Kapitel vom 03.12.1890: Die Arbeit für die Gemeinschaft
Wir haben in diesen letzten Tagen eine große Arbeit hinter uns gebracht. Das geht die ganze Genossenschaft an. Aus dieser Unternehmung können wir dem Plan der Vorsehung gemäß sicher eine Lehre ziehen. Ich will, dass mich jeder gut versteht.
Jeder religiöse Orden tritt zu seiner Zeit und mit seinen bestimmten Aktionsmöglichkeiten in die Kirchengeschichte ein. Dominikaner wie Franziskaner sind im Mittelalter auf der Weltbühne mit einer ganz speziellen Sendung erschienen. Jeder Orden hat seinen besonderen Auftrag auszuführen. Die Ritterorden dienten der Kirche zur Zeit der Sarazenen nicht bloß mit ihrem Schwert und ihrer äußeren Macht, sondern auch durch ihren Einfluss und ihr Vermögen. Es gab eine Zeit, wo insbesondere die Templer große materielle Handelsgeschäfte zu erledigen hatten, sodass man sie die Bankiers von Europa nannte. Sie wurden von der Kirche nicht nur geduldet, sondern sogar ermuntert.
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sagte Christus von sich selber. Dieses Wort heißt es wohl verstehen. Unser Herr sagt es als Antwort auf eine direkte Frage des Pilatus, ob er irdischer König sei: Du bist also ein König? Kein Zweifel, in diesem Sinn ist Christi Königtum nicht von dieser Welt. Ebenso sicher ist es aber, dass Christus, der Gründer der Kirche nicht gewollt hat, dass seine Kirche sich den Problemen der Zeit verschließe und ihnen fremd gegenüber stehe. Man hat sein Wort insofern falsch interpretiert, als man der Kirche jegliche Tätigkeit im Bereich der menschlichen Gesellschaft abstreiten wollte. Das war die Taktik der Irrlehrer aller Zeiten, besonders der Protestanten und der Aufklärer am Ende des letzten Jahrhunderts. Dieses Wort wurde so oft wiederholt, dass es zum Schlagwort und überall heimisch wurde. Es fehlt nicht viel, und man würde es auch in unseren Seminarien lehren.
Pater Deshaires und ich haben vor einigen Jahren in Rom von Kardinal Czacki eine andere Antwort erhalten: Die Kirche muss in der gegenwärtigen Zeit auch ins Geschäftsleben eintreten, so führte er aus. Sie muss ihren Fuß in die „Gosse“ setzen, die „Straßen reinigen“ und einen sauberen Durchgang schaffen. Dieses Prinzip müssen wir uns zu Eigen machen.
Warum hat Gott gewollt, dass unsere Existenz nur dann gesichert sei, wenn wir uns auch um materielle Dinge kümmern? Soll das heißen, dass wir alle ohne Ausnahme Kaufleute werden müssen? Das zwar nicht, aber wir sollten alle etwas von diesem Geist besitzen, sollen unsere finanziellen Geschäfte geschickt besorgen, die Genossenschaft zum Blühen und Gedeihen bringen und ihren geistlichen und weltlichen Besitz mehren, damit sie ihren vollen Platz einnehmen und ihre volle Wirkung hervorbringen kann. Wer heutzutage nichts hat, bleibt ohne Einfluss und Wirksamkeit. Das entspräche aber nicht dem Wunsch der Kirche.
Daraus ergibt sich die praktische Folgerung, dass jeder von uns auf sich das Gleichnis vom Kaufmann anwende: Das Himmelreich gleicht einem Kaufmann, der wertvolle Perlen findet und erwirbt. Von diesem Geist müssen wir uns auf geistlichem wie materiellem Gebiet leiten lassen: Im geistlichen Bereich besteht die Perle, dieser Edelstein, darin, dass wir den ganzen Ablauf unseres Tun aufgehen lassen. Alles müssen wir da geben, um alles zu erringen. Der Edelstein steckt verborgen in den kleinen Verzichten, im Gehorsam, in einem mühevollen Amt, in unserer Treue zur hl. Regel. Im materiellen Sektor sollte jeder erfinderisch sein, wie er der Kommunität einen Vorteil verschaffen und ihre Interessen in allem fördern wie ein Kaufmann. Das ist vom menschlichen Standpunkt aus durchaus vernünftig. Um seine Geschäfte glücklich abzuwickeln, heißt es natürlich gut überlegen, sich für sie interessieren, sparen, verzichten. Nur dann erfüllt man den Zweck, für den wir geschaffen sind. In Rom drängt man mich seit langem schon diese geschäftliche Seite zu klären und abzuschließen. Man verlangt ein ins Einzelne gehenden Rechenschaftsbericht und ist sehr daran interessiert, wie dieser ganze Fragenkomplex erledigt wird. Darum möge sich jeder hüten, unnütze Ausgaben zu machen, und bestrebt sein, der Kongregation zusätzliche Einnahmen zu schaffen, z.B. durch Nachhilfestunden oder durch Sparsamkeit und Verzicht auf Dinge, die nicht unbedingt nötig sind.
