Kapitel vom 14.01.1891: Über gute und schlechte Zeiten der Religion
Oft komme ich auf dasselbe Thema zurück: Je schlimmer die Zeitläufe, umso bessere Oblaten müssen wir werden. Jeder Orden tritt zu dem Zeitpunkt in der Kirchengeschichte ein, in der die Kirche ihn am dringendsten braucht. Jeder Orden steht in einem unversöhnlichen Gegensatz zu dem Übel, an dem die Zeit krankt. Das derzeitige System hat es darauf abgesehen, Gott aus sämtlichen Bereichen des öffentlichen Lebens zu verdrängen. Ja man will sogar verhindern, dass der Name Gottes überhaupt noch in den Mund genommen wird – außer zu gotteslästerlichen Zwecken. Gott soll aus allen unseren Gebräuchen und Gewohnheiten verschwinden. Bei uns Oblaten soll im Gegenteil der liebe Gott überall mitsprechen. Unser Leben soll ganz übernatürlich durchformt sein und unter der ausschließlichen Führung Gottes stehen. Anderenfalls hätte unser Ordensleben seinen Sinn verloren. Uns stehen dafür ausgezeichnete Hilfsmittel zu Diensten. Wir müssen sie nur anwenden und Frucht bringen lassen. Jedes Aufstehen, jede Morgenbetrachtung muss eine Erneuerung unserer Entschlüsse und Versprechen bringen, Gott am heutigen Tag mit größerer Treue zu dienen als in den vergangenen Tagen, uns ihm ohne Maß und Einschränkung hinzugeben.
Diese Aufopferung braucht nicht Hand in Hand mit starken Gefühlen und Gemütsbewegungen zu gehen. Wir werden ohne das nur umso mehr Verdienste sammeln. Weihen wir jeden Morgen unser Herz von neuem dem lieben Gott und erneuern wir jeden Augenblick des Tages diese am Morgen eingegangene Hingabe, ohne Unterbrechung, aber auch ohne unnatürlichen Zwang. Es sollte uns das einfach eine liebe Gewohnheit werden. Das Direktorium hilft uns, zu dieser Gewohnheit zu gelangen: Es führt uns zu einem Leben steter Vereinigung. So wird unsere Seele schließlich, wie der hl. Stifter sagt, geschmeidig und biegsam, und die mühselige Anfangsarbeit wird sich in einen Zustand beständiger Gottvereinigung und zur Liebe des Wohlgefallens verwandeln. Lassen wir also den lieben Gott alles um uns her ordnen und bestimmen, zeigen wir uns willfährig oder noch besser: Üben wir uns in dieser Liebe der Vereinigung mit dem Willen Gottes. Lieben wir alles, was er zulässt und anordnet.
Ich komme oft auf diese Gedanken zurück, weil sie die Grundlage für unser Ordensleben abgeben. Jeder möge sich jeden Tag seine Vorsätze wieder ins Gedächtnis zurückrufen und immer entschlossener ausführen. Ja, ich beschwöre euch, das zu tun, denn die Zeit drängt und die Tage sind böse. Die Feinde Gottes entfalten eine unvergleichliche Aktivität. Alle nötigen Hilfsmittel gibt uns die Gute Mutter an die Hand. Nehmen wir ihre Lehren tief in uns auf und zehren wir unablässig davon. Sollten etwa Sorgen, Arbeiten und Geschäfte unsere Gottvereinigung hindern können? Keineswegs. Je stärker die Versuchung uns bestürmt, umso enger klammern wir uns an Gott. Je mehr sie unsere Seele bis oben anfüllt, umso entschlossener halten wir uns an ihn. Dann ist der Augenblicken gekommen, aus der Tiefe unseres Herzens ein glühendes Gebet zu ihm zu schicken: „Aus der Tiefe rufe ich zu Dir…“ Ja, klammern wir uns an ihn, und lassen wir uns, durch was immer es sei, nicht von ihm trennen. Er sei der Kern unseres Sein und das Innerste unserer Seele, und aus diesem innersten Seelengrund dann die äußeren Handlungen mit ganz anderer Stärke und Energie hervorquellen als wenn wir uns nur auf unser armes menschliches Wollen stützten. Nichts ist stärker als ein ganz in Gott gegründeter Mensch. Ihn vermag nichts wankend zu machen. Weder Leben noch Tod, weder Gefahren noch Kreuze und Leiden können ihn von Gott losreißen. Gott ist ihm unablässig nahe.
Fassen wir den Vorsatz, während dieser Woche jeden Tag darüber zu betrachten und eine Prüfung unseres Seelenzustandes vorzunehmen mit seinen Stimmungen und Neigungen, damit jeder folgende Tag wachsamer und treuer verbracht werde als der verflossene und unsere Gottinnigkeit sich immer mehr kräftige. Und im Laufe des Tages wollen wir trachten, unser gottgegebenes Wort auch zu halten. Sicher wäre es ratsam, dem lieben Gott jeden Morgen ausdrücklich dieses Gelöbnis zu erneuern. Das taten auch unser hl. Stifter und die Gute Mutter. In meinem Besitz sind mehrere solcher schriftlichen Gelöbnisse der Guten Mutter. Sie sagte, solche Versprechen seien dem lieben Gott sehr angenehm. Wüsste man, wie sehr er das liebt, würde man es beständig tun. Wir können hier kein vollgeregeltes Klosterleben führen, unsere Lebensweise ist allzu unruhig. Umso mehr Mühe müssen wir uns geben, dem lieben Gott bei jeder Gelegenheit Freude zu machen. Bitten wir ihn um Verzeihung, wenn wir feststellen, dass wir bei einer Gelegenheit versagt haben und geloben wir ihm für das nächste Mal größere Treue – alles lebhaft und kurz, ohne Zeit zu verlieren und ohne der Seele einen Zwang aufzuerlegen. Das soll unser Vorsatz für diese Woche sein. Ich empfehle euch dringend, wenn ihr im Vaterunser die Bitte aussprecht: Dein Reich komme, dafür zu beten, dass nicht mehr Satan überall Herr sei und alles beherrsche. Bleiben wir untereinander durch das Band der Liebe verbunden und seien wir ein Herz und eine Seele.
P. David empfiehlt sich dringend den Gebieten der Kommunität. Seine apostolischen Werke machen gute Fortschritte. Er bittet um neue Missionskräfte, und zwar braucht er heilige Männer und Frauen. Soeben gründete er eine Niederlassung von Oblatinnen. Seien wir großmütig und treu, damit Gott mehr Arbeiter auf sein Erntefeld sende.
D.s.b.
