Kapitel vom 28.05.1890: Die aszetischen Übungen
„Kleider, Bücher und Einrichtungen, die ihnen zum Gebrauche dienen, sollen sie sorgfältig behandeln. Denn Arme sind mehr als andere verpflichtet, die ihnen anvertrauten Dinge in einem guten Zustand zu erhalten.“
Diese Aszese in unserer Kleidung, in den Büchern, in allem, was uns zum Gebrauche dient, wollen wir gerne auf uns nehmen und die Dinge, die man uns überlässt, mit Sorgfalt behandeln. Wir sind Arme und wollen wie Arme mit den Dingen umgehen. Alle diese Dinge, die sich so unbedeutend ausnehmen, haben ihr Gewicht. Oder ist es ein beharrlicher Wille, der sich Gott großmütig ausliefert, nicht etwas ganz Großes? Gerade durch diese vielen, kleinen Dinge, die wir den ganzen Tag über für ihn tun, schenken wir uns Gott vorbehaltlos. Aufgrund unserer inneren Absicht und Einstellung werden wir sein Eigentum.
In der großen Kartause erlebte ich einmal etwas Erbauliches: Der dortige Novizenmeister war mein alter Mitseminarist von Troyes. In seiner Zelle bemerkte ich auf einem Blatt Papier zwanzig Johannisbeeren ausgebreitet. „Oh, welch ein Reichtum!“ rief ich aus. „Jawohl“, gab er mir zur Antwort, „hier gibt es kaum andere Früchte. Der liebe Gott schenkt uns diese. Darum sammeln wir sie sorgfältig, denn Arme dürfen nichts verschwenden.“ Dieser Kartäuser war aber nicht irgendein Beliebiger. Diese Sparsamkeit lag ganz und gar nicht in seinem Charakter. Von Natur aus hätte er lieber Großtaten vollbracht und Kleinigkeiten verachtet.
Geben wir also recht Acht, nichts zu verlieren oder zu verderben, sei es ein Buch, ein Blatt Papier, oder aber ein Stück Holz. All das gehört dem lieben Gott und verdient Ehrfurcht wie etwas Heiliges. Denn was immer einem Ordensmann zum Gebrauche dient, ist heilig und geweiht und vor allem heiligend!
„In der Nahrung folge man nicht seinem Geschmack und seiner Neigung. Man übe die Abtötung, wie die Satzungen sie vorschreiben.“
Was die Nahrung betrifft, so richte man sich nach dem, was unser Herr tat: essen, was uns vorgesetzt wird und dessen eingedenk sein, dass die großen Heiligen sich gerade im Speisesaal geheiligt haben. Es liegt in der Tat eine ganz besondere Gnade in der Abtötung der Gaumenlust und in der inneren Bereitschaft, sich hierin zu überwinden. Die Seele, die sich da aufmerksam und treu erweist, erhält von Gott Großes. Befleißigt euch auch im Refektorium einer korrekten Haltung.
Das heißt für die Praxis: die guten alten Regeln des feinen Anstandes wieder lebendig werden zu lassen. Behaltet nicht Messer und Gabel in der Hand, wenn ihr sie nicht braucht. Führt nicht Messer und Gabel gleichzeitig zum Mund, wie es die Chinesen mit ihren zwei Stäbchen tun. Gestikuliert beim Tischgespräch nicht mit dem Besteck in der Luft herum. Dieses Sichgehenlassen würde bei einem Ordensmann anstößig wirken.
Ein Ordensmann lege sich immer etwas Zwang auf. Beugt euch nicht über euren Teller, es sei denn, ihr seid kurzsichtig. Stützt die Ellenbogen nicht auf den Tisch. In Familien mit guter Kinderstube achtet man auf all diese Dinge, und in echt christlichen Familien sind solche Anstandsformen selbstverständlich. Uns verpflichten diese Regeln der guten, alten Etikette im Gewissen. Wir verstießen sonst gegen unsere hl. Regel. Darauf wollen wir besonders achten, wenn wir auswärts essen. Damit beweisen wir unsere Ehrfurcht vor der Gegenwart Gottes und ziehen uns selbst die Hochachtung der anderen zu. Hüten wir uns ebenso vor Hast und Gier wie vor dem Zurschautragen einer Büßermiene. Geben wir uns ganz einfach. Unsere Haltung bei Tisch sei – um es noch einmal zu sagen – äußerst korrekt. Wir beobachten die Regel der weltlichen Höflichkeit ebenso exakt wie die des christlichen Wohlanstandes.
In allem zeigen wir uns beherrscht: Die einen spielen gerne den Anspruchsvollen und Schwierigen in allem, was ihnen vorgesetzt wird, die anderen würden am liebsten alles heißhungrig hinunterschlingen. Wir lassen uns nicht anmerken, was wir innerlich empfinden. Wir essen schlicht und frei, was man uns anbietet. Wer einen gesunden Appetit hat, der esse mehr, wer keinen Hunger hat, nehme weniger. Steht nie vom Tisch auf, ohne euch positiv oder negativ abgetötet zu haben.
Denkt dabei an die Worte unseres hl. Stifters im Direktorium: der Heikle wie der Gierige fassen beim Betreten des Refektoriums einen kräftigen Vorsatz. Der eine denke an die Galle, die man dem Herrn am Kreuze reichte, der andere an die strengen Buß- und Fastenübungen der Wüstenväter… Seht, auf welche Einzelheiten der hl. Franz v. Sales eingeht! Erachten wir es darum nicht unter unserer Würde, diese Einzelheiten zu beachten und auszuführen.
