Kapitel vom 26.03.1890: Über die Freizeit
„Wo immer man sich in der Freizeit zum Gespräch zusammenfindet, zeige man ein heiteres, ungekünsteltes Wesen.“
Jedes Mal, wenn Oblaten zusammen kommen, verhalten sie sich als echte Mitbrüder und wahre Freunde im Herrn. Die Verschiedenheit der Charaktere findet ihre Einheit im Gesetz der Liebe.
Jede Auseinandersetzung ist natürlich nicht verboten. Man kann verschiedener Meinung sein und eine Klärung über diesen oder jenen Punkt suchen, in der Literatur wie in der Wissenschaft. Verpönt sind lediglich das Kritisieren von Personen und der politische Streit. Lesen wir darum keine politischen Tagesblätter. Es gibt noch Kollegien, wo man solche liest. Ich verbiete es. Man soll keine lesen. Es ist purer Zeitverlust. Selbst das beste politische Blatt taugt nichts. Für Weltleute mag es noch hingehen. Irgendeiner muss ja für die gute Sache kämpfen, weil der Journalismus heutzutage solch eine Macht darstellt. Sollte später einmal ein Oblate durch Gehorsam beauftragt werden, an einer politischen Zeitung mitzuwirken, dann wird er es tun so wie ein anderer in der Sexta unterrichtet oder Rüben und Kohl anpflanzt, wenn man es ihm befiehlt. Davon aber abgesehen, will ich nicht, dass man politische Zeitungen liest. Es ist Zeitverlust und eine große Erniedrigung, denn eine Zeitung macht die Gefühle und Gedanken ihrer Leser zu bloßen Spielbällen. Man ist auf Gedeih und Verderb seinem Leibblatt ausgeliefert. Hält nicht heutzutage die schlechte Presse die Welt am Gängelband? Neben mir wohnen zwei alte Frauen. Immer, wenn ich vorbeigehe, lesen sie ihr Leibblättchen, die „Laterne“. Besser täten sie, den Rosenkranz zu beten. Noch vor wenigen Jahren hätten sie statt der „Laterne“ jetzt in der Fastenzeit im Evangelium gelesen. Doch die Tagesblätter machen sich alles untertan. Es gibt ein Land, das sehr gut geblieben wäre, das aber mehr und mehr durch seine Zeitungen ruiniert wird: die Schweiz. In Genf liest jeder Gebildete vier Zeitungen, sagte mir der Bischof Mermillod. Er selbst gibt eine davon heraus und hält die drei anderen. Unsere Hilfsquellen und Aktionsmittel sind nicht die Zeitungen, sondern das Gebet und die Gottvereinigung. Das Direktorium ist unsere Tageszeitung. Damit bleiben wir immer siegreich. Ich möchte euch einen wahren Abscheu vor der Tagespresse einflößen, natürlich nur euch persönlich. Eure Beichtkinder brauchen Zeitungen. Ihr sollt euch nicht scheuen, ihnen die Lektüre dieses oder jenes Blattes zu empfehlen. Wenn wir aber selber welche lesen, dann ziehen die Friedensengel aus unsrer Mitte fort, und die göttlichen Hilfsquellen versiegen.
„Aber Herr Pater“, werdet ihr einwerfen, „was Sie da sagen, ist gut für alte Frauen.“ Nun, vielleicht weniger für alte Frauen als für Kinder. Und wären wir sehr klug, wenn wir es den Kindern gleichzutun suchten und uns nicht mit Dingen befassten, die nicht zu unserem Ressort gehören. In jedem Haus soll eine wissenschaftliche Monats- oder Wochenzeitschrift aufliegen. Jene aber, die Seelen führen und predigen müssen, können nicht umhin, sich etwas dafür zu interessieren, was draußen in der Welt vor sich geht: die „Kirchenzeitung“ genügt im Allgemeinen, um die wichtigsten Vorkommnisse der Woche zu erfahren. Doch von den politischen Blättern halten wir unsere Finger fern. Sie werden meist von wenig ehrbaren Leuten geschrieben. Wie beschämend ist es doch, seine Ansichten bei ihnen zu beziehen!
„Man darf nichts sagen oder tun, was die anderen beleidigen könnte, darf sich aber auch selbst nicht durch ihre Worte oder Handlungen zeigen.“
In der Seele gibt es wie im Körper schwache Stellen. Am Körper tut uns einmal der Arm, ein andermal der Kopf weh. So hat auch unsere Seele wie die der Mitmenschen immer eine schwache Stelle. In unseren Ansichten oder in unsrem sittlichen Verhalten bleibt immer etwas zu wünschen übrig. Seid ihr mit Mitbrüdern zusammen, dann vermeidet mit Rücksicht auf ihre Schwächen, was sie verletzen könnte. Habt ihr es dennoch einmal getan, dann sagt ein kleines Wort, um alles wieder einzurenken, ein freundliches Wort, das umso mehr zusammenschließt.
„Ihrem Widerwillen oder ihren Schwierigkeiten in der Übung der Regel oder bezüglich der Leitung werden sie nie Ausdruck geben.“
Das wäre ein schwerer Verstoß. Man müsste es beichten oder im Kapitel bekennen. Derlei Verstöße bringen den Beruf und selbst das Heil unserer Seele in Gefahr. Dazu kommt, dass dieses Übel sich ausbreitet, und eine schlecht an den Mann gebrachte Kritik den Beruf und das Heil eines anderen mit aufs Spiel setzt. Im ersten Jahr meines Aufenthaltes im Großen Seminar betete ein Mitseminarist, von der Gnade angetrieben, ungemein andächtig und eifrig. Eines Tages machte ich über ihn einen kleinen Scherz. Ich weiß nicht mehr, was es war, aber es war ganz harmlos. Der Regens, Herr Chevalier, verwies mir das im ernsten Ton: „Tun Sie das nie wieder!“ sagte er, „und geben Sie sehr acht, dass Sie nicht durch ein einziges Wort die zarten Aufmerksamkeiten und Gnaden Gottes in einer Seele zerstören und alle Wirkungen zunichtemachen.“ Diese Worte trafen mich tief, sodass ich sie heute noch weiß.
