Kapitel vom 09.07.1890: Neue Initiativen und Beziehungen zur Außenwelt
„Wichtige Werke darf niemand unternehmen, noch sich verpflichten, sie zu unterstützen, bevor er die Erlaubnis des höheren Oberen erhalten hat.“
Nimmt man ein Apostolatswerk in Angriff, so übernimmt man damit zugleich die Verantwortung, die in jedem Fall mehr oder weniger auf die ganze Genossenschaft zurückfällt. Wer kann aber ein Werk ins Leben rufen, dessen Fortsetzung nicht garantiert ist?
Man sollte natürlich nicht den Geist auslöschen, der weht, wo er will. Jeder möge darum seinen Eifer und seiner Eingebung folgen. Hier sind zwei Fehler zu vermeiden: Ein Werk in Gang setzen, ohne über die nötigen Mittel zu verfügen, oder aber überhaupt nichts zu unternehmen. Das eine Mal würde die Genossenschaft in Unkosten gestürzt, das andere Mal würde sie der Kirche keine Dienste leisten. Beide Extreme werden vermieden durch den Gehorsam. Wenn selbst der Generalobere keine außergewöhnlichen Werke unternehmen darf, ohne erst Rom zu fragen, dann kann auch ein Ordensmann nichts wagen ohne Zustimmung seines Vorgesetzten.
Ein Unternehmen kann also erst dann aus der Taufe gehoben werden, wenn die Genehmigung vorliegt und die notwendigen Hilfsquellen ganz oder fast ganz erschlossen sind. Gewiss darf man auch ein bisschen auf die göttliche Vorsehung vertrauen. Nur sollte man diese nicht zu viel strapazieren. Ich möchte, dass man sich in der Genossenschaft für die Zukunft an diese Grundsätze hält. Wir planen keine Werke auf Kosten der anderen. Nicht als ob ich Geldkollekten missbilligte. Sie sind unter gewissen Umständen und in rechtem Maße gut und löblich. Gut sind sie dann, wenn ihr damit Sympathie für eure Werke weckt.
Nehmt als Beispiel das apostolische Jungarbeiter-Werk von Troyes: Die Almosen, die dafür gesammelt wurden, sind unter diesem Gesichtspunkt ausgezeichnet. Selbst wenn man sie zur Fortführung des Werkes nicht nötig hätte, müsste man m.E. mit dieser Kollekte fortfahren, weil sie dem Volk Gelegenheit geben, zahlreiche Sympathien für das Jugendwerk zum Ausdruck zu bringen und ein sehr verdienstliches Almosen zu spenden.
Worauf es mir ankommt, ist folgendes: Wir wollen vermeiden, uns in Unternehmungen und Bauvorhaben zu stürzen und an sämtliche Geldbeutel zu appellieren, um sie alle für uns in Beschlag zu nehmen. Wir dürfen die Gläubigen nicht verstimmen, indem wir ihnen das Geld gegen ihren Willen aus der Tasche locken.
Im Allgemeinen nehmen wir keine Geldsammlungen vor. Das liegt nicht in unserer Art. Wir strecken nicht die Hand aus, und nehmen nur an, was man uns aus freien Stücken anbietet. Wir bitten Gott, er möge uns Hilfsquellen erschließen und setzen unser Vertrauen auf ihn. Wir starten keine Unternehmungen ohne das nötige Kapital, sonst passiert es, dass jene, die uns kennen, und sich deshalb moralisch verpflichtet fühlen, uns Geld zu geben, wünschen, uns nicht zu kennen, während die anderen, die uns nicht kennen, sich wohl hüten, in unsere Nähe zu kommen.
Ich wünsche, dass die Kongregation sich selbst genüge. Es sollte uns eine Gewissenssache sein, in dieser Weise zu arbeiten. Und jeder sollte nicht nur arbeiten, sondern so schaffen, dass sein Mühen der Genossenschaft Nutzen bringe, dass er ihr nicht noch neue Lasten auflege, sondern ihr Gewinn verschaffe. So gut wir können, vermeiden wir Ausgaben und setzen all unsere Kräfte ein. Das müssen wir schon aus Liebe zur hl. Armut tun.
