Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 07.01.1891: Über den „Franz-von-Sales-Bund“

Pater von Mayerhoffen hat kürzlich dem Kardinal von Paris den Plan eines Drittordens unterbreitet, dessen Mitglieder der Kongregation der Oblaten angegliedert sein sollen. Der Kardinal bezeigte dem Vorhaben großes Wohlwollen. Er ließ die Frage von einem seiner Generalvikare, dem Herrn Pelge, studieren. P. Mayerhoffen muss nun seine Idee schriftlich genau festlegen. Ich selbst habe die Statuten noch nicht in Händen.

Die beherrschende Idee ist, dass die Mitglieder dieser Laienvereinigung das geistliche Direktorium üben. Zum Wahlspruch wählen sie sich, den gegenwärtigen Willen Gottes zu erfüllen. Diese Devise hat dem Kardinal besonders gefallen. Er erkannte darin genau den Geist der Guten Mutter.

P. Mayerhoffen hat mit etwa zehn Damen begonnen. Im Allgemeinen gelingen solche Werke besser mit Frauen. Sie sind frömmer, gelehriger und leichter zu einer Gruppe zusammenzuschließen. Sicher wäre es schwerer, das gleiche bei Männern zu versuchen, zumal der Geist der neuen Vereinigung nichts Kämpferisches und in die Augen Springendes aufweist. Wie dem auch sei – man hat eben das Material genommen, das zur Verfügung stand und wählte dafür ein mehr innerliches und friedlicheres Motto. Das gibt diesem „Franz-von-Sales-Bund“ sicher eine vortreffliche Grundlage.

Dieser Bund braucht aber eine feste Stütze, darum musste er sich um die Anerkennung durch die Diözesanbehörde bemühen. Der Kardinal steht wie das ganze Ordinariat wohlwollend allem gegenüber, was die Gute Mutter betrifft. Wir fanden das wieder einmal bei dieser Gelegenheit bestätigt. Er war es auch, der den Titel „Bund“ dem Namen „Verein“ vorzog, den ihm P. Mayerhoffen gegeben hatte. Satzungsgemäß besteht dieser Bund nur für die Pariser Erzdiözese, wo er arbeiten, seine Versammlungen abhalten und seine Feste feiern kann.

Er wurde vom Kardinal, soviel ich weiß, sogar mit einem Ablass versehen. Festgelegt wurde, dass er auch in anderen Diözesen ins Leben gerufen werden kann. Solange freilich die Zahl der Mitglieder nur gering ist, bedarf es keiner weiteren Genehmigung. Die Mitglieder werden einfach als der Pariser Gruppe zugehörig betrachtet. Sobald die Mitgliederzahl zunimmt, wäre die Erlaubnis des Ordinarius einzuholen, um eine gesonderte Sektion bilden zu können, die dann der Pariser Hauptgruppe angegliedert würde. Man kann somit überall beginnen, ohne weitere Formalitäten zu beachten. Vielleicht ist die Zeit gekommen, sich für diesen „Salesbund“ mit ganzem Herzen einzusetzen. Alle Orden haben bekanntlich ihre Dritten Orden. Die Jesuiten z.B. haben – ohne eigentliche Tertiaren zu kennen – eine große Zahl von Männer- und Frauenvereinigungen, die mehr oder weniger mit ihrem Orden verbündet sind. All das wirkt viel Gutes und ist eine Quelle regen, religiösen Eifers.

Ein ehrwürdiger Pariser Geistlicher hat schon vor 20 Jahren ein ähnliches Werk gegründet. Er war sogar mit Bischof de Segur eng befreundet. Sein Werk erfreute sich großen Zuspruchs, vor allem von Seiten der Frauen und Priester, und ist in vielen Diözesen verbreitet. Dieser salesianische Verein braucht aber kein Rivale zu unserem Salesbund werden, denn in der Kirche Gottes ist für alle Platz, ihr Arbeitsfeld kennt keine Grenzen. Was unseren Salesbund in Sonderheit von diesem doppelten Verein von Laienchristen und Weltpriestern unterscheidet, ist der Umstand, dass dieser Doppelverein – wenn ich das offen sagen darf – zwar den Namen des hl. Franz v. Sales trägt, ich bei ihm aber weder unseren Heiligen noch die Gute Mutter entdecken kann. Er verbreitet m.E. nicht genügend die eigentlichen Grundsätze und Verhaltensregeln des Genfer Bischofs. Ich habe ihren Anfängen beigewohnt, und schätze ihre Einstellung. Was sie aber tun und sagen, ist nicht der hl. Franz v. Sales, wie wir ihn kennen. Es ist ein Franz v. Sales unter einem anderen, uns unbekannten Gesichtswinkel gesehen. Ich habe nichts gegen die Existenz dieses Werkes einzuwenden, sondern stelle lediglich fest, dass die salesianischen Grundsätze, die wir als wesentlich betrachten, für sie nicht gelten. Dieser Verein ist von einem ziemlich ausgeprägten Geist der Bußstrenge und Härte gezeichnet. Mit einem Wort: Wir finden bei ihm nicht den Franz v. Sales, wie wir ihn kennen und nachahmen.

