Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 22.10.1890: Loyalität der Kirche gegenüber

Die Pflichten der Genossenschaft gegen die hl. Kirche und den Hl. Stuhl: „Die ganze Genossenschaft, jedes Mitglied, jedes Haus und jede Provinz, werden es als ihre hl. Pflicht erachten, überall treu zur hl. Kirche zu stehen, sie nach Kräften zu verteidigen, zu verherrlichen und ihren wohltätigen Einfluss zu verbreiten.“

Die ganze Genossenschaft muss von dieser Gesinnung beseelt sein. Jedes Haus, jeder einzelne Oblate sollte von dieser unbedingten Anhänglichkeit Zeugnis ablegen. Wir sind Kinder der hl. Kirche, sind ihre Soldaten. Ja mehr noch: unsterbliche Seelen sind uns anvertraut. Wir müssen darum für die hl. Kirche eifrig und mit allen Kräften arbeiten, sie zu erhöhen, zu verteidigen und auszubreiten.

Hört gut zu: ich sage hier etwas, was mir eine hohe Autorität versichert hat: im Mittelalter mischte sich die Kirche in alles, durchdrang die Gesellschaft auf allen Gebieten. Selbst die weltliche Macht war der geistlichen unterworfen. Der Hl. Vater war der Vater der Gläubigen ebenso wie der Könige, Vater der ganzen Christenheit. Wir aber sind von einem Extrem ins andere gefallen. Die Welt hat dieser Macht der Kirche den Kampf angesagt, und hat dem Papst sein letztes Eigentum, den Kirchenstaat, weggenommen. Dieser Kampf durchzieht die Jahrhunderte. Eine der furchtbarsten Epochen war die Reformation. Dann folgten die Aufklärer, Philosophen, und Revolutionäre. Dieses erbitterte Ringen hat zur Folge, dass viele gelehrte Geister erklären, die Kirche solle sich überhaupt nicht mehr um die Welt kümmern. Sie sei nicht von dieser Welt und solle deshalb die Sorge um die Welt den weltlichen Mächten überlassen. Die Geistlichen sollen sich in ihre Pfarrhäuser, die Ordensleute in ihre Klöster einsperren und die Welt sich überlassen. Als ob es nicht die Seele wäre, die die Bewegungen auch des Leibes lenken muss! In der gegenwärtigen Stunde gibt man sich fieberhaft den irdischen Geschäften hin, dem Handel und der Industrie.

Dieser Aktivität darf sich die Kirche nicht verschließen. Als die Germanen sich auf Europa stürzten, ging die Kirche ihnen nach und bekehrte sie. Sie darf darum auch dem Handel und Gesellschaftsleben nicht fernbleiben. Alles muss sie durchdringen und heiligen und zu Gott zurückführen. Ihr Einfluss darf im Leben unseres Jahrhunderts nicht fehlen.

Wir müssen mit aufgeschlossenem Geist und Willen die hl. Kirche lieben und dürfen unsere Sympathie für sie nicht in enge und kleinliche Vorstellungen zwängen. Wir müssen die Kirche nach dem ganzen Maß unserer Sendung, unserer Kräfte und unserer Klugheit unterstützen und ihren wohltätigen Einfluss überall ausbreiten. Bestimmt wurde die Kirche bei unserer Gründung von der Absicht geleitet, in uns eine neue Stütze zu finden, um Eingang in die moderne Gesellschaft zu finden und der sozialen Bewegung soweit wie möglich, entsprechend der Ordnung Gottes und den Plänen der göttlichen Vorsehung, die Richtung weisen.

Schaut die Kapuziner an, wie sie auf diese Absichten der Kirche eingehen. Pater Arsène, der uns gestern besuchte, und Pater Ludovicus, den wir vor zwei Jahren sahen, setzten ihren Fuß ins öffentliche Leben: der eine in die Finanzen, der andere in die Diplomatie, und sie haben Erfolg damit. Falsch würden sie handeln, wollten sie ihr Licht unter den Scheffel stellen, und ihre Oberen haben das begriffen.

Setzen darum auch wir tatkräftig uns dafür ein, zu verhindern, dass die hl. Kirche keinen Einfluss mehr hat auf den Lauf der Welt und völlig machtlos dasteht. Bekämpfen wir friedlich und entschlossen jene Tendenz, Gott aus dem Leben der Welt zu verbannen, ja selbst den Gedanken an Gott abzuschaffen. Der Oblate muss sich bereit halten, alles zu tun, was die Ehre Gottes, und die Erhöhung der Kirche erfordert. Der Klugheit des Oberen bleibt es vorbehalten, jeden Oblaten entsprechend seinen Kräften und Fähigkeiten einzusetzen. Jeder Oblate muss seinerseits bereit sein, auf alles einzugehen, was der Obere ihm überträgt, sei es, dass er in die Mission geht oder den Vorteil und materiellen Nutzen der Kommunität hierzulande wahrnimmt und so den Einfluss der Kongregation vermehrt.

