Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 26.02.1890: Handel und Wandel des Oblaten des hl. Franz v. Sales

„Die Oblaten haben die besondere Aufgabe, Handel und Wandel unseres Herrn auf Erden nachzuahmen und darzustellen. Darum müssen sie sich bemühen, das Bild des göttlichen Meisters ihrem Inneren immer von neuem einzuprägen.“

Das Bild unseres göttlichen Meisters darzustellen, wird also als unsere vornehmliche Aufgabe bezeichnet. Die anderen religiösen Orden ahmen entweder das apostolische Wirken unseres Herrn nach, oder seine Armut, seine Abtötung, sein zurückgezogenes Leben. Wir dagegen sehen es als unsere Mission an, seine Worte und Handlungen, seine ganze Seins- und Lebensart in uns zum Aufleuchten zu bringen. Wir begnügen uns nicht mit dem, was Priester und Ordensleute tun. Wir wollen und zu handeln vordringen und sie uns ganz zu Eigen machen. Dieser Gedanke soll uns aber eher als feste Gewohnheit vor Augen schweben und nicht jeden Augenblick bewusst und gegenwärtig. Von Zeit zu Zeit erneuern wir ihn und stellen uns die Frage: Wie will unser Herr, dass ich jetzt handle? Was hätte er an meiner Stelle getan? Das Maß Christi sollte folglich das Maß unseres ganzen Denkens, Handelns und Fühlens werden. Wir sind nur in dem Maße Oblaten, als wir uns die Denk- und Handlungsweise unseres Herrn zu Eigen machen. Hier muss ich eine sehr ernste Bemerkung machen: Die Pflicht, unseren Herrn nachzuahmen und durch die Beobachtung des Direktoriums mit ihm beständig vereint zu bleiben, ist für uns so lebensnotwendig, dass unser Orden allmählich zerfallen wird, wenn wir sie nicht mehr ernst nehmen. Denn dann würde uns der Gedanke an Gott mehr und mehr schal und fad vorkommen und wird uns schließlich ganz fremd werden. Der Teufel aber lauert nur auf den günstigen Augenblick. Er versucht uns. Wir nehmen noch einmal einen Anlauf zum Guten. Unser Wille ist aber bereits zu weit von Gott entfernt und dadurch geschwächt und wankend geworden. Die Versuchung wird übermächtig und wir erliegen ihr… Das Leben nach dem Direktorium wird uns da zur wertvollen Garantie für das Leben unserer Seele: „Wir tragen zerbrechliche Gefäße in unseren Händen.“

Jeder gebe also acht und messe sich an diesem Maßstab. Sehe jeder zu, wo er steht und richte sich selber.

„Wir sollen uns vor jener Freiheit der Blicke hüten, die besonders in der Kirche und bei hl. Verrichtungen Leichtfertigkeit und Mangel an Abtötung verriete.“

Auch in der Art dreinzuschauen, sollen wir einfach, geziemend und bescheiden sein, ohne deshalb aufzufallen oder zum Lachen zu reizen. Das gilt nicht nur für unsere Blicke, sondern für unser ganzes Benehmen. Unsere Selbstbeherrschung muss natürlich wirken und nicht nach Anstrengung und Zwang aussehen. Gebt besonders in der Kirche, in Versammlungen und auf der Straße acht. Die Welt ist schlecht und schnell bereit, euer Verhalten übel auszulegen. An einen Priester und Ordensmann wird immer ein sehr strenger Maßstab angelegt, besonders wenn er in seinen Blicken unbescheiden und vorwitzig ist. Wir sollen sehen, ohne dass es auffällt, oder besser gesagt: sehen ohne anzuschauen. In der Kirche oder in Versammlungen. Gerade da heißt es, die Freiheit und Neugierde der Augen zu vermeiden. Das wäre ein bedenkliches Zeichen für einen Zeichen für einen Priester und Ordensmann. Es gibt heute so viel hässliche Dinge zu sehen auf den öffentlichen Plätzen und überall, wo man steht und geht, dass man sich wohl hüten muss, vor Schaufenstern und Plakaten stehenzubleiben.

„Darum werden sie sorgfältig jede Nachlässigkeit und Unbeherrschtheit in der Haltung vermeiden. Gang, Gebärden und Benehmen müssen dem religiösen Ernst und der geistlichen Bescheidenheit entsprechen.“

Nichts Schwerfälliges und Gezwungenes soll in unserem Gang zu finden sein. Vermeiden wir alle Nachlässigkeit wie z.B. das wiegende Gehen, das sonderbare Bewegen der Füße, der Arme oder des Kopfes, das der guten Sitte widerspricht. Die Gute Mutter sagte einmal, in Frankreich fände man viel Höflichkeit, aber die vollendete Höflichkeit gäbe es nur in den Klöstern. Nicht nur in Worten, auch in der Haltung sollen wir den Mitbrüdern und Mitmenschen Ehrfurcht bezeigen und vermeiden, ihnen lästig zu fallen, vielmehr sollen wir darauf bedacht sein, ihnen Freude zu machen. Ein guter Ordensmann tut dies auf eine ganz selbstverständliche Weise.

