Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 15.10.1890: Die Kranken, die Sterbenden und die Toten.

„Mit besonderer Sorgfalt wird man sich in der Genossenschaft der Kranken annehmen und sie liebevoll behandeln.“

Welch tröstliches Wort für unsere Kranken! Ist man krank, dann hat man Mühe, einzusehen, dass man in seiner Untätigkeit etwas leisten kann, dass man am Werke Gottes mitarbeitet. Das aber ist keine Spekulation ins Blaue hinein. Wir tun immer dann das Werk Gottes, wenn wir mit ihm vereinigt bleiben. Trifft uns also eine Krankheit und wir bleiben dennoch eins mit ihm, so sind wir keine Müßiggänger, und essen nicht das Gut der Ordensgemeinde auf. Ganz im Gegenteil, wir vollbringen das verdienstlichste und aktivste Werk vor Gott.

„Die Krankenwärter sollen ihr Amt mit opferbereiter Liebe ausüben. Sie werden aber nicht nur auf die körperliche Pflege der Kranken bedacht sein, sondern ihnen auch Erholung, Zerstreuung und Aufmunterung verschaffen… Das Krankenzimmer sollen sie je nach Jahreszeit mit Grün und Blumen zieren… In der Pflege der Kranken müssen sie sich nach dem Gehorsam und den Anordnungen des Arztes richten.“

Dieser Artikel gefällt mir. In schweren Krankheiten soll man sich an den Arzt wenden, und nicht allzu sehr selber den Arzt spielen wollen. Von diesen ernsten Krankheitsfällen aber abgesehen, möge man sich an die Worte des Heilandes halten: „Macht die Kranken gesund.“ Die Apostel waren nämlich außer Lukas keine Ärzte. Diese Worte gelten vorzüglich für uns Ordensleute, wir halten uns darum genau daran. In der Kommunität möge für die Kranken gebetet werden. Es ist das ein wichtiges Werk der geistigen Barmherzigkeit.

Etwas sollen wir als Ordensleute insbesondere meiden: für den Arzt sozusagen eine Praxis in unseren Häusern aufschlagen. Ordensleute sollen ein klösterliches Leben führen, während der Arzt, von besonderen Umständen abgesehen, ganz und gar nicht in unser Milieu hineinpasst. Ihr wisst, wie leicht die Frauen und auch viele Männer unserer Zeit sich beeinflussen lassen wenn sie sich einmal eingebildet haben, sie seien krank, dann fängt ihre Phantasie Feuer, und es ist nichts mehr mit ihnen anzufangen. Sie kommen an kein Ende mehr mit Ärzten und Medikamenten. In der Welt draußen gibt es sehr viele solch eingebildete Kranke. Halten wir uns frei von derlei Menschlichkeiten. Wenn euch etwas weh tut, dann sagt es dem Krankenwärter. Seid ihr ernstlich krank, dann geht ins Krankenzimmer. Aber soweit wie möglich sollten wir kaum eine andere Krankheit kennen als unsere Todeskrankheit.

Was nützt es schon, krank zu werden? Ergreift lieber alle Vorsichtsmaßnahmen! Gebrauchet gern Weihwasser, vertraut euch unserem lieben Herrn an und betet zu ihm. Freilich, habt ihr ein Bein gebrochen oder habt ihr euch den Typhus geholt, dann wäre es unklug, sich selber kurieren zu wollen. Dann ist der Arzt zuständig.