„Darum steht es ihnen nicht frei, ihre Gedanken mit unnützen, sinnlosen oder gar gefährlichen Dingen zu beschäftigen.“
Man kann nicht ohne Unterbrechung beten oder arbeiten. Der hl. Ephräm rät, an gute Dinge zu denken, damit für schlechte kein Raum und keine Zeit verbleibe… Denn mit irgendetwas will unser Geist beschäftigt werden. Man kann ihn durch einen guten Gedanken oder ein angenehmes Studium ablenken. Bauen wir uns keine Schlösser in Spanien und geben wir uns auch keinen müßigen Erwägungen hin, vor allem aber keinen politischen Spekulationen und Unterhaltungen. Bleiben wir schön an unserem Platz: unsere Rolle ist klein und einfach. Beginnen wir damit, gut zu tun, was wir zu tun haben, und verbessern wir uns selbst, bevor wir uns daran machen, die Welt zu verbessern. Lassen wir uns nicht durch die Arbeit der anderen von der eigenen ablenken. Vergeuden wir keine Zeit mit nutzlosen und eitlen Gedanken. Das Direktorium will es nicht!
Im Gespräch mit Fremden lasst uns stets die Ratschläge unseres Direktoriums im Auge behalten. Oft erwarten die Mitmenschen von uns ein ermunterndes und erbauliches Wort, das sie Gott näherbringt. Unser Mitmensch hat wenigstens darauf Anspruch, durch ein Wort, durch unsere Miene, durch unser ganzes Wesen aufgerichtet zu werden. Sagt ihm dieses gute Wort nur in dem Maße, als er dafür aufnahmefähig ist und predigt ihm nicht gelegen oder ungelegen. Wäret ihr in dieser Hinsicht den Schülern gegenüber nicht klug zurückhaltend, sie würden eure Worte bald als abgedroschenes Zeug abtun. Sagt darum nur wenig von Zeit zu Zeit, und zwar nur so, wie es sich ganz von selbst ergibt. Trägt man den lieben Gott im Herzen und den Hl. Geist in der Seele, so wird man von Gottes Geist geleitet, und was man sagt, fällt immer auf gutes Erdreich.
„Eines dürfen sie nicht vergessen: Die Überwindung, die die genaue Erfüllung der Satzungen erfordert, macht einen wesentlichen Teil der regelmäßigen Abtötung der Genossenschaft aus. Dadurch müssen sie das Fasten…strenger Orden ersetzen.“
Setzt man Satzungen und Direktorium ohne Abstriche in die Praxis um, dann hat man sich über einen Mangel an Abtötung nicht zu beklagen. Und dabei handelt es sich um eine wirksamere und verdienstvollere Abtötung als es alle anderen sind. Die strengen Bußübungen mögen gut sein – sie besitzen nicht diesen wesentlichen und realen Wert wie die ununterbrochene Buße, die in der Treue zum Direktorium liegt. Mit diesen Werten erkaufen wir uns den Himmel. Jetzt tut einem der Fuß im Schuh weh, dann stimmt etwas an unserem Kleid nicht, dann wieder fühlt man sich sonst wie unpässlich: lassen wir diese Kleinigkeiten nicht vorübergehen, ohne daraus Nutzen zu ziehen.
Durch all das vereinigen wir uns mit Gott, heiligen uns, und sogar sehr schnell. Da habt ihr in wenigen Worten die ganze salesianische Doktrin zusammengefasst. „Ich habe wenig geleistet“, sagte unser hl. Gründer. „Und käme ich noch einmal auf die Welt, täte ich nichts mehr als leiden und alles aufopfern.“
„Sie mögen diesen Abschnitt der Satzungen für sehr wichtig halten. Denn sie sind in der Kirche Gottes vollkommen unnütz, wenn sie ihrem hl. Stifter nicht innerlich und äußerlich ähnlich werden.“
Die Schwester Maria-Genofeva, in die ich großes Vertrauen setze, weil sie mir immer handgreifliche Dinge ankündigte, die in zehn oder zwölf Tagen in Erfüllung gehen sollten, sagte mir eines Tages: „Unser hl. Stifter weilt beim lieben Gott. Ich sehe, dass ihm Gott jetzt viel mehr Gnaden zuteilt als zu seinen Lebzeiten. So vielen teilt er davon mit… Viele sind berufen, ihm ähnlich zu werden.“ Das sagte sie mir zwanzig Jahre vor seiner Erhebung zur Würde eines Kirchenlehrers. „Was er gelehrt hat“, fuhr sie fort, „das wiederholen jetzt alle. Und die Kirche will, dass man ihm Glauben schenke. Ich weiß nicht, wie das geschehen soll… Ich sehe aber, dass ihm großer Ruhm zuteilwird wegen seiner Lehre, wegen seiner Haltung und seiner Taten.“
Schwester Genofeva war Küchengehilfin und erregte in ihrer Umgebung etwas Eifersucht. Wer ist schon vollkommen auf Erden? „Sie ist eine Heilige“, hieß es. „Jedenfalls wird es behauptet. Demnach verträgt sie dies und jenes sehr gut.“ Sicher geschah das nicht aus Bosheit, aber es geschah doch. Niemals hörte man eine Klage aus dem Munde der guten Schwester. Sie war krank, doch ihr Antlitz blieb heiter, ihr Charakter ausgeglichen, und ihre Sammlung vollkommen. So sollte auch unser Leben, unsere Unterhaltung, und unser Umgang beschaffen sein.
Ich empfehle den Gebeten der Kommunität die abwesenden Patres. Erflehen wir für unsere ganze Genossenschaft im Gebet, bei der hl. Messe und Kommunion, den Hl. Geist. Er sei unser aller Licht, Stärke, Trost, Liebe, ein wahrer Paraklet.
D.s.b.
