Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 21.05.1890: Die religiöse Aufrechterhaltung

Das Verhalten gegen sich selbst. „Die Oblaten des hl. Franz v. Sales haben die besondere Aufgabe, Handel und Wandel unseres Herrn auf Erden nachzuahmen und darzustellen. Deshalb müssen sie sich bemühen, das Bild des göttlichen Heilands ihrem Inneren stets von neuem einzuprägen.“

Dieser Abschnitt drückt alles aus, wozu wir Oblaten geworden sind. Jeder Orden hat sein eigenes Ziel und seinen Daseinszweck: Apostolat, Krankenpflege, Unterricht oder was es sonst sein mag. Unser Ordensideal ist es, Handel und Wandel unseres Herrn darzustellen. Die Satzungen räumen jede Art von seelsorgerlicher Betreuung ein. Wir sind in die Welt gesandt, um Gottes Werke zu vollbringen. Unsere Physiognomie, unser geistiges Gepräge wird nicht bestimmt von der Art unserer Arbeiten, sondern von der Übereinstimmung unseres Tuns und Lassens mit dem Herrn. Mag der Oblate für die Handarbeit bestimmt werden oder für das Studium der Theologie, für die Wissenschaften, die Seelsorge, dem Unterricht oder die verschiedenen Werke des Apostolates, gleich welchen Funktionen er zugeteilt wird, er übernimmt eine jede, wie der Gehorsam sie ihm zuweist. In all diesen Arbeiten will er nur Oblate sein, will nur tun und sagen, was unser Herr gesagt und getan hätte, will nur in allem seine Denk- und Handlungsweise nachahmen und darstellen. Das ist unser Hauptanliegen und unsere Hauptsorge, unser einigendes Band und gemeinsames Werk, das ist es, was uns zu Oblaten macht. Man sagt nicht umsonst, die Heimsuchungsschwestern gleichen sich alle. Sie haben dieselbe Art sich zu geben, weil sie alle nach dem Direktorium geformt sind, weil sie also alle mit Gott vereinigt leben. Die Haltung unserer Seele, unseres Willens, muss so stark ausgeprägt sein, dass es auch äußerlich in Erscheinung tritt und all unseren Worten und Handlungen, unserem Benehmen und unserem Äußeren den Stempel aufdrückt.

„Wir sollen uns vor jener Freiheit des Blickes hüten, die besonders in der Kirche und bei hl. Verrichtungen Leichtfertigkeit verriete.“

Unsere Art dreinzuschauen sei einfach und ungezwungen, bescheiden und frei von übertriebener Askese, die uns nur lächerlich machen könnte. Man begegnet mitunter selbst hochgestellten Persönlichkeiten und würdigen Ordensleuten, die ihre Augen merkwürdig verdrehen. Seien wir doch einfach wie unser hl. Gründer. Er schielte ein bisschen und bekannte von sich: „Ich sehe zwar die Welt ein wenig schief, doch in meinem Herzen sehe ich doch noch ganz richtig.“ So wollen wir auch jedermann gerade in die Augen schauen, nicht nur geistig im Herzen drin, sondern auch äußerlich mit unseren leiblichen Augen, da wir ja nicht die Augen unseres hl. Stifters haben.

Das schließt natürlich alle Leichtfertigkeit in den Blicken aus. Schauen wir nie unanständige Dinge an. Freizügigkeit in den Blicken des Ordensmannes kann Ärgernis erregen. Frauen dürfen wir nicht auf keine gewisse Art und mit Neugier anschauen. Mag es auch in sich keine Sünde sein, so wirkt es doch anstößig. Wenn ein junger Mann einer Frau oder einem Mädchen unkeusche Blicke zuwirft, so mag das nicht einmal sonderlich auffallen. Beim Priester würde schon ein neugierig musternder Blick befremden. Seid also einfach in eurem Umhersehen, so als ob ihr in der Kleidung und noch mehr in der Person nichts Besonderes bemerktet. „Macht es wie die Kinder“, sagt unser Herr. Schon ein leichtfertiger oder vorwitziger Blick würde euch übler vermerkt werden als einem Weltmenschen ein herausfordernder oder gar unzüchtiger Blick. Überall sieht man heutzutage schlechte Statuen und anstößige Bilder. In allem, was gebaut wird, muss ein unanständiges Standbild aufgestellt werden. Ein Mädchen aus unserem Heim für Jugendarbeiterinnen brachte mir neulich ihr kleines Vermögen: ein Lotterielos für die Weltausstellung. Das ist geradezu schändlich. Nur ein Schwein kann sich derartige Gemälde vorstellen. Schauen wir derartige Produkte und in den Schaufenstern nicht an!

