Kapitel vom 17.02.1890: Die Gelübdeerneuerung am Fest Mariä Opferung
„Alle Oblaten werden am 21. November, dem Feste Mariä Opferung, ihre Gelübde erneuern.“
Mariä Opferung ist für uns ein hoher Festtag, ein Tag innerer Erneuerung. Viele Ordensgemeinden bereiten sich auf dieses Fest durch hl. Exerzitien vor, und damit gleichzeitig auf ihre Gelübdeerneuerung. Welch schöner Brauch!
„Jedes Jahr machen sie die vom hl. Franz v. Sales vorgeschriebenen Exerzitien, die wenigstens fünf und höchstens zehn Tage dauern sollen.“
So will es Rom, denn es hat unsere Ordensregel approbiert. Unsere Exerzitien dauern nicht länger als zehn Tage, weil das schon sehr ermüdend ist. Wie machen wir nun unsere Exerzitien? Indem wir die Exerzitienordnung gewissenhaft einhalten und ganz schlicht eine Übung nach der anderen vornehmen, wie es gewünscht wird. So bereiten wir uns am besten auf Versuchungen vor. Denn jede Seele, die von Gott mit einer besonderen Gunst ausgezeichnet werden soll, muss zuvor durch seelische Peinen geläutert werden. Wollen wir also fruchtbare Exerzitien erleben oder andere erleben lassen, so beachten wir wohl den Gedanken des hl. Franz v. Sales, dass die Exerzitienfrüchte nur auf dem Baum der der Treue zur Exerzitienordnung wachsen. Keines anderen Mittels bedarf es, um uns zu heiligen, als eine Exerzitienübung nach der anderen gut zu vollziehen und die darin gelegenen Kreuze und Opfer willig anzunehmen. Unser Herr hat uns auch nicht durch erhabene Gedanken und Wundertaten erlöst, sondern durch Leid und gänzliche Verlassenheit. Schickt der liebe Gott während der Einkehrtage große Erleuchtungen und fühlbare Tröstungen, so nimm sie dankbar entgegen! Tut er es nicht, bleibt deine Seele in Trockenheit, dann vereinige deinen Willen mit dem des lieben Gottes. Sollte deine Seele gar gemartert und gequält werden, dann schrei inmitten der Wogen und Stürme zu unserem Herrn: „Herr, rette uns, wir gehen zugrunde.“ Machen wir uns von Exerzitien also keine falschen Vorstellungen und erwarten wir von ihnen keine auffälligen und außerordentlichen Dinge. Verbringen wir sie vielmehr im Geist unseres hl. Gründers in der Einfalt unseres Herzens und ohne geistigen Zwang. Damit will ich nicht sagen, wir sollten es uns gemütlich machen. Denn gerade hier geht es nicht ohne Abtötung. Ganz einfach und ruhig nahen wir dem lieben Gott. Gerade in unserer Zurückgezogenheit bestehen unsere Exerzitien. Ruhe dich beim lieben Gott aus, und in dieser Ruhe wirst du alle Gnaden und Erleuchtungen empfangen, deren du für den Rest des Jahres bedarfst. Damit tadle ich jene nicht, die ihre Exerzitien in einem anderen Geist verstehen und verbringen. Auch sie können hervorragende Früchte ernten. Darüber möchte ich also nicht urteilen, weil es, nebenbei bemerkt, schwierig ist, wohlwollenden Auges Praktiken und Lehren zu würdigen, die sich von den unsrigen allzu sehr unterscheiden. Wer vermag schon unparteiisch zu beurteilen, was andernorts geschieht? Wir aber wollen bei dem bleiben, was ich euch vorgetragen habe. Die Phantasie mit hochfliegenden Ideen anzufeuern oder sich aufwühlenden Gedankengängen zu überlassen, mag vielleicht ganz gut sein. Aber wie lange hält das vor? Und wozu soll es nützen? Der Teufel rächt sich dafür und kehrt mit sieben andren Teufeln zurück, die schlimmer sind als er, und der Zustand dieses armen Patienten wird bedrohlicher als vorher. Ich sage dies aus langer Erfahrung heraus. Mit dem hl. Paulus erkläre ich, dass ich vom Herrn zwar kein ausdrückliches Gebot dafür habe, dass ich aber wohl glaube, der Geist Gottes gebe mir dies ein.
