Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 21.01.1891: Über das Verhalten und die Gebräuche der Oblaten des hl. Franz v. Sales

Wir haben immer noch kein Gebräuchebuch. Es ist eben schwer, Gesetze aufzustellen, bevor noch ein Volk da ist. Dinge zu regeln, die selbst in ihren Grundlinien noch nicht feststehen. Wir haben aber doch schon eine ganze Reihe von Punkten gesammelt, die in das Gebräuchebuch aufgenommen werden. Wir werden weiter daran arbeiten. Denn dem Gebräuchebuch, dem also, was die Heimsuchung die „Kleinen Gebräuche“ nennt, kommt eine wichtige Rolle zu. Was ich euch jetzt sage, bleibt unter uns: Ich hörte dieser Tage eine Bemerkung zweier Mädchen unseres Jungarbeiterinnenheimes. Sie sagten: „Wie wohl das tut, die Oblaten in der Kirche zu beobachten. Das gibt einem etwas ab. Sie haben so eine vorbildliche Haltung, dass man selber Lust zum Beten bekommt…“ Solche Bemerkungen habe ich schon mehr als einmal gehört.

Geben wir also viel auf unsere kleinen Gebräuche, die für uns eine Art Anstandskodex sind. Stützen wir uns in der Kirche nicht auf, schlagen wir die Beine nicht übereinander, zeigen wir ein einfaches, ungezwungenes und gesammeltes Wesen. Nichts lädt heutzutage stärker zur Gottesfurcht, zum Glauben ein als das Benehmen der Priester in der Kirche. Das macht nicht nur auf die sogenannten „Frommen“ einen Eindruck, sondern auf alle, die uns sehen, auf sämtliche Gläubigen. Man ist ja immer geneigt, den Priester zu ehren und anzuhören, der ein würdiges Benehmen an den Tag legt, der im äußeren Verhalten genau das vorlebt, was den Priester kennzeichnet. Verwirklichen wir diese Bescheidenheit also in der Kirche und überall. Übt Zurückhaltung, nehmt euch keine unziemlichen Freiheiten heraus wie das Beinekreuzen oder das große Wort führen in der Unterhaltung. Beachtet genau, was der Anstand und die Ehrfurcht voreinander verlangen. Im Allgemeinen zähmt nichts die Natur so stark und übt so nachhaltigen Einfluss aus auf andere, als wenn man ihnen Ehrfurcht bezeigt. Die Eigenliebe des Mitmenschen wird durch solches Verhalten unweigerlich gewonnen. Er ist dann nicht nur nicht gegen uns eingestellt, sondern wird für uns eingenommen. Dieses schlichte, zurückhaltende und ehrerbietige Benehmen bewahrt uns auch vor allem Weltmännischen und vor ungeziemenden Scherzen. Wir sollten nicht den Eindruck eines Berufskomikers erwecken wollen. Ernst und Würde seine aus unserem Wesen nicht wegzudenken. Das bedeutet nicht, dass jeder Scherz in unserer Unterhaltung verpönt sein müsse. Wer einen geistreichen Einfall auf Lager hat, kann ihn bei Gelegenheit ruhig an den Mann bringen. Nur soll man jederzeit in der religiösen Sittsamkeit und Nächstenliebe bleiben.

In Gegenwart von Weltleuten gilt es immer Beherrschung und Diskretion zu wahren. Würde, Bescheidenheit und Frömmigkeit mögen ihr Verhalten kennzeichnen. Man möchte fast sagen: Das ist die einzige Art und Weise, die uns verblieben ist, um den Seelen zu predigen. Das Wort hat heutzutage fast keine Wirkung mehr. Man macht sich daraus nichts mehr, weil zu viel Missbrauch mit dem Wort getrieben worden ist. So bleibt uns nur noch das gute Beispiel. Hier heißt es das Wort der Guten Mutter wahrmachen: „Man wird in ihnen den Heiland auf Erden wandeln sehen…“ Dieser beständige Zwang, diese dauernde Selbstbeherrschung erfordert zweifellos viel Opfer und Abtötung. Das ist aber das Gebot der Stunde und ersetzt viele andere Überwindungen.

