Kapitel vom 04.02.1891: Über die Unterstützung in der Gegenwart und Hoffnung für die Zukunft
Alle Tage erhalte ich aus Rom Nachricht von P. Rolland über die Seligsprechung der Guten Mutter. Er schreibt, dass Bischof Haas von Basel, den er begleitet, mit viel Eifer den Prozess vorantreibt. Er will mit den Kardinälen sprechen und erzählt überall, er sei einzig wegen der Seligsprechung von Mutter M. Salesia nach Rom gekommen. Zu diesem Zweck unternimmt er alle nötigen Schritte und nützlichen Besuche. Die ganze Entscheidung liegt nun bei den Theologen, der ihre Schriften zu prüfen hat. Sein Name wird geheim gehalten. Nur der Kardinalvikar kennt ihn und versichert uns, er werde sein Möglichstes tun, um den Prozess zu beschleunigen, und es sei durchaus möglich, dass der Guten Mutter noch in diesem Jahr „Ehrwürdig“ zuerkannt werde.
Heute, liebe Freunde, möchte ich euch ein Wort der Hoffnung und Unterstützung sagen: der Unterstützung für die Gegenwart und der Hoffnung für die Zukunft. Oft und oft hat mir Mutter Salesia beteuert: Wenn alles verloren scheint, wenn man das Unterste nach oben kehrt und jeder die Hoffnung schon aufgegeben hat, wird der Herr seine Macht und seinen Einfluss zeigen. Dann müsse es jedem klar werden, dass allein in seinen Händen die Entscheidung liegt und wir Menschen nichts vermögen.
Die Oblaten wurden zu dem Zweck gegründet, dass sie im gegenwärtigen Augenblick die Früchte der Erlösertätigkeit unseres Herrn pflücken, die Gnadenmittl seiner Erlösung einsetzen und die Welt vor dem Untergang retten. Dazu sind wir da. Haben wir also guten Mut! Lassen wir uns durch nichts entmutigen und niederdrücken, was es auch sei. Mag unsere augenblickliche Aktion unbedeutend erscheinen und keine großen Erfolge aufweisen, wir müssen uns für die kommenden Zeiten bereit halten. An dem Tag, an dem der liebe Gott seine Macht offenbaren will, müssen wir uns bereit halten und zur Stelle sein.
Oft schon habe ich es gesagt: Entscheidend bleibt, dass wir unerschütterlich feststehen und Vertrauen haben. Nicht darauf kommt es an, dass wir Großes leisten, sondern darauf, dass wir viel duldenden, viel erwarten und viel erhoffen. Und dass wir ein ganz innerliches Leben führen und die brüderliche Liebe üben, bis der Tag der Selbstoffenbarung Gottes gekommen ist. Halten wir uns bereit, das Werk Gottes zu vollbringen, und sagen wir nicht: Bis zu dieser Stunde sind wir nichts. Unser Tun und Mühen wirkt bestimmt Gutes in unserer Umwelt und bringt zweifellos gute Früchte im Geiste unseres hl. Stifters hervor. Unsere Wirksamkeit wird gebilligt und geschätzt. Überall bringt man uns Sympathie entgegen. An vielen Stellen sind die Vorurteile gegen uns zusammengebrochen, die Meinungen haben sich zu unserem Gunsten gewandelt. Man sieht ein, dass sich die Oblaten im Frieden und in der Erwartung des Herrn mühen, dass sie nicht Hals über Kopf voranstürmen und dem Willen Gotten zuvorkommen wollen.
Es besteht kein Zweifel, dass wir Zeugen einer großen Umwälzung sind. Die Mächte der Unterwelt haben sich verzehnfacht. Die Regierungen sind schlecht und handeln aus einem bösen Geist. Sie machen sich zu Handlangern der Freimaurerei. Die Jünger Satans glauben sich in ihrer Herrschaft endgültig gefestigt, und niemand könne ihnen widerstehen. Selbst die Guten beginnen dies zu glauben. Darum heißt es jetzt unter allen Umständen feststehen und Ruhe und Sicherheit ausstrahlen. Dies böse Zeit gilt es durchstehen, dann ist der Sieg unser. Das ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube.
Jeder möge voller Mut und innerem Schwung seinen Verpflichtungen nachkommen, herzhaft und leidenschaftlich seine Sendung erfüllen. Vergessen wir nie, dass wir Gottes Werk tun. Dieses Gotteswerk ist uns zugesichert und garantiert. Keine andere Kongregation hat so positive und absolute Gewissheit. Und diese Gewissheit soll uns anspornen, unser Herz immer fester im Herrn zu verankern, mit ihm eins zu werden, treu auf seine Regungen einzugehen, den Geist des Opfers und der Großmut in uns zu entfalten, der nichts verweigert, der ganz einfach seine Pflicht tut und alles Eigene, die persönliche Art zu urteilen, hingibt. All das wollen wir gerne hingeben. Wir urteilen nur im Geist der Kirche, der echten Theologie und der klösterlichen Tugenden. Nicht auf Erhaltung unseres eigenen Ichs wollen wir uns versteifen, alle Eigenliebe soll vielmehr zum Verkümmern kommen. Im Geist des Gehorsams und der Abhängigkeit wollen wir unsere Pflichten erfüllen, damit wir der Verheißungen der Guten Mutter würdig werden. Dann ist uns der Sieg gewiss.
Einen praktischen Vorsatz empfehle ich euch: Machen wir als Morgenbetrachtung die Vorbereitung auf den Tag, denken so im Voraus an die Kämpfe des Alltags, die uns erwarten, fassen den Vorsatz, aus dem vor uns liegenden Tag einen Tag der Treue zu machen, der Treue zum Direktorium, zur Abtötung, zur Gottvereinigung. Spannen wir unser ganzes Leben ein in diese Fesseln, die ja Bande der Liebe sind, stark wie der Tod und unbeugsam wie die Hölle.
Und noch eine Empfehlung zu guter Letzt: Jeder möge sich für das Materielle der Kongregation ebenso verantwortlich fühlen wie für das Geistige. Unsere Gebete, Messopfer und Kommunionen sollen nie auf uns allein beschränkt bleiben. Wir bilden vielmehr einen lebenden Organismus durch die Liebe. Beten, arbeiten und leiden wir also immer im Verein mit unseren Mitbrüdern! Bilden wir eine Gemeinschaft mit Leiden und Prüfungen mit den anderen und bieten wir unsere Hilfe an. So gewinnen wir das Wohlgefallen unseres Herrn und bereiten uns vor, wachsam und heiter des Augenblicks gewärtig zu sein, in dem der Herr die Oblaten braucht.
D.s.b.