„Es besteht strenge Schweigepflicht, auch untereinander, über alles, was im Kapitel gesagt oder getan wird, und was die Oberen anordnen, wenn es sich nicht um Dinge handelt, die dem geistlichen Nutzen dienen.“
Es kam mir zu Ohren, dass viel über dies und jenes gesprochen wir, über alles, was gesagt und getan wird und demnächst geschehen soll. Ich möchte darüber keinen strengen Verweis aussprechen, weil es auch Zeichen einer gewissen Anhänglichkeit ans Haus sein kann… Weil aber die Regel diese Art von Unterhaltung verbietet, wollen wir über andere Dinge reden. Erörtern wir also nicht mehr die Belange dieses oder jenes Mitbruders, diese oder jene Anordnung, oder die Art und Weise, wie die Gemeinde geleitet wird. Es sind weniger die Professen, die sich hierin vergessen haben, als die Novizen. Nächsten Freitag will ich darüber einige Worte sagen. Es liegt kein böser Wille vor, aber wir wollen in den Grenzen der hl. Regel bleiben.
„Man hüte sich vor dem leisesten Angriff auf den guten Ruf der Oblaten.“
Ohne Zweifel machen sich jene, die sich am guten Ruf der Mitbrüder vergreifen, schwer schuldig. Solche Dinge nehmen immer ein schlechtes Ende: Man verliert den Beruf und der liebe Gott zieht sich zurück. Andererseits geht man solchen Kritikastern aus dem Weg. Wie sollte man in sie auch Vertrauen haben und Freundschaft mit ihnen schließen können? Ich kannte noch keinen Ordensmann, der solches tat und nicht grausam dafür büßen musste. Ich möchte keine Namen nennen, aber ich erinnere mich an drei Jesuiten, die auf klägliche Weise ihren Orden verlassen haben, weil sie Priestern und Laien gegenüber über ihre Ordensgemeinde geklagt und gemurrt haben. Der liebe Gott segnet kein Kind, das Böses über Vater und Mutter sagt. Hat man etwas auf dem Herzen, so gehe man zum Oberen, und es wird selten vorkommen, dass ein Ordensmann, den etwas bedrückt, und der ganz einfach zum Oberen geht, ungetröstet von dannen zieht, und für sein Innenleben nichts profitiert. Schlägt man aber einen anderen Weg ein, so verirrt man sich. Gestern erhielt ich einen Prospekt von Pfarrer Gaittet über das Buch: „Erinnerungen eines römisch-katholischen Priesters, der russisch-orthodoxer Pope wurde.“ Er hat einen Traktat geschrieben, dass die orthodoxe Kirche die wahre sei. Er war ein hervorragender, geistreicher und fähiger Herr, der hoch über dem Durchschnitt stand. Was ihn zu diesem Schritt veranlasste, war seine Eigenliebe und sein verletzter Stolz. Er beschwerte sich über mehrere Konfratres, die der Ansicht waren, er gehe zu weit. In Rom sprach man gegen ihn einen Tadel aus. Er wollte sich aber nicht unterwerfen und ging zum offenen Widerstand über. Meine Freunde, wir wollen recht treu sein.
„Man kümmere sich nicht neugierig um die Verwaltung des Hauses und spreche darüber nicht untereinander. Auch rede man nicht über Nahrung, Kleidung und Schlafstätte.“
Wir stehen über all diesen Dingen. Braucht man etwas, so wende man sich an den Ökonom. Geben wir acht, dass wir nicht auf das Niveau von Knechten und Mägden herabsinken, die gerne klagen und das zu erhaschen suchen, was ihnen beliebt.
„Aufregende Fragen der Politik, Auseinandersetzungen über die verschiedenen Völker und Stämme sollen vermieden werden. Man gewöhne sich daran, in den Dingen dieser Welt einzig der göttlichen Weisheit und Allmacht zu vertrauen.“
Solches Gottvertrauen zeugt von großer Weisheit. Man hält sich von Wespennestern fern, an denen sich andere stechen lassen. In der Politik vertrauen wir auf den, der allein alles zu lenken weiß.
Wen unser Kapitelsekretär dieses Kapitel an unsere Patres verschickt, möge er allen unsere aufrichtigen Osterwünsche übermitteln. Jeder von uns soll an der Auferstehung unseres Herrn teilhaben und das Grab, dieses körperlich-materielle Leben, die Mühsale und Erbärmlichkeiten unserer Natur, alles, was die Seele belastet und belästigt, zurücklassen, damit er sich frei und leicht zu Gott erheben kann.
Möge unser Herr auch jeden von uns mit seiner Erscheinung begnaden, dass wir mit Maria Magdalena sagen können: „Rabbi“, das heißt übersetzt: „Meister“. Nach der Auferstehung gab der Herr seinen Jüngern zu essen, aber nicht trockenes Brot, sondern eine Honigwabe. So möge auch er uns einige seiner Tröstungen schicken.
D.s.b.
