Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 11.02.1891: Über den Seligsprechungsprozess der Guten Mutter

P. Rolland schreibt aus Rom, er spüre deutlich und in providentieller Weise den mächtigen Schutz der Guten Mutter. Auch Bischof Haas tut, was er kann und sieht im Seligsprechungsprozess der Guten Mutter den einzigen Zweck seines Romaufenthaltes. Der Hl. Vater hat ihnen einen herzlichen Empfang bereitet. „Wie steht’s mit dem Prozess?“ hat er P. Rolland gefragt. „Wenden Sie sich in meinem Namen an den Kardinalpräfekten der Ritenkongregation.“ Auch die Kardinäle nahmen sie wohlwollend auf. Der Kardinalvikar Ponent versprach seine volle Unterstützung. So müssen wir nur noch den Bericht des mit der Prüfung ihrer Schriften beauftragten Theologen abwarten. Niemand außer Kardinal Ponent kennt seinen Namen und seine Untersuchungsergebnisse. Auch der Promotor fidei, Msgr. Caprara, hat versprochen, sich zu beeilen. P. Rolland hat ihm die umfangreiche Zusammenstellung des Advokaten zustellen lassen. Damit hat er vorerst Arbeit genug, bis der Bericht des Theologen eintrifft.

Die Briefe der Guten Mutter bilden einen dickleibigen Band. Es ist das eine schwierige Materie, die größte Aufmerksamkeit erfordert. Die Kirche räumt aber den Frauen, den weiblichen Heiligen, ein, dass man in ihren Schriften mehr die inneren Intentionen berücksichtigt als die äußere Einkleidung. Sie haben ja nicht die Feinheiten der Theologie studiert. Darum zeigt man sich weitherzig in der Auslegung ihrer Ausdrücke, selbst wenn sie theologisch nicht immer ganz exakt wären.

So steht es also mit dem Prozess in Rom. Der Advokat Minetti hat die verschiedenen Aussagen der Zeugen gesammelt und ein schönes Plädoyer in lateinischer abgefasst, das als Einleitung dient. Er weist darin nach, wie die Gute Mutter die Tugenden in heroischem Grade geübt hat: den Glauben, die Hoffnung und die Liebe, die Kardinal- und moralischen Tugenden. Dann geht er der Reihe nach die übernatürlichen Gaben durch, deren sie Gott gewürdigt hat, die Wunder und Weissagungen. Er anerkennt die allgemeine Verehrung, die sie genoss, und die Ruf ihrer Heiligkeit.
All das zusammen stellt eine gewaltige Arbeit dar. Siebenhundertfünfzig Bittschriften vervollständigen das umfangreiche Werk. Man hat P. Rolland versichert, der Prozess der Guten Mutter sei der schönste von allen, die zurzeit bearbeitet werden. Beten wir in dieser Meinung und hoffen wir, dass ihr in naher Zukunft der Titel einer „Ehrwürdigen Dienerin Gottes“ zuerkannt werde. Wenn der Theologe sich beeilt, können wir diese Freude noch vor Jahresende erwarten.

Wenn ihr einverstanden seid, verbringen wir diese Fastenzeit in Gemeinschaft mit der Guten Mutter. Wir werden mit Gott zu Rate gehen und tun, was er von uns wünscht. Die Gute Mutter soll uns dabei behilflich sein, und sicher erbittet sie uns das nötige Licht, gute Entschlüsse und den Willen, sie auszuführen. Eine so verbrachte Fastenzeit wird uns reichen Nutzen verschaffen. Große Abtötungen stehen nicht in unserer Macht. P. Bichet erzählte mir in Rom, bei der Prüfung unserer Ordensregel in der Römischen Kongregation, deren Konsultor er war, habe ein Kapuziner als Berichterstatter geäußert, wir Oblaten seien keine Ordensleute, weil wir weder härenes Gewand noch Bußgürtel trügen, noch Fasten und Kasteiungen hätten. Diesem Mangel müsse abgeholfen werden. Ein anderer Konsultor machte dagegen geltend, der Geist eines Institutes sei zu berücksichtigen: bei uns gehe es um die innere Abtötung, um den Geist des Verzichtes auf den eigenen Willen und der vollkommenen Liebe. Und das wiege die äußeren Abtötungen ohne Weiteres auf. Der gute Kapuziner beharrte aber auf seinem Standpunkt, und als er sah, dass er damit nicht durchdrang, verlangte er, wenn wir schon nicht selber fasten wollten, sollten wir wenigstens die anderen dazu anhalten. Darum hängte an den Schluss der Satzungen ein Kapitel über die christliche Buße, die wir den lauen und laxen Christen predigen sollten.

Was das Fasten betrifft, sind wir im Allgemeinen nicht in der Lage, es durchzuführen. Jeder bitte darum seinen Beichtvater um den nötigen Dispens, denn das fällt unter seine Kompetenz. Als ich zum ersten Mal Pius IX. begegnete, war gerade ein Generalvikar von Montpellier bei ihm, der ihn für einen kranken Freund um Dispens vom Abstinenzgebot bat. „Hat Ihr Freund keinen Beichtvater?“ fragte der Papst. „Natürlich“, antwortete der Generalvikar. „Dann hat dieser zu entscheiden, nachdem er den Arzt konsultiert hat. Den Papst bittet man nicht um derlei Dinge.“ Daran wollen wir uns halten. Als Oberer dispensiere ich jeden von euch ganz allgemein vom Fast- und Abstinenzgebot, soweit dies nötig ist. Jeder folge darin seinem Gewissen und mache von diesem Dispens nach dem Rat seines Beichtvaters Gebrauch. Ich halte mich da im Rahmen der theologischen Vorschriften und der Indulte des Papstes an die Bischöfe.

Wir werden also alle das tun, was die Gute Mutter uns eingibt und der liebe Gott von uns verlangt. Nichts wollen wir ihm verweigern.

D.s.b.