Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 02.07.1890: Die Beziehungen zu Fremden

„Die Arbeit in der Seelsorge nötigt uns, mit der Außenwelt zu verkehren. Dabei muss uns der Gedanke begleiten, dass wir das Licht unseres Herrn in uns tragen, den Wohlgeruch seiner Tugenden verbreiten und durch unser Benehmen mehr noch als durch Worte predigen müssen.“

Dieser Artikel bedarf keines Kommentars. Er muss nur gut befolgt werden, um gut verstanden zu werden. Nichts erregt mehr Anstoß als ein Priester oder Ordensmann, der einen zerstreuten und mondänen Eindruck macht, unbescheiden in seinem Auftreten, vorwitzig in seinen Blicken und ungeziemend in seiner äußeren Haltung ist. Wie leicht gibt man schlechtes Beispiel, ohne es zu wollen. Wenn wir schon Mitbrüder mit Zurückhaltung begegnen sollen, wie viel mehr Weltmenschen. Vermeiden wir grundsätzlich jede Vertraulichkeit mit ihnen. Ich will nicht sagen, man solle einen ungezwungenen Eindruck machen. Damit würde man nur die anderen ebenfalls unsicher machen. Legt vielmehr ein natürliches, ungezwungenes und gefälliges Benehmen an den Tag, ohne euch gegen zu lassen oder allzu vertraulich zu werden. Achtet insbesondere auf eure Blicke, denn damit erregt man am ehesten Anstoß und kann seinem Ruf für immer schaden.

Diskretion und Bescheidenheit im Äußeren gewinnt uns das Vertrauen der Menschen, während Nachlässigkeit im Äußeren auf Weichlichkeit und Mangel an Keuschheit schließen ließe. „Castus“ (Anm.: „keusch“) hat dieselbe Wurzel wie „castrum“, das einen verschlossenen, befestigten Platz bedeutet. Es kommt also darauf an, sich in bestimmten Grenzen und Regeln freiwillig „einzuschließen“. Beobachtet wohlerzogene Menschen, wie sich bei ihnen alles nach Vernunft und in festen Schranken vollzieht. „Wohlerzogene Menschen“ sage ich: Gestern sprach ich mit dem Vater eines unserer Schüler, mit dem Senator Buffet. Es bereitete mir ein unvergleichliches Vergnügen, an ihm seine vollendete Erziehung, seine Art, sich zu geben, zu sprechen, und jedes Ding einzuschätzen, zu beobachten und zu bewundern. Soweit sollen wir Ordensleute es auch bringen.

Welches ist die vollendetste Höflichkeit der Welt? Doch die des Ordensstandes. Denn sie ist zarteste Aufmerksamkeit, ist die bestverstandene und wertvollste, weil sie ganz auf Wahrheit und Liebe beruht. Sie führt unmittelbar zu Gott und ist darum echte Tugend. Versteht wohl diesen Unterschied!

Der springende Punkt, auf den es ankommt: mit unserem irdischen Leben bauen wir das ewige auf. Jede Handlung dient als Baustein, den es gut zu behauen und zu formen gilt, dass er seinen Platz auch wohl ausfülle. Gerade durch unser Reden und unser äußeres Benehmen fügen wir Stein auf Stein zu diesem Gebäude, soweit es unser Verhältnis zum Nächsten betrifft.

Das heißt es vor allem beachten im Umgang mit frommen Menschen, mit Ordensfrauen, mit Frauen und Mädchen. Die Wirkung eines wohlerzogenen, beherrschten Äußeren auf fromme Menschen, ja, auf alle, ist ungeheurer. Manch ein Sterbender verlangt lieber nach diesem Priester als nach einem anderen. Warum? Vielleicht sahen sie ihn nur auf der Straße vorbeigehen. Sein Äußeres hat sie beeindruckt… Ich spreche hier nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern.

Davon erlebte ich einmal ein treffendes Beispiel. Oft hatte ich viel Rühmliches von einem Marinepfarrer gehört. Offiziere hatten mir seine hohen Qualitäten und seinen großen Einfluss auf die ganze Schiffsbesatzung in ungewöhnlichen Ausdrücken geschildert. Ich stellte mir also einen hochgewachsenen Mann vor, halt einen richtigen Marineoffizier. Wie überrascht war ich, als ich ihm eines Tages begegnete und ein kleines Männchen vor mir hatte, ungemein einfach und bescheiden, fast etwas schüchtern, vor allem aber sehr fromm. Wie man sich doch täuschen kann!

Ja, oft verlangen junge Menschen auf dem Sterbebett einen bestimmten Priester, weil sie sein Äußeres beeindruckt hat. Ich frage mich, ob die Beweggründe dieser Menschen nicht zur Hälfte auf der bloßen äußeren Gestalt dieses Priesters beruhen, gerade, was die Männer und jungen Leute betrifft. Das beweist die Wichtigkeit der äußeren Bescheidenheit.

Die Satzungen sagen: „Wir müssen durch unser Äußeres mehr noch als durch unsere Worte predigen.“ Wir dürfen also als gesicherte Wahrheit betrachten, dass wir durch unser äußeres Auftreten ebenso, ja mehr als durch unser Inneres und durch unsere Worte predigen. Wir tragen Gott in unserem Herzen und in unserer Seele. Etwas davon wird auch im Äußeren zum Aufleuchten kommen: Christus im (oder am) Leibe tragen. Wir sollen also Christus sogar in jenem Teil unserer Person tragen, die als gröbster und plumpster am weitesten von geistigen Ideen entfernt ist. Bei der Bescheidenheit Christi beschwor der hl. Paulus die ersten Christen. Bescheidenheit bedeutet aber die Art und Weise, sich zu verhalten, sich zu kleiden, zu essen, unser gesamtes äußeres Verhalten. Bedenkt bloß die Wirkung, die von der Bescheidenheit Christi auf seine Zeitgenossen ausging!

