergießen, die er uns verheißen hat.
D.s.b.