Der frühere Obere des „kleinen Seminars“ von Troyes erzog uns nach den Worten des Tridentinum: Nur Ernst, Maß und Religiosität sollen sie zur Schau tragen. Er war schon bewusstlos und hatte nur noch eine halbe Stunde zu leben, als ich an sein Sterbebett trat, seine Hand in die meine nahm und seine Stimme nachahmend ihm ins Ohr flüsterte: „Nur Ernst…“ Er kam wieder zu sich und drückte mit liebevoll die Hand. Wenn das Trienter Konzil dies den Weltgeistlichen als Verhaltensweise vorschrieb, wie viel mehr gilt das für uns Ordensleute.

„Sie sollen sich den hl. Franz v. Sales zum Vorbild nehmen und seine Einfachheit und Güte nachzuahmen suchen.“

Was unser hl. Gründer gelitten hat, bis er diese Vollkommenheit erreicht hat, das weiß nur er. Ahmen wir ihn nach. Alles, was wir in diesem Sinn tun, fördert uns auf dem Weg der Heiligkeit und mehrt unsere Verdienste für den Himmel. Und das ist und bleibt doch der schönste Lohn. Haben wir also keine Angst, jeden Tag etwas zu leiden und ohne Unterlass gegen uns selbst anzugehen. Bitten wir Gott um das nötige Licht, dies gut zu erfassen.

„Ihre Kleidung soll sauber und ordentlich sein. Nicht nachlässig aber auch nicht gesucht und dem Weltgeist gemäß.“

Unsere Kleider halten wir recht sauber, aus Liebe zur Armut, aber auch aus religiösen Gründen. Der hl. Paulus beschwor die ersten Christen bei der Bescheidenheit unseres Herrn in Haltung, Gang und Kleidung. Suchen wir diese wunderschöne Bescheidenheit Christi nachzuahmen, die die ersten Christen so tief beeindruckt hat. Um unsere Kleidung sauber zu halten, gibt es gewisse Mittelchen, die ich schon einmal erwähnt habe. Habt ihr einen Schmutzfleck auf dem Kleid, so gebraucht nicht die Bürste, sondern ein Stück Wollstrumpf oder einen Wolllappen oder Tuchfetzen. Sobald der Schmutzfleck trocken ist, könnt ihr ihn damit schnell und vollständig beseitigen. Wolle hat etwas Eindringendes und Schwammartiges an sich. Indem ihr sanft auf den Flecken klopft und notfalls mit etwas Wasser nachhelft, wird das Kleid vollkommen sauber, wenn es nicht ein Öl- oder Fettfleck ist. Solch kleine Arbeiten sind vielleicht lästig, aber wir wollen auch sie dem lieben Gott aufopfern.
„Kleider, Bücher und Einrichtungen, die ihnen zum Gebrauch dienen, sollen sie sorgfältig behandeln. Denn Arme sind mehr als andere verpflichtet, die ihnen anvertrauten Sachen in gutem Zustand zu erhalten.“

Sorgfalt, Ordnungsliebe und das Instandhalten der eigenen Gebrauchsgegenstände ist eine klösterliche Tugend. Dem einen ist sie angeboren, dem anderen fremd. Letzterer muss sich bemühen, sie zu erwerben, weil er Ordensmann ist. Kostet es ihm ein Opfer, dann hat er obendrein noch den Vorteil des Verdienstes.

„In der Nahrung folge man nicht seinem Geschmack und seiner Neigung. Man übe die Abtötung, wie sie die Satzungen vorschreiben.“

Wir nehmen keine Mahlzeit ein, ohne uns irgendwie abzutöten. Diese Abtötung kann positiv oder negativ sein, d.h. wir nehmen von einem leckeren Gericht weniger oder von einem faden mehr. Solch kleine Überwindungen helfen uns, die Seele ans übernatürliche Leben, an ein Leben mit Gott zu gewöhnen. Wir wollen den Geist auf Kosten der Materie kräftigen. Diese Praxis bringt besonders viel Kraft und Gnaden. Lest nur im Brevier nach, welch schöne Gedanken die Kirchenväter über das Fasten geschrieben haben. Fasten, also Verzicht auf Speise und Trank, verleiht der Seele Energie und Einsicht in göttliche Dinge. Hat unser Hl. Vater ein schwieriges Problem zu lösen, bedarf er des Hl. Geistes, so schreibt er ein Fasten aus. Es ist ein vorzügliches Mittel, Erleuchtungen herabzuziehen. Auf etwas Materielles verzichten, zieht immer eine Belohnung nach sich in Form einer neuen Schau, einer Gnade der Erleuchtung. Es rückt unsere Seele in die Nähe Gottes und flößt ihr himmlische Gedanken ein. Alles, was ich in diesem Kapitel berührt habe, lege ich euch ganz dringend ans Herz: die Achtsamkeit auf uns selbst, auf Blicke, Worte, Gesten, Gang und Haltung. Wenn wir nicht energisch gegen den Strom schwimmen, werden wir von ihm fortgerissen, und nichts kann uns mehr zurückhalten…

Wir stehen in der hl. Fastenzeit. Bringen wir unser Fastenopfer durch Beherrschung unserer Sinne, unseres Geschmackes und unserer Haltung. Das wird uns dem Heiland ähnlicher machen, wir werden seine vertrauten Freunde werden, und er wird uns geben, was er eben nur Freunden schenkt.

D.s.b.