Kapitel vom 15.04.1891: Über die Methode des richtigen Gebets
Das Leben des Gebetes ist das eigentliche Leben des Ordensmannes. Die ersten Mönche, Pachomius, Antonius, Paulus führten ein ununterbrochenes Gebetsleben. Die Regeln der alten Mönchsorden zeugen von vielen Gebeten. Das Gebet war ihnen zur Gewohnheit geworden, war Kern und Mark ihres Lebens. Außerhalb des Gebetes gab es sozusagen nichts. Gewiss verrichten sie Handarbeit, doch war diese gleichsam eingefasst, eingehüllt und eingegossen in das Gebet und verschmolzen mit dem Geist des Gebetes. Mehr oder weniger pflegten sie auch das innere Gebet oder, wie man es später nannte, die Betrachtung. Sie machten diese vielleicht nicht zu einer abgesonderten Übung wie heutzutage, weil ihr ganzes Leben ein ununterbrochenes Beten, weil das Beten ein Dauerzustand ihres Herzens, Willens und Geistes war. Und ist das nicht der eigentliche Sinn des Wortes „Religion“, von „religiatus=verbunden mit Gott“? Außer diesem Gebetsgeist, dieser Gebetshaltung, die auch uns kennzeichnen sollte, haben wir heute noch eine besondere Übung, die wir Betrachtung nennen.
Es gibt zahlreiche Methoden, zu betrachten, über die viel geschrieben worden ist, mitunter auch Unrichtiges. So wenn man z.B. Studium und Nachdenken mit dem eigentlichen Betrachten verwechselt.
Nach der Begriffsbestimmung der Guten Mutter ist die Betrachtung ein herzliches und liebevolles Gespräche mit dem lieben Gott. Ich wiederhole: es gibt auch für die Betrachtung im richtigen Sinn viele Methoden. Die Betrachtungszeit kann für nicht wenige Seelen eine Zeit geistiger Trockenheit und Dürre werden, in der man nichts sieht und fühlt. Für diese Zeit der Trockenheit stehen uns zwei Mittel zur Verfügung, ihrer Herr zur werden: Entweder ein gutes Buch zur Hand nehmen und darin betrachten, oder noch besser: sich ganz demütig mit dem Willen Gottes vereinigen, um wie ein Lasttier bei Gott zu verweilen. Verdemütigen wir uns vor ihm und bleiben wir vor ihm ohne Worte, falls uns die Worte fehlen – ohne Bestätigung des Verstandes oder Willens, wenn diese uns den Dienst versagen. Wer das großmütig tut, zieht reichen Nutzen daraus. Für Zeiten geistiger Trockenheit gibt es keine bessere Methode. Wozu also lange nach anderen suchen? Es genügt, im Geiste zu Füßen des Kreuzes zu verharren oder zu Füßen von gar nichts, falls wir uns nicht einmal zum Kreuze schleppen können. Dann vollziehen wir eben einen großmütigen Akt der Demut und Losschälung. Wie sollte uns das nicht zum größten Vorteil gereichen, weil es ja einen Verzicht bedeutet – und das fällt immer schwer, zieht aber eine große Belohnung nach sich.
Solch ein Akt der Selbsterniedrigung vor Gott war das Gebet des Zöllners im Tempel, der nur an seine Brust schlagen konnte, ohne die Augen zu erheben. Nicht wenige sind gezwungen, zu dieser Gebetsart ihre Zuflucht zu nehmen, weil sie sich außerstande sehen, mit Gott in ein Gespräch zu kommen, immer wenn sie es tun müssten. Welch verdienstvolles Tun vor Gott zu stehen ohne Verstand und Willen, den Kopf voll ungeziemender Gedanken. Macht eure Betrachtung also, wie ich es euch geraten habe, und ihr könnt der Gnaden Gottes sicher sein. Setzt Gott an eure Stelle, sodass von euch nichts mehr übrig bleibt.