Es soll nicht unser Bestreben sein, absichtlich solch einen Effekt hervorzurufen. Damit würden wir uns nur lächerlich machen. Achtet vielmehr darauf, nirgendwo anzustoßen und die Fehler zu vermeiden, die ihr an euch feststellen konntet. Die Wirkung stellt sich dann von selbst ein, ohne dass ihr erst lange eure Blicke und euren Gang studieren müsstet. Unnötig, an das Wort des hl. Franziskus an Bruder Leo zu erinnern: „Gehen wir predigen!“ Mit wie vielen Menschen sprechen wir in unserem Leben, wie viele hören uns? Vielleicht 2000-3000. Wie viele aber sind es, die uns sehen und vom guten Eindruck unserer Gegenwart profitieren? Vielleicht 100000-200000!

Insbesondere auf der Straße und in der Kirche, ja sagen wir kurz an allen Orten tut ein gutes Benehmen not. Haltet euren Körper also gerade, stütz die Ellenbogen nicht auf den Betschemel! Schon am Äußeren erkennt man den echten Oblaten. Benehmt euch in den Familien, in die ihr kommt, stets korrekt, und höflich. Habt ihr mit Untergeben zu tun, so bleibt euch selber treu, selbst wenn diese aus der Rolle fallen. Das ist ein wichtiger Punkt und schwer auszuführen.

Im Umgang mit dem Klerus befleißigt euch großer Einfachheit und Herzlichkeit, wie es sich Mitbrüdern gegenüber gehört. Drängt euch nicht vor, seid bescheiden! Verbannt aus eurer Unterhaltung eine gewisse Art von Kritik und übler Nachrede. Wie leicht tadelt man doch den anderen! Alles, was man selber unternimmt, ist fehlerlos. Alles andere taugt nichts. Hätten wir nicht die Stütze des Ordenslebens, würden wir vielleicht einen weniger erbaulichen Lebenswandel führen als der Großteil der Weltpriester. Erliegen wir also keiner Selbsttäuschung. Man tadelt die Gewohnheit der Weltpriester, monatlich zu einer Konferenz zusammenzukommen, zu essen, zu trinken, und zu scherzen… Tut man ihnen damit nicht Unrecht? Sie tun eben, was sie können. Wir würden an ihrer Stelle nicht anders handeln. Will unsere Kongregation etwas Gutes hervorbringen, dann wird ihr das nur möglich sein kraft der Nachsicht und des Wohlwollens, das sie jedermann entgegenbringt. Machen wir uns doch die Art unseres hl. Gründers zu urteilen und seinen versöhnlichen Ton zu Eigen.

„In weltlichen Angelegenheiten, besonders in Heirats-, Börsen-, Testamentsangelegenheiten und politischen Fragen sollen wir uns nicht einlassen.“

Unser Herr hat nicht umsonst gesagt: Lasst die Toten ihre Toten begraben! Jeder Mensch hat seine besondere Sendung und Gnade. Priester und Ordensleute huldigen einer falschen Vorstellung, wenn sie meinen, sie hätten die Standesgnade, alles zu entscheiden und zu regieren. Väter und Mütter wissen in Ehefragen besser, was zu tun ist. Unsere Qualität als Priester und Ordensleute verleiht uns nicht das Charisma, Dinge zu regeln, die uns nichts angehen. Von außergewöhnlichen Umständen abgesehen, lassen wir die Laien in Heirats-, Testaments- und Erbschaftsangelegenheiten selber entscheiden, wie es ihnen gut und recht dünkt. Manche Priester möchten wirklich alles regeln, lenken und beherrschen. Vielleicht aus guten Beweggründen. Aber in den meisten Fällen geht es schief. Während meines ganzen Lebens hörte ich sagen, dass nichts Unglücklicheres sei als Ehen, die durch Priester zustande kamen. Haltet ihr es für notwendig, euch in eine der genannten Angelegenheiten einzulassen, dann betet viel, hört gut zu, was die Leute, die sich an euch wenden, wünschen, und lasst sie dann machen, was sie wollen, es sei denn, sie treffen Entscheidungen, die ihren Pflichten und Gottes Geboten widersprechen. In diesem Fall sagt eure Meinung. Wie oft schon gaben Priester und Ordensleute verkehrte Weisungen. Stattdessen hätten sie sich an den lieben Gott im Gebet wenden sollen, dass er ihnen die nötige Erleuchtung schenke.

„Wichtige Werke darf niemand unternehmen, noch sich verpflichten, sie zu unterstützen, bevor er die Erlaubnis des Oberen hat.“

Das versteht sich von selbst. Um ein wichtiges Apostolatswerk auf die Beine zu stellen, bedarf es großer Fähigkeiten, eines klugen Urteils und häufig auch reicher Hilfsquellen. Wie will man ein bedeutendes Unternehmen zu Ende führen, ohne der Unterstützung des Gehorsams sicher zu sein? Der Gehorsam schafft mehr als alle Bemühungen eines großen Eifers.

„Einen Briefwechsel mit Fremden darf man nur mit Wissen und ausdrücklicher Erlaubnis des Oberen unterhalten.“

Diese Vorschrift ist wichtig. Briefe einer Ordensperson sollten so abgefasst sein, als fielen sie in indiskrete Hände, als würden sie von allen Menschen gelesen und vom Petit-Troyen (Anm.: „offenbar eine Zeitung in Troyes“) veröffentlicht. Schreibt also nichts Unpassendes, und vermeidet selbst im Ausdruck alles, was Anstoß erregen und der klösterlichen Würde zuwiderlaufen könnte.

D.s.b.