Und dann, meine Freunde: es besteht kein Zweifel, dass der Teufel in diesem Augenblick einen Kampf gegen alle Befehle und Gebote Gottes führt. Hat Gott uns nicht das Gesetz der Arbeit auferlegt? Satan will heute gegen dieses Gesetz Sturm laufen. Man debattiert viel über die Arbeiterfrage, über den „Arbeitsschutz“ wie man es nennt, und möchte die Arbeitszeit einschränken. Oberflächliche und unüberlegte Geister drängen stark in dieser Richtung, die nicht die Richtung des göttlichen Gebotes ist. Katholische Redner – das muss zugegeben werden – sind die eifrigsten Vorkämpfer in dieser Sache, und das ist ein Unglück. Ich darf offen meine Meinung sagen: Wenn man nicht arbeitet, produziert man nichts. Wir sind alle zur Arbeit verurteilt worden. Adam selbst musste im irdischen Paradies Handarbeit leisten. Die allgemeine Tendenz geht heute dahin, so wenig wie möglich zu arbeiten, und das ist eine Irrlehre, ein Übel. Aufgabe der religiösen Orden ist es da, ein Gegengewicht gegen diesen Zeitirrtum und Ungeist zu schaffen. Aus diesem Grund müssen wir Oblaten fleißig arbeiten. So erschließen wir uns die nötigen Hilfsquellen und brauchen nicht bettelnd die Hand auszustrecken. Der Orden, der sich am fleißigsten regt, wird der mächtigste sein. Ohne Zweifel wird in naher Zukunft allein die Arbeit noch etwas einbringen.
Industrie und Kapital sind mehr oder weniger gefährdet. Mögen sich darum unsere Brüder mit ganzer Kraft der Handarbeit widmen. Auch die Patres sollen, jeder an seinem Platz, sich befleißigen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, damit die Kongregation einen festen Boden unter den Füßen habe. Seien wir ein Orden von Arbeitern, die es verschmähen, von Bettelei zu leben. Ein Orden, dessen Grundlage die Arbeit ist, geht nicht zugrunde.
Das gilt für jeden Ordensmann. Ein Lehrpater möge erfinderisch sein, wie er Ersparnisse machen kann. Wenn es ihm möglich ist, so gebe er zusätzlich Nachhilfestunden. Auf jedem Posten kann man der Genossenschaft Vorteile verschaffen. Tut, was in euren Kräften steht, so gering der Nutzen auch sein mag. Sparsamkeit und Arbeit: das sei die Grundlage unseres Geistes. Man will nicht mehr, dass Grund und Boden Gewinn einbringe, dass das Kapital produktiv sei. So bleibt also nur noch die Arbeit des Arbeiters, die Früchte einbringt. Niemand wird der Arbeit jemals ihre Fruchtbarkeit rauben. Das würde eine Geistesverirrung bedeuten.
Wir selbst verfügen über kein Eigentum an Grund und Boden noch an Kapitalien. Wir haben bloß unsere persönliche Arbeit. Damit sind wir am Besten in der Lage, unser Leben und unsere Ernährung sicherzustellen. Und im gleichen Atemzug führen wir den Gegenstoß gegen den Frevel – man kann es nicht anders nennen – der daran liegt, das Gesetz Gottes verfälschen zu wollen. Halten wir uns treu an dieses Gesetz. Wir haben z.B. ein Jugendwerk auszuführen: Suchen wir dafür die erforderlichen Hilfsquellen und scheuen wir uns nicht, uns dafür zu plagen. Was auf solcher Grundlage steht, wird nicht zugrunde gehen. Das gibt eine unerschütterliche Basis im natürlichen wie im übernatürlichen Bereich. Man sollte dabei nicht zu knickrig vorgehen. Ein bisschen knausern kann nicht schaden, wenigstens, was unsere eigene Person betrifft.
