Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 24.09.1890: Die Notwendigkeit der Hingabe

Heute Morgen will ich euch nur ein kurzes Wort sagen, um euch zur rückhaltlosen Hingabe aufzurufen. Wir müssen uns Gott ohne Vorbehalt schenken. Wir müssen unserem Namen „Oblaten“ Ehre machen, uns Gott mit innerer Glut hingeben, nichts von unserem Ich zurückhalten, alles geben, denn das ist unser Beruf, unsere Standespflicht. Weiht Gott eure Gedanken und Affekte, alles, was in eurer Seele lebt. Es ist doch schön, Liebe im Herzen zu tragen: Gott ist die Liebe, und durch die Liebe werden wir eins mit ihm. Welchen Auftrag man auch immer euch übergibt – schaut nicht auf den Auftrag, nicht auf eure Ansichten, Vorteile und Befriedigungen. Ihr schuldet euch ohne Vorbehalt dem lieben Gott, so gebt ihm alles.

In unserem Amt, in allem, was man uns aufträgt, zum Wohle der Genossenschaft, sollen wir die Abhängigkeit üben. Dank unserer Charakterstärke, unserer Güte, Energie und Arbeitsfreudigkeit können wir der Genossenschaft viel geben. Und wir können ihr sogar noch viel mehr geben, wenn wir auch unseren eigenen Willen zum Opfer bringen, und das ohne Einschränkungen. Ich verlange jetzt nämlich von den früheren Patres von St. Bernhard dasselbe Opfer wie von den jungen Patres: Ich bitte sie nämlich, in diesem Jahr im Studiersaal der Großen die Aufsicht zu übernehmen. Dieses Studium ist nämlich dadurch etwas gefährdet, weil wir keine guten Aufseher haben, und das ruft nach Abhilfe.

Wir leben in einer schwierigen Zeit. Da ist jeder verpflichtet, sich zu vergessen, sonst geht es nicht. Wir durchleben eine Stunde, wo wir unsere ganze Persönlichkeit, unsere Energie und Opferkraft in die Waagschale werfen müssen. Ohne diesen letzten Einsatz geschieht nichts um uns her. Ist eine Maschine gut montiert, dann laufen alle Einzelteile, weil alles dem gegebenen Impuls folgt. Zur gegenwärtigen Stunde ist die gesellschaftliche Maschine abmontiert, die physikalische Welt folgt zwar noch ihrem Lauf, die geistig-moralische dagegen ist aus den Fugen geraten. Man will von Gott nichts mehr wissen. Wir spüren den Rückstoß dieser Rebellion: alles ist in Auflösung begriffen. Wenn du nun sagst: „Ich wurde auf diesen Platz gestellt, damit ich genau das tue und nichts anderes.“ Dann tue ich nur das, … dann aber, wirst du nichts Gutes leisten. Denn es ist besser, du tust gar nichts. Denn der Wille deiner Schüler greift dann nicht mehr in deinen ein, und das Ganze kommt zum Stillstand.

Ohne jeden Zweifel ist alles in einem Auflösungsprozess begriffen, und man arbeitet darauf hin, diesen Zersetzungsvorgang auf alle Bereiche auszudehnen. Die Männer an der Spitze unserer Gesellschaft stehen im Dienst des Teufels, und der Satan ist der Herr der Welt, in der Politik wie in der Erziehung. Darüber darf man sich keiner Illusion hingeben. Wir leben in einer Zeit des allgemeinen „Rette-sich-wer-kann“. Und was tut da der liebe Gott? Nie gibt er aus sich allein alle nötigen Mittel, um alles, was sein ist, neuzugestalten.

Jeder muss seine ganze Persönlichkeit in die Schanze werfen, muss bis an die Grenze seiner Kraft gehen, um die Rettung zu gewährleisten. Was ich da sage, sind keine leeren Phrasen, sie zeichnen vielmehr die Tatsache, eine sehr reale Situation. Und diese Dinge gehen nicht nur uns an, sie haben Geltung für alle Bereiche und anderswo noch mehr als bei uns. Was würde aus einem Schiff, wenn der Wachoffizier sagte: „Mein Dienst läuft um 9 Uhr ab. Jetzt ist es 9 Uhr. Zwar ist die Ablösung noch nicht gekommen, aber ich gehe jetzt trotzdem.“ Und die Ablösung kommt erst um 11 Uhr. Wir müssen mitwirken mit der Gnadenhilfe Gottes und uns hingeben bis zum Blutvergießen. Schüler sind von Natur aus immer faul. Nur ausnahmsweise trifft man fleißige. Solange die Faulheit als Laster betrachtet wurde, das man in der Beichte anklagte, und wofür man von Gott Strafe erwartete, verfügte man noch über eine solide Stütze, um die Trägheit zu bekämpfen. Heute aber scheint Faulheit keine Sünde mehr zu sein, und der ist dumm, der sich noch anstrengt. Keiner will mehr anbeißen. Dieser Geist macht sich immer mehr breit. Was tun, worauf uns stützen? Auf den lieben Gott und unsere eigene Person.