Das große Vorbeugemittel ist eine gesunde Hygiene. Das bewahrt vor vielen Krankheiten. Ein allzu berühmter Schriftsteller unserer Tage, Alfons Karr (1808-1890) ließ sich dieser Tage einfallen, mit seinen 82 Jahren bei strömendem Regen zum Angeln zu gehen. Nach seiner Rückkehr wollte er seine nassen Kleider nicht wechseln und starb daran. Man soll also nicht zur Unzeit den Tapferen spielen wollen. Friert euch, so legt ein zusätzliches Kleid an. Habt ihr Erkältungsfieber, so trinkt heiße Milch. Fühlt ihr euch abgeschlagen, so ruht euch etwas aus. Eine vernünftige Gesundheitspflege hat einen enormen Erfolg. Ordensleute sollten freilich eine von Weltleuten verschiedene Hygiene betreiben, also z.B. nicht Alkohol trinken oder allzu kräftige Speisen essen. Unsere Lebensweise ließe das nicht ungestraft zu. Täte das ein Oblatenlehrer, so bliebe er nicht lange gesund.

Nehmen wir als Beispiel ein Frauenkloster, in dem der Arzt Stammgast ist. Wie heilig diese Ordensgemeinde auch sein mag, sie wird dadurch Schaden leiden. Diese Ordensfrauen täten besser, sich gegenseitig zu pflegen und den Arzt in nur wirklich gefährlichen Fällen zu rufen. Denn nichts zerstört den Ordensgeist mehr als das. In unseren Krankheiten sollen wir großes Vertrauen in die Güte und Liebe unseres Herrn setzen und viel beten. Früher hatten die Frommen der vornehmen Welt ihren Seelenführer, heute haben sie ihren Leibarzt. Natürlich lehnen wir den Arzt nicht grundsätzlich ab: „Ehre den Arzt wegen seiner Notwendigkeit“, sagt die hl. Schrift. Er erfüllt eine wichtige Funktion und steht im Dienste der Vorsehung. Habt also Achtung vor ihm. Aber liegt nicht ein wesentlicher Unterschied zwischen Achtung vor ihm haben und sich blind seiner Gewalt ausliefern?

Eines Tages besuchte der Pfarrer von Montieramey den hl. Bernhard in seiner Zelle. Weil er gar so schweigsam und traurig dreinschaute, fragte er ihn, was ihm fehle. Seine Antwort: „Bisher habe ich Menschen befohlen, jetzt habe ich einer Bestie zu gehorchen…“ Der Bischof von Chalon hatte ihm diesen Streich gespielt und ihn unter die Vormundschaft eines unklugen Arztes gestellt. Der gab ihm genau das Gegenteil von dem zu essen, was er gebraucht hätte.

Ich wiederhole das Wort des Herrn: Macht die Kranken gesund. Wenn ihr euch auf dieses Wort verlasst, könnt ihr viele Krankheiten vermeiden. Natürlich soll man auch nicht selber Arzt spielen wollen und Arzneien verschreiben. Betet vielmehr und lasst andere beten und bedient euch gern des Weihwassers.

Seid klug mit Ratschlägen an Menschen, die euch anvertraut sind. Ist einer krank von ihnen, dann schickt den Arzt nicht fort, wenn dieser nicht offenkundig Missbrauch treibt. Und selbst wenn ein Missbrauch vorliegt, steht es nicht euch zu, ihn abzustellen. Können die Seelen, die ihr zu leiten habt, auf den Arzt nicht verzichten, so lasst sie gewähren. Ich denke da an Nonnen: Existiert in einer Kommunität solch ein Missbrauch (wegen jeder Kleinigkeit den Arzt rufen), so sagt ihnen nicht: „Ihr räumt dem Arzt einen viel zu weiten Spielraum ein.“ Man würde euch wahrscheinlich nicht verstehen und eure Worte falsch auslegen.
In Ländern, wo noch ein lebendiger Glaube herrscht, nehmen Kranke ihre Zuflucht nicht nur zu den Ärzten, sondern sie wenden sich auch an die Heiligen und machen eine Wallfahrt. Denkt nur an Lourdes. Wie viele Wunder geschehen dort! Ähnliches ereignet sich aber auch an anderen Orten, wenn auch in geringerem Ausmaß. Bei uns in der Champagne pilgerte man auch gern nach Saint-Parres. Bis aus dem Elsass und dem ganzen Osten Frankreichs kam man dorthin. Ich selber war Zeuge von zwei bedeutenden Heilungen. Die eine geschah an einer Frau aus Plancy, die erst vor 8 oder 10 Jahren verstorben ist. Wir hatten auch eine alte Magd, Flore, die sehr schwer erkrankt war, und auf Grund einer Wallfahrt nach Saint-Parres geheilt wurde. In Troyes selbst gab es eine Wallfahrt zur hl. Julia, die ich gern zu Ansehen gebracht hätte. Es gab sogar einen Brunnen der hl. Julia, der inzwischen zugeschüttet wurde. Ich sah einmal als kleiner Seminarist Pilger, die ein Kind zu diesem Brunnen führten. Es sah nicht mehr gut und litt an einer unheilbaren Augenkrankheit. Durch dieses Wasser fand es sein Augenlicht wieder. Da der liebe Gott Seelen bekehrt, warum sollte er nicht auch Leiber heilen können?