Man suche bloß nicht in der hl. Schrift Einwände gegen diese Lehre, die ich da vortrage. Damit wird man kein Glück haben. Wir müssen das Gegenteil der Zeitirrtümer verteidigen, da wir ja für unsere Zeit gegründet wurden. Es ist eine sehr bemerkenswerte Tatsache, dass wir Oblaten in der Kirche fast nur Lasten zu tragen bekommen: schaut z.B. nur unsere Jugendwerke an. Nirgendwo lassen sich solche ins Leben rufen, so schwierig ist dies Unternehmen.
Auch unsere Missionen sind die allerschwierigsten. Niemand will sie übernehmen. Warum wagen wir es? Weil wir entschlossen sind, uns zu plagen. Verstehen wir das wohl, es ist ausschlaggebend. Wir sind kein zusammengewürfelter Haufe von Männern, die auf „Gut Glück“ arbeiten und kein anderes Ziel verfolgen als ein Pöstchen zu erringen und ihrer Ruhe zu pflegen. Wir müssen unserem tiefsten Wesen nach kämpferischen und arbeitsamen Geistes sein.
Der liebe Gott segnet immer die Einsatzfreudigen. Seht nur die Bösen: wenn sie sich fleißig einsetzen und planmäßig vorgehen, haben sie Glück und Gott segnet ihr Mühen mit materiellem Wohlergehen. Warum das? Weil sie ja nicht im Arbeiten ruchlos sind. Er segnet sie gerade auf dem Gebiet, wo sie tun, was er will.
Diesen Einsatz und diese Liebe zur Arbeit heißt es mit übernatürlichem Geist zu erfüllen. Der Beweggrund unseres Schaffens muss außerhalb unseres Ichs liegen. Gleichzeitig aber – und es ist gut, das zu betonen – diese Opfer sind mächtig genug, um unser Mühen mit Erfolg zu krönen. Wir haben Erfolg, nicht weil wir die Sache gut angepackt haben, nicht auf Grund unserer Talente und unseres besonderen Geistes, sondern weil wir demütig, gehorsam und nachgiebig waren, weil wir gelitten haben. Auf diesem übernatürlichen Standpunkt müssen wir stehen. Und ich füge hinzu: Gerade weil wir diese Lehre vertreten, hat uns die Kirche von Anfang an mit Wohlwollen aufgenommen.
„Einen Briefwechsel mit Fremden darf man nur mit Wissen und ausdrücklicher Erlaubnis des Oberen unterhalten.“
Handelt es sich um eine Korrespondenz der Seelenführung oder eine Geschäftskorrespondenz, die in unser Amt einschlägt, so fragen wir um Erlaubnis. Für alle übrigen Arten von Sonderbriefwechsel wollen wir uns an das halten, was hier empfohlen wird und unseren Oberen informieren.
„Man vermeide sorgfältig, Fremden mitzuteilen, was im Hause vorgeht, mag es sich um die Verwaltung oder um Einzelheiten der inneren Leitung handeln.“
Außenstehenden wollen wir nicht erzählen, was im Hause vor sich geht. Vom Hause sollte man nur Wissenswertes, Erbauliches und Angenehmes weitersagen, also nicht, was mit der Verwaltung und der inneren Leitung zu tun hat. Und schon gar nicht sollte man derlei Dinge vor anderen kritisieren. In diesem Punkt können wir gegen uns gar nicht streng genug sein. Solcherlei Unterhaltungen sind sehr schädlich. Sie entfremden unsere Gesprächspartner unserer Genossenschaft. Und sich selbst setzt man der Gefahr aus, auf die schiefe Bahn zu kommen und den Beruf zu verlieren.
Unsere Patres vom Rio-Bamba, auch von Pella und von vielen Seiten, bitten um neue Mitbrüder zu ihrer Unterstützung. Beten wir also zum lieben Gott, uns frischen Nachwuchs zu schicken. Es wäre ein Beweis, dass Gott die Kongregation segnet. Auch jeder einzelne von uns bemühe sich um neue Berufe. Opfern wir in diesem Anliegen all unsere Mühen, Leiden und Widersprüche auf, die die väterliche Hand Gottes uns auferlegt. Denn darin liegt das große Geheimnis, von ihm alles zu erlangen.
D.s.b.