Im Mittelalter war jedermann Soldat. Heute muss jeder ein bisschen Kaufmann sein. Davon dürfen auch wir uns nicht ausnehmen, sondern müssen wie alle anderen den „Fuß in die Gosse“ setzen, uns gegen den falschen, verderblichen Krämergeist wehren und ihn auf eigenem Grund und Boden schlagen. Wir brauchen dazu nicht anderswo zu suchen und keine außergewöhnlichen Anstrengungen zu machen. Wir haben das Gelübde der Armut abgelegt. Dieses Gelübde muss aber hauptsächlich negativ gesehen werden (Sparsamkeit und Verzicht). Es soll aber auch aktiv betätigt werden in dem Sinn, dass wir uns für unsere Ordensgemeinschaft einsetzen wie ein Kaufmann. Das tun wir natürlich nicht auf eine rein menschliche, alltägliche Weise, sondern im Geist des Glaubens und in der Gesinnung der Guten Mutter. „Alles Geschaffene führt uns zu Gott“, pflegte sie zu sagen. „Wir müssen Gottvater ehren, so wie wir Gottsohn und Gott, den Hl. Geist ehren. Gottsohn ehren wir durch Gottesdienst und unsere Liebe zu ihm. Verherrlichen wir Gottvater in seinem Werk.
Darüber hat die Gute Mutter sehr schöne Unterweisungen gegeben. Unter ihrer Leitung sah ich die Heimsuchung von Troyes voll Eifer und mit ganzem Herzen für die Ehre Gottes, des Vaters und Schöpfers, arbeiten. Wie richtig doch dieser Gedanke ist! Welch anderes Mittel bleibt uns denn sonst, auf die Menschen unserer Zeit einzuwirken? Die Predigt etwa? In unsere Kirchen geht ja fast kein einziger Mensch mehr, außer solchen, die schon bekehrt sind und in diesem Zustand nur erhalten werden müssen. Oder die Kasteiungen der alten Orden? Davon sind nur einige Überbleibsel erhalten geblieben. Oder das Ordensleben? Wohin hat sich denn das echte Leben der Beschaulichkeit geflüchtet? Zu den Kartäusern und Trappisten. Und zu diesen gelangt nur noch eine verschwindend kleine Zahl von Menschen, verlorene Pünktchen auf der Landkarte. Wer oder was greift also die Masse noch an? Nur der, der seinen Fuß entschlossen ist die allgemeine Strömung setzt. Seien wir also wirklich ist, und dass wir sie auf ihrem ureigenen Terrain angreifen und schlagen müssen. Wenn in sieben Jahren unsere Ordensregel erneut approbiert wird, müssen wir in unserem Gesuch Angaben darüber machen, was wir inzwischen geleistet und dazugewonnen haben, über unsere Fortschritte also. Es geht für uns somit darum, einen Schritt nach vorne zu tun, in die menschliche Gesellschaft hinein, und die Mittel dazu: unsere Regeltreue, unser Gehorsam, und Ordnungssinn, unsere Sparsamkeit, unser Fortschritt, in all unseren Werken. Das verschafft unserer Kongregation den nötigen Einfluss. Oft hat mir die Gute Mutter wiederholt: „Gebt Acht! Wenn ihr Oblaten das Werk Gottes vollbringt, werden es andere tun.“ Es gibt bereits eine große Zahl von Priestern, die die Gute Mutter gut verstanden haben und sich ihre Lehre und die des hl. Franz v. Sales zunutze machen. Und das muss so sein, denn jeder muss an seinem Platz und mit seinen Kräften arbeiten. Wir dürfen aber nicht unseren Platz den anderen überlassen.
Jeder möge also sein Amt gut verwalten, möge sich in allem nach dem Gehorsam richten und gern das Opfer seines eigenen Urteils bringen. Darauf kommt alles an.
Unser Vater hat das Kapitel mit einer brüderlichen Zurechtweisung nach der Kulp eines der Patres abgeschlossen – Gehorsam also über alles, mag auch das, was euch richtig dünkt, in sich viel besser sein als das, was der Gehorsam vorschreibt. Vielleich ist es ganz gut, wenn nicht allzu sehr gelingt…
D.s.b.