„Sie sollen sich bewusst sein, dass sie stets vor den Augen Gottes sind. Darum werden sie sorgfältig jede Nachlässigkeit und Unbeherrschtheit in der Haltung vermeiden. Gang, Gebärden und Benehmen müssen dem religiösen Ernst entsprechen.“

In unserem Auftreten wollen wir uns einer einfachen Gangart befleißigen, der jede Anmaßung und Schwerfälligkeit fernliegt. Wir lassen die Arme nicht herumbaumeln, und fallen nicht wiegend und watschelnd von einem Bein aufs andere. Auch beim Sitzen bleiben wir beherrscht, lehnen uns in Gegenwart einer Respektsperson nicht träge an die Rückenlehne, strecken die Beine nicht von uns und schlagen sie nicht übereinander. All das würde uns übel vermerkt werden. Trotz aller Einfachheit und Bescheidenheit hafte unserer Haltung ein gewisser feiner Anstand an. Das Mittel hierfür: der Gedanke, dass wir jederzeit unter den Augen Gottes stehen.

Der hl. Franz v. Sales sprach mit seinen Hausangestellten stets sehr ehrfürchtig. Auch wir wollen uns jedem Menschen gegenüber einen kleinen Zwang antun. Unsere Arme lassen wir beim Körper und strecken sie nicht von uns. Mit dem Stuhl wippen wir nicht und halten auch die Beine nebeneinander, statt übereinander. Die Menschen können uns ja nur nach dem Äußeren beurteilen. Aus Ehrfurcht vor dem Bild unseres Herrn, das wir in uns darzustellen suchen, legen wir uns gern diesen kleinen Zwang auf. Er bildet ja einen Teil unserer Standespflichten. Gewiss sind alle Ordensleute dazu verpflichtet, für uns Oblaten ist das aber eine absolute Notwendigkeit, die uns im Gewissen bindet. Ist man auf seinem Zimmer und fühlt sich abgeschlagen und matt, so darf man sich etwas entspannen und diesen äußeren Zwang etwas abstreifen. Aber vor jedem anderen müssen wir uns stets bewusst bleiben, dass wir ihm aus Liebe zu Gott Achtung und Ehrerbietung schulden.

Eine gute äußere Haltung ist im Ordensleben etwas Großartiges. In der Kartause von Bosserville sah ich einen Fürsten, den Vetter der Königin von Spanien. Schon an seiner Haltung erkannte man, dass er ein hl. Ordensmann war. Er war die Höflichkeit und feine Erziehung in Person. Bei ihm sah ich drei junge Männer vom Land. Der eine bereitete Käse, der andere besorgte die Klosterwäsche, und der dritte versorgte die Kühe und noch übler Riechendes. Sie schritten so demütig, abgetötet und ehrfürchtig dahin, dass man sich sagte: „Da geht die Heiligkeit in Person.“ Die klösterliche Buße hatte diese drei Bauernburschen und den Fürsten auf dasselbe Erziehungsniveau erhoben.

Auch wir sollen nach dem Wort der Guten Mutter den Heiland darstellen, wie er über die Erde zog, und sie hatte hinzugefügt: „Wie schön wird das sein!“

„Ihre Kleidung soll sauber, ordentlich und gepflegt sein, aber nicht gesucht und dem Weltgeist gemäß!“

Darüber haben wir alle unser Gewissen zu erforschen, ich allen voran. Die Übung der hl. Armut ist gewiss sehr verdienstlich, die Nachlässigkeit hingegen nicht. Auch das geht nicht ohne eine kleine Anstrengung. Bei der Bescheidenheit Christi beschwor der hl. Paulus die ersten Christen. Bescheidenheit, d.h.: Ordnungsliebe, Sauberkeit, Maß, etc. Prüfen wir unser Verhalten und ändern wir, was reformbedürftig ist.

Das Pfingstfest naht. Es wird gut sein, wenn jeder beim hl. Messopfer, bei der Betrachtung, und Kommunion den Hl. Geist auf sich selbst wir die ganze Kongregation und alle ihre Unternehmungen herabruft. Unser Herr hat durch seine Menschwerdung die Erlösung der Seelen bewirkt. Er hat uns losgekauft, die Kaufsumme entrichtet, die als Lösegeld für alle diente. Der Hl. Geist ist beauftragt, die Gnaden der Erlösung auszuteilen. Er teilt das Leben mit und bringt jede Seele zum Fruchttragen. Sein Geist schmückte die Himmel aus. Es verleiht den Seelen ihre Vollkommenheit. Die Andacht zum Hl. Geist bringt reiche Früchte hervor. Rufen wir ihn zu Beginn all unserer Handlungen an, vergessen wir nicht, dass Pfingsten nicht bloß ein Erinnerungsfest ist, sondern eine Erneuerung der ersten Geistsendung, ein Herabkommen des Hl. Geistes auf uns. In der Firmung haben wir ihn auf eine besondere Weise erhalten. Die Gnade möge wieder in uns aufleben, und zugleich mit ihr die Gnaden unserer ersten Gelübdeablegung wie unserer Weihen. Rufen wir in diesen Tagen den Hl. Geist also häufiger und inniger an und bitten wir ihn, er möge uns erleuchten, führen und umgestalten.

D.s.b.