Jeder Oblatenlehrer, jeder Mitbruder, überhaupt jedermann möge diese Grundsätze zu seinen eigenen machen. Denn das große Räderwerk der Verwaltung würde sonst nicht mehr funktionieren, die Maschine nicht mehr laufen und alles auseinandergehen. Jedes einzelne Teilchen des Mechanismus muss sich aber mit-bewegen. Unsere Gesellschaft zersetzt sich, indem sie die literarischen und intellektuellen Studien zugrunde richten.

Dieser Prozess läuft mit unheimlicher Konsequenz und Verschlagenheit ab. Verlieren wir aber nicht den Mut! Im Gegenteil, stehen wir voller Begeisterung auf unserem Posten und erwarten wir das Kommen des Herrn und das Reifen der Früchte, die uns verheißen wurden. Unsere Jugendwerke sind gegründet, um der Not und Krankheit unserer Gesellschaft abzuhelfen. Und je trüber die Zeitläufe, umso treuer gehen wir ans Werk, umso mehr sind wir in unserem Element. Sprechen wir uns bei unserem Erlöser aus. Wenn er auf die Erde und auf St. Bernhard herabschaut, dann möge er wenigstens hier ein Bethanien finden, wohin er sich im Augenblick seiner Passion zurückziehen kann, um sich bei jemand auszusprechen, der ihn versteht und den er liebt. Das ist unsere Mission und sie ist sehr schön. Das ziehe ich mir nicht aus dem Ärmel, das hat uns die Gute Mutter mehr als einmal bestätigt und wir sollten daran unerschütterlich festhalten. Fassen wir also entschlossen unsere Pflichten ins Auge, wir tragen dafür ja die Verantwortung. Halten wir uns unverrückbar an den Gehorsam. Er erleichtert uns unsere Last. Nehmen wir dieses Joch großmütig auf die Schulter, ohne nach rechts oder nach links abzuweichen. Bleiben wir stark und hochherzig und beugen wir uns keiner Schwierigkeit. Das Himmelreich gleicht einem Kaufmann. Dieses Himmelreich tragen wir in unserer Seele: Das Reich Gottes ist in euch. Gott kann darin aber nicht herrschen, wenn ihr nicht wie der Kaufmann eifrig Perlen sucht. Wo sucht er sie denn? Inmitten solcher Dinge forscht er nach diesen kostbaren Perlen? Die Anwendung der Worte des Evangeliums ist überraschend. Er suchte und fand diese Perlen in dem, was der liebe Gott auch uns in die Hände legt und anvertraut, inmitten unserer schlichten Alltagsarbeiten. Da liegen die kleinen kostbaren Perlen verborgen, die wir nicht übersehen dürfen. Bei manchen Menschen sind sie nicht sehr groß, sind vielmehr hart und grobschlächtig und undurchsichtig. Suchen müssen wir sie aber auf jeden Fall, und sie dann auswerten. Halten wir während des neuen Schuljahres dieses Wort in uns lebendig. Setzen wir unseren ganzen Eifer, unsere ganze Hingabe darein, um so in die göttlichen Absichten einzudringen.

In all euren Schwierigkeiten und Versuchungen werdet ihr Hilfe finden, wenn ihr unseren Herrn in seinem Tun und Reden gut betrachtet und seine Worte und Handlungen ständig erwägt. Das tat die Gute Mutter, danach richtete sie ihr Urteilen und Handeln. Auf diese Weise erwirkte sie ihre zahlreichen Bekehrungen. Sie suchte die kostbare Perle immer dort, wo niemand sie vermutete. Sie fand sie und zog daraus großen Nutzen. Und sie hat mir erklärt, die Oblaten seien Erben ihrer Gabe…

D.s.b.