Denken wir also in all unseren Beziehungen zum Mitmenschen an das Wort des Völkerapostels: Eure Bescheidenheit werde allen Menschen kund. Der Heilige meint mit „Bescheidenheit“ diese Einfachheit, dies natürliche, offene Wesen, von dem ich sprach. Der Herr ist nämlich nahe, fügt er hinzu. Immer wenn wir uns einfach und bescheiden geben, ist der Herr mit seiner Gnade zugegen. Dies blieb uns fast nur noch als einziges Mittel der Werbung erhalten. Bei schwierigen Fragen, wenn gegensätzliche Meinungen aufeinanderstoßen, dürft ihr sicher auch euren Standpunkt verteidigen. Tut es aber mit so viel Liebenswürdigkeit und Wohlwollen, dass eure Sache aufgrund des versöhnlichen Tons von vornherein gewinnt, und ihr durch geschicktes Vorgehen einen großen Eindruck macht. Das gilt für unser Äußeres. Auch fürs Innere empfehle ich, in allem, was ihr tut, abgetötet zu sein, nicht indem ihr euren Leib kasteit, sondern indem ihr euch beständig in der Nähe Gottes aufhaltet. Das muss unser Oblatenkennzeichen sein: Gott muss bei allem seinen Anteil erhalten. Ihm bringen wir bei jeder Handlung ein kleines Opfer dar. Ich brauche da nicht in Einzelheiten einzutreten, es ist ja leicht zu verstehen: Sich eine kleine Bequemlichkeit versagen, wenn die Gesundheit dies erlaubt, oder sich im Äußeren einen kleinen Zwang antun, was auf einen intensiveren Wandel in Gottes Gegenwart schließen lässt.

Bleiben wir also allezeit unter den Augen Gottes und in seinem Kraftfeld. Verharren wir in dieser hl. Liebe, sodass wir am Ende unserer Betrachtung dem Propheten Moses gleichen, als er vom Berg Sinai herabstieg: Er hatte Gott schauen dürfen, und etwas von Gottes Herrlichkeit strahlte von seinem Antlitz. Auch wir schauen Gottes Antlitz, wenn wir mit ihm vereinigt bleiben. Der Gedanke an ihn wird zu einer starken Hilfe. Wie sollte da etwas nicht gelingen, wenn wir im Bunde mit Gott handeln? Vergessen wir das nie, wenn wir etwas in Angriff nehmen, tun wir alles mit ihm, einfach und in Liebe. Welch großen Nutzen bringt uns doch das Direktorium! Denken wir an Gott, wenn wir uns ankleiden, rasieren, dies oder das tun! Es sieht vielleicht unscheinbar aus und ist doch etwas Gewaltiges. Damit bauen wir das Gebäude des religiösen Lebens auf, so kommt das Leben der Gottvereinigung zustande. Man nimmt ein Werkzeug zur Hand oder ein Buch und denkt dabei an die gute Meinung. Die Dinge werden damit gleichsam zu „Erinnerungszeichen“, zu steinernen Zeugen wie jene, aus denen die alten Patriarchen ihr Altäre aufrichteten zum Zeichen der Hilfe und Barmherzigkeit Gottes.

Dieser Methode bediente sich auch der große hl. Bernhard. In Clairvaux gab es keinen Stein und keinen Baum, kein Möbelstück und keine Zelle, nichts, was nicht an Gott erinnerte, was dem Heiligen nicht eine kleine Predigt hielt, oder ihm als Mittel diente, mit Gott in Verbindung zu treten. Die kleine Mühle, der Fluss, die Felsen, das Wäldchen, alles wurde zu einer Brücke, über die er unmerklich und wie von selbst zu Gott gelangte.

So muss man es machen. Dann wird unser ganzes Leben zu einer ununterbrochenen Gottverbundenheit. Das bewahrt uns vor der Ansteckung der Welt, macht uns wahrhaft zu Ordensleuten und schützt uns davor, komische und schrullige Menschen zu werden. Wir werden uns zwar in nichts äußerlich von den anderen unterscheiden, für alle aber werden wir erbaulich und sympathisch in einem. Ich wiederhole es: Darin liegt eine große Macht. Habt darum Ehrfurcht vor allem, was euch umgibt. Ihr habt es z.B. mit einem schwierigen Schüler zu tun, der euch aufregt und in Wut versetzt. Auch er hat aber etwas Gutes in sich. Versucht nun, ihn gerade bei dieser guten Stelle zu fassen. Wenn er spürt, dass ihr etwas Gutes in ihm achtet, ist er gewonnen. Das war die Methode des hl. Franz v. Sales. Hatte sein Diener Francois zu tief ins Glas geschaut, zog ihm der hl. Bischof eigenhändig die Socken und Kleider aus und brachte ihn zu Bett…

Pater David schickt gute Nachrichten und bittet ums Gebet der Kommunität. Er ist mit Leib und Seele bei der Arbeit. Auch in Athen geht es gut voran. Überall, wo unsere Patres das innere Leben ernst nehmen, haben sie den Segen Gottes. Das Religiöse darf unserem Wirken und Schaffen nicht nur so aufgepfropft sein, sondern umgekehrt: das religiöse Leben muss die Grundlage bilden, auf dem all unser Tun aufbaut. Dann gereicht unser Leben Gott zur Ehre und Verherrlichung und bringt uns den Frieden des Herzens ein.

Auch in Afrika schafft Pater Simon unermüdlich und empfiehlt seine Mission dem Gebet der Mitbrüder.

D.s.b.