Wenn wir aber einen Arzt rufen, schulden wir ihm auch Gehorsam. Gott selbst hat den Arzneien die Kraft verliehen. Dieser Gehorsam ist verdienstlich.

„In der Todesstunde soll ein Priester dem Kranken nach den Vorschriften des Römischen Rituale beistehen.“

In katholischen Ländern wie Spanien geschieht das immer. In unseren Landstrichen ist es schwieriger, die Bestimmung des Rituale immer durchzuführen. Wir stehen wenigstens unseren Mitbrüdern bei. Dieser Beistand des Priesters in den letzten Augenblicken des Lebens ist sehr wertvoll, um den Teufel fernzuhalten, Versuchungen der Verzweiflung und Gotteslästerung zu verhindern, auch die Sünden der letzten Stunde nachzulassen, die Absolution zu erteilen, den vollkommenen Ablass zu spenden und das Gebet über den Hinscheidenden zu sprechen: „Ziehe hin, christliche Seele…“

„Nach der Lehre des hl. Franz v. Sales arbeiten jene, die in den Bitternissen und Ängsten der Krankheit leiden und dulden, ebenso fruchtbar wie jene, die durch Wort und Tat andere ermutigen, und trösten.“

Das Gebet eines Kranken erreicht mehr als das in voller Gesundheit gesprochene. Das Leiden, das man Gott aufopfert, hat größere Wirksamkeit als alle möglichen Gebete. Dafür fehlt den Kranken natürlich oft das Verständnis. Der Todeskampf, das letzte Aufbäumen des Lebens gegen den unerbittlichen Tod, bietet oft ein trauriges Schauspiel. Dabei stellt man fest, dass gerade die Seelen, die Gott am treuesten dienten, einen sehr schweren Todeskampf und harte Prüfungen zu bestehen haben und ihnen jeglicher Trost versagt bleibt. Seht nur unseren lieben Herrn am Kreuze, wie er klagt: „Eli, Eli, Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Wer zu einem Sterbenden geht, muss viel Umsicht und Klugheit walten lassen. Sagen wir einem Sterbenden, was der liebe Gott uns in diesem Augenblick eingibt. Schon ein kleines Wort kann für ihn eine wertvolle Hilfe bedeuten. Handeln wir nicht wie gewisse gute Pfarrer hierzulande, die sich neben dem Sterbebett aufpflanzen und lange Ermahnungen zum Besten geben, wie man es Brautpaaren gegenüber am Hochzeitstag tut. Im Augenblick des Todes hat man nicht die Kraft, um lange zuzuhören. Damit würden wir die Sterbenden nur ungeduldig machen und mehr Schlechtes als Gutes anrichten. Geht also vorsichtig zu Werke und beschränkt euch meist auf ein kurzes Wort der Ermutigung.

Erweckt die gute Meinung, ruft die seligste Jungfrau zu Hilfe und betet zu den armen Seelen im Fegfeuer. Die Gute Mutter, Maria und die armen Seelen werden euch alles geben, was ihr für die Sterbenden braucht.

D.s.b.