Der Weg, den wir einzuschlagen haben, wird uns klar von den Feinden Gottes vorgezeichnet. Wo sie hingehen, folgen wir ihnen, neutralisieren ihre Anstrengungen und lassen sie nicht ungehindert arbeiten. Was ich da sage, mag schwer zu verstehen sein. Dafür bin ich doch nicht Ordensmann geworden, mag einer denken. Nun, du bist ins Kloster gegangen, um dich einzusetzen, um zu gehorchen, um den Einfluss der Kirche auszubreiten. Jawohl, meine Freunde, die Sendung der Oblaten ist schön. Pater Dom Francois de Sales, von U.L. Frau des Ermites, hat mir schon vor längerer Zeit versichert, er glaube, der liebe Gott habe seine Augen auf die Genossenschaft der Oblaten geworfen, um in der Kirche Dinge zu wirken, die bislang noch nicht gewirkt wurden.

Doch kehren wir zu unseren Satzungen zurück. Der Kapuzinerpater, der unsere Satzungen zu prüfen hatte, hielt es in diesem Abschnitt für notwendig zu betonen, wir sollten den Gläubigen die Heiligung des Sonntags, den häufigen Empfang der Sakramente der Buße und Kommunion, das Fasten und die Abstinenz einschärfen. Gewiss hat die Kirche ihre früheren Strengheiten in einigen Punkten gemildert. Doch hat sie vom Wesentlichen nichts zurückgenommen und wird es auch nicht tun. Umso gewissenhafter müssen die treuen Christen die verbleibenden Vorschriften beobachten, soweit es ihnen möglich ist. Stehen wir treu zu den Weisungen der Bischöfe und des Papstes und zu der Lehre der Theologie. Es gibt zahlreiche Dispensen vom Fastengebot, wie man im Religionsunterricht lernt: Schwere Arbeit in verschiedenen Berufen oder schwache Gesundheit sind solche Gründe. Davon aber abgesehen, wollen wir die Gebote der hl. Kirche unbedingt hochhalten. Auf diese Weise erspart man sich übrigens eine große Zahl von Prüfungen und Heimsuchungen, die Gott denen schickt, die ihre Schuld ihm gegenüber nicht bezahlen wollen. Man profitiert dabei also gar nichts. Im Gegenteil, die treuen Beobachter der Kirchengebote sind bevorzugte Seelen. Sie entgehen großen Bedrängnissen, Krankheiten und Heimsuchungen, die die anderen zu bestehen haben. Wir sind beim lieben Gott Schulden eingegangen. Wollen wir sie ihm nicht bezahlen? Die Beachtung der Kirchengebote ist ein viel milderes und leichteres Mittel dazu. Machen wir den Gläubigen begreiflich, dass man mit Fasten und Abstinenz vor vielem bewahrt bleibt und man vorteilhafter mit der Währung des lieben Gottes bezahlt als mit selbsterfundenen.

Um den Pflichten unserer Satzungen gerecht zu werden, haben wir die Pflicht, auch den Gläubigen den Sinn des Fast- und Abstinenzgebotes nahe zu bringen und zwar in aller Klugheit und Diskretion. Man erzählte mir dieser Tage von einem übereifrigen Ordensmann, der seiner elfjährigen Nichte drakonische Bußübungen auferlegte. Welche Unklugheit!

Ein beredter Beweis für das, was ich da ausgeführt habe: dass nämlich die Übung der vorgeschriebenen Abtötung vor mancherlei Leiden und Prüfungen bewahrt, das Mühselige daran erleichtert und innerlich froh und glücklich macht, ist die sprichwörtliche Fröhlichkeit der Kapuziner, Karmeliter und anderer Orden, die ein bußfertiges Leben führen. Können wir nicht alles einhalten, was die Kirche verlangt, so leben wir wenigstens im Geist der Buße und versagen wir uns wenigstens einen Teil unserer Wünsche. Haben wir etwas zu erdulden, so tragen wir es großmütig. Legen wir uns selber eine Buße auf – die Buße unserer Ordensregel – etwas, was unsere Willenskraft und Energie wieder mehrt. Die Buße wirkt wie die Sehne am Bogen, die ihn spannt und ihm die geballte Kraft verleiht. Ein sehr verehrungswürdiger Priester, N. Bourbonne, Beichtvater des ersten Klosters der Heimsuchung von Paris, ist soeben gestorben. Ich empfehle ihn euren Gebeten. Er hat viel für uns gebetet. Er macht sich unsere Art zu urteilen zu Eigen und wünschte sehr die Ausbreitung der Oblaten. Vergelten wir ihm das bei Gott!