Aus all dem wird ersichtlich, wie hochwichtig diese Tage der Exerzitien sind. Sie sollen dem ganzen Jahr die Grundlage abgeben. Darum wieder einmal die dringende Aufforderung: Bewahren wir unseren eigenen Ordensgeist, halten wir uns treu an unser Direktorium. Darin liegt für uns alles. Pater B. hat in der Kirche St. Urban und seine Nichte, die bei ihm wohnt, sagten nachher: „Bravo! Jetzt verstehen wir, wie man betrachten soll. Das ist eine gute und praktische Methode, die jedermann verstehen und ausführen kann.“ Der Pfarrer war ungemein befriedigt. Dabei ist er wahrlich kein Nichtswisser, sondern hat eine große Erfahrung. Das also ist „der sichere und ebene Weg zu Gott“, wie die Kirche ihn nennt. Aber um über diesen Weg gut predigen zu können, muss man ihn selbst gut kennen. Und um ihn zu kennen, muss man ihn ständig gehen.
Seien wir also Männer Gottes! Nehmen wir Gott zum Beweggrund und zur Triebfeder all unseres Tuns und Lassens, dann wird uns alles zu ihm führen. Nicht als ob wir beständig an Gott denken müssten – wir würden ja verrückt davon. Dann hätten wir ja nur noch einen einzigen Gedanken, eine fixe Idee: welch ein Unsinn. Vielmehr soll in uns alles die Richtung auf Gott hin nehmen. Gewiss werden wir dann immer noch nicht in allem treu sein, aber der liebe Gott verzeiht vieles. Welch ein Wundermittel ist uns doch in unserem Direktorium geschenkt! Mit seiner Hilfen steigen wir ohne Unterbrechung zu Gott empor. Die Gute Mutter sah darin das Mittel, die Welt zu erneuern. Das müssen wir erfassen und ausführen. Wir dürfen keine klingende Schelle sein! Die Schelle macht Lärm und sonst nichts. Nicht der Lärm, den wir machen, nicht die Geschäftigkeit unseres Wollens wirken das Gute. Daran hat Gott nicht seine Gnade geknüpft. Gott muss vielmehr der Kern unserer Persönlichkeit sein. Wir müssen aus der Wohnung unseres Ichs ausziehen, damit wir etwas erreichen. Könnte ich euch diese Wahrheit doch tief ins Herz senken!
Alle Briefe, die ich empfange, bestätigen mir das unbegrenzte Vertrauen, das man zum hl. Franz v. Sales hat. Man nimmt unsere Lehre ohne Abstriche und Vorbehalte an, weil man weiß, dass die unverfälschte Lehre dieses großen Heiligen ist. Überall wird sein Lehrgut heutzutage eifriger studiert als früher. Bischöfe und Ordensleute, ja die ganze Kirche fühlt sich zu ihm hingezogen. Darum schaut man so auf uns und sagt sich: „Diese Leute da behaupten, die Lehre des hl. Franz v. Sales sei die ihre, sei ihr Lebensinhalt. Das muss ja schön sein. Sind sie aber nicht hundertprozentig vom Geist des hl. Franz v. Sales durchdrungen, – was wollen sie dann eigentlich? Dann sollen sie lieber Maurer spielen, wenn sie sich dazu berufen fühlen.“ Der allgemeine Eindruck, den man sich von uns macht, verpflichtet uns zu heller Wachsamkeit und steter Aufmerksamkeit. Jeder möge darum sein Tun und Lassen gründlich durchleuchten. Man beginne mit einer guten Morgenbetrachtung und bereite im Verein mit dem lieben Gott sein Tagewerk vor. Machen wir uns mutig ans Werk! „Einen freudigen Geber hat Gott gern.“ Dann fühlt sich unsere Seele frei und zufrieden und wir, wir wissen uns am rechten Platz.
„Bei den Exerzitien soll man sich nicht einer fremden Leitung unterstellen.“
Rom wollte es so. Rom will nicht, dass wir uns während der Einkehrtage auch nur im Geringsten von der Ordensgemeinschaft und ihrem modus vivendi lösen. Rom wünscht auch, dass die Exerzitienbeichte bei einem Oblatenpater abgelegt werde, statt dass man sich der Leitung eines Paters aus einem andern Orden anvertraue, z.B. der eines Jesuiten oder Kapuziners, wie gelehrt und tugendhaft diese auch sein mögen. Die Exerzitien legen ja die Richtung für ein ganzes Jahr fest. Darum sollen wir uns während dieser Zeit nicht einer Leitung unterstellen, die von unserem Geist abweicht.