Eine andere Methode, die ich euch empfehle, ist die Vorbereitung auf den Tag. So wie der Kaufmann des Morgens seine Schaufenster zurichtet und der Handwerker sein Handwerk zurechtlegt, so tun auch wir mit unserem Tagewerk, bereiten unsere Kommunion, unsere Arbeiten, Schwierigkeiten, Beziehungen zu den Schülern, den Mitmenschen, zu uns selbst, unseren Kampf gegen die Versuchungen vor. Und dies tun wir unter den Augen Gottes und in Gott. Jeder, der Gott zu Hilfe ruft, ist seines Beistandes sicher. In unserer Hand liegt es also, unsere Schwachheiten und Fehler gutzumachen. Bei dieser oder jener Gelegenheit fehlt es uns am nötigen Mut. Da rufen wir einfach: „Herr, sei mit mir und erleuchte mich!“ Der hl. Bernhard sagte, er wisse selber nichts und habe weder im verstand noch in der Erinnerung etwas, was nicht von Gott stamme. Halten auch wir uns ans göttliche Licht. Bitten wir Gott bei unseren Studien um die Gnade zu verstehen und zu behalten. Unsere eigenen Hilfsquellen versiegen ja so schnell. Mithilfe des Gehorsams und des Vertrauens gelangen wir immer ans Ziel. Bittet Gott also schon am Morgen: Schenke mir dein Licht für den ganzen Tag, schon jetzt bitte ich darum im Voraus. Während ich dann studiere, erneuere ich dann meine Bitte. Vergesse ich dich anzurufen, so denke du an meiner Stelle daran, lieber Gott, und gib mir, was ich brauche. Mit dieser Methode haben wir Gott stets auf unserer Seite.
Schließlich noch eine dritte Betrachtungsmethode, die für besondere Anlässe in Frage kommt: Eine Erstkommunion, ein hohes Fest wie Ostern oder Weihnachten, eine Wallfahrt, oder sonstige Gelegenheiten… Da verspüren wir einen starken Zug der Gnade, uns damit auf diese oder jene Weise betrachtend zu beschäftigen. Oder wir möchten eine besondere Gnade von Gott erlangen: folgen wir dieser inneren Regung und erwägen wir die Gedanken, die Gott uns da eingibt. Nehmen wir andere, wenn wir merken, wir drehen uns zu sehr um uns selbst.
Wenn ihr euch einmal müde und erschöpft fühlt, könnt ihr euch auch eures kleines „Mementos“ mit den täglichen Verpflichtungen bedienen oder auch des Direktoriums, indem ihr es Punkt für Punkt durchgeht und beim einen oder anderen Artikel länger verweilt: Aufstehen, gute Meinung, etc. Diese Methode empfiehlt sich besonders auf Reisen oder bei großer Ermüdung und Zerstreutheit. In dieser Betrachtungsart findet man eine vorbildliche Hilfe, seinen Geist aufmerksam, bei Gott zu halten. Geht die Übung der Vorbereitung auf den Tag Punkt für Punkt durch, das Büchlein in der Hand, und folgt dem hl. Stifter in allem, was er da empfiehlt.
Vergesst jedenfalls nicht, euer Tagewerk dem lieben Gott in der Betrachtung anzuempfehlen, stellt euch unter seinen Schutz und bittet ihn, er möge auf euch achtgeben. Könnt ihr die Morgenbetrachtung nicht halten, so ersetzt sie im Laufe des Tages. Sucht einen freien Augenblick, um sie nachzuholen. Geht es beim besten Willen nicht, so sagt zum lieben Gott: „Ich kann jetzt keine halbe Stunde freibekommen, darum schenke ich dir mein ganzes Tagewerk mit umso größerer Willigkeit als ich heute Morgen meine tägliche Pflicht nicht erfüllen konnte.“ Und bemüht euch dann, eure Handlungen in innigster Vereinigung mit ihm zu vollbringen. Unser hl. Stifter betont mit Recht, die Betrachtung sei eine der wichtigsten Übungen des Ordenslebens. Denn das innerliche Gebet macht den Heiligen aus.
Was die Gute Mutter heilig gemacht hat, war der Geist des Gebets. Besonders während der Abendbetrachtung unterhielt sie sich mit dem lieben Gott über ihr Amt, über die Seelen, die Leitung des Hauses, ihr Kreuze und Schwierigkeiten. Um Nachwuchs zu bekommen, müssen wir gute Ordensleute sein. Gute Ordensleute ziehen auch gute Novizen an. Der Wohlgeruch ihrer Tugenden spornt andere zur Nachfolge an. Gerade durch unseren Gebetsgeist gewinnen wir also Nacheiferer.
D.s.b.