Lasst uns also unseren Franz-von-Sales-Bund ins hl. Messopfer einschließen. Das Unternehmen erheischt ein kluges und bedächtiges Vorgehen. Das Pariser Ordinariat hat empfohlen, nur mit ernsten und würdigen Mitgliedern zu beginnen, die bereits in fortgeschrittenem Alter stehen und einen guten Ruf genießen. Nur so wird dem künftigen Gebäude ein solides Fundament garantiert. Wir haben den Namen Dritt-Orden vermieden, weil man uns zu bedenken gab, dieser Name schrecke die Weltleute ab.

Was den Kardinal tief beeindruckte, war die Tatsache, dass der spezielle Geist dieses Bundes genau den Bedürfnissen unserer Zeit entspräche.

Liest man das Leben des hl. Bernhard aufmerksam durch, stellt man überrascht fest, welch geringen Unterschied der Heiligen zwischen dem Himmel und der Erde machte. Die „Clara vallis“ (Anm.: „Lichtes Tal – Clairvaux“) ist für ihn das Paradies, die königliche Straße, die direkt zum Himmel führt. Sie ist ein Gedankenaustausch, ein Zwiegespräch mit dem Himmel, eine Lebensweise wie im Himmel, ganz eins mit Gott, eben ein himmlisches, übernatürliches Leben. Und genau in diesem Geist haben wir unseren Franz-von-Sales-Bund geplant. Dahin wollen wir Schritt für Schritt die Seelen bringen. Dieser Gedanke des hl. Bernhard hat sich nämlich als sehr fruchtbar erwiesen. Sein Orden breitete sich überall aus und hat die ganze Erde erfüllt. Und gerade diese Grundlage hat diese wundersame Entwicklung ermöglicht. Wir sollten es darum auch zu unserer Grundlage machen. Führen wir mit großer Umsicht die Seelen in unsere Lebensart ein, sie ist ja der Anfang des Himmels, des ewigen Lebens. Trennen wir niemals unser gegenwärtiges Leben von seiner Vollendung und Krönung im Jenseits. Wo der Baum hinfällt, da bleibt er liegen. Das lehrt uns ganz klar der hl. Apostel Paulus in seinen Briefen. Hier und jetzt beginnt unsere Berufung und nimmt mehr und mehr Tiefendimension an. Was wir hier auf Erden tun, setzen wir organisch im Himmel fort. Gott wird weder unsere Seele noch unsere Neigungen noch unsere Tätigkeit völlig verwandeln. Er wird sie lediglich vervollkommnen und zur höchsten Vollendung bringen.

Dieser Gedanke – die Erde ein vorweggenommener Himmel – den wir im Verein mit dem Direktorium und dem Willen Gottes dem Franz-von-Sales-Bund geben, wird reiche Früchte tragen, darauf vertraue ich. Er wird den Seelen größten Nutzen bringen, und wenn wir auch kein kämpferisches Aushängeschild haben – die kämpfen wollen, werden unter diesem Banner tapfer voranschreiten. Sie werden Siege erringen und Boden gewinnen. Diese Doktrin war Kern und Stern dessen, was die Gute Mutter wollte und lehrte. Sie möge auch zur beherrschenden Idee in unserem Leben werden. Dann brauchen wir keine anderen geistlichen Glaubenssätze. Das allein wird genügen. Möge darum die ganze Kommunität für dieses Werk beten. Sobald uns P. Mayerhoffen die Statuten schickt, werden wir sie zusammen durchlesen und erläutern, und dann beginnen wir mit der Zellenbildung für diesen salesianischen Bund. Wie vorteilhaft wäre es, wenn dieses Unternehmen wacker voranschritte. Es handelt sich zwar nur um eine kleine Sonderaktion, sie kann aber gleichwohl großes Gewicht und hohes Ansehen erlangen. Wir sind jedenfalls mit dem Kardinal von Paris der Überzeugung, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Lassen wir uns von dieser Idee tief durchdringen. Erst wenn wir selbst entschlossen diesen Weg gehen, werden wir auch andere nach uns ziehen. Nehmen wir jede Anstrengung, jede unangenehme Pflicht und jede Mühe in diesem Geist an. Es steckt eine ungeahnte Kraft in dieser Lehre. Die Türken und Muselmanen schöpften ihre große Vitalität aus ihrem Dogma vom Fatalismus. Lebten sie nicht von diesem Grundsatz, dass alles unvermeidliches Schicksal ist, dann wäre ihre Nation seit langem untergegangen. Nie hätten sie große Leistungen vollbracht. Unser Dogma ist nicht der Fatalismus, sondern der Wille Gotts. Wir sind Söhne des gegenwärtigen Willens Gottes: dieser Glaube ist alt und richtig. Man zeigt heute noch im römischen Jesuitenkolleg den Platz, wo der hl. Aloysius Schach spielte, als man ihm die Frage stellte, was er täte, würde man ihm seinen bevorstehenden Tod ankündigen. Er gab die Antwort: „Ich bliebe hier und spielte meine Schachpartie zu Ende, weil ich da bin, wo mich der liebe Gott haben will.“

Bemühen wir uns, diesen anbetungswürdigen Willen in gleicher Bereitschaft anzunehmen, ihn mit Liebe zu umfassen und unseren Willen in den seinigen zu versenken, damit wir so in uns erst bereiten, was wir anderen bereiten. So werden wir Großes wirken.

D.s.b.