Kapitel vom 05.02.1890: Besprechung dogmatischer Fragen außerhalb des Kapitels
„Außer dem Kapitel sollen für Patres jede Woche Besprechungen stattfinden über dogmatische Fragen.“
Diese Konferenzen sind besonders nötig in den Häusern von Missionaren und Seelsorgepatres. Aber auch in unseren Kollegien wie in den apostolischen Werken für Kinder und Jugendliche muss eine einheitliche und wohl durchdachte Linie und Leitung geben. Diese Konferenzen über Gewissensfälle sind absolut notwendig in Kongregationen mit Priestermissionaren, die dazu berufen sind, in der Seelsorge zu arbeiten. Wir ersetzen für den Augenblick diese Zusammenkünfte ein bisschen durch theologische Vorlesungen im Noviziat. In diesem theologischen Kursus berücksichtigen wir voll und ganz die Lehre des hl. Franz v. Sales. Sind wir einmal zahlreicher, dann halten wir solche Pastoralkonferenzen regelmäßig ab. Bittet den lieben Gott, dass er viele Berufe sende. Überall verlangt man danach, in Griechenland, in Afrika und in Ecuador. Bei der äußeren wie inneren Leitung unserer Kollegien sollen wir uns stets auf sittliches Ideal, auf eine philosophische oder theologische Leitidee stützen, um die unser ganzes Arbeiten kreist, und dieser „Stützpunkt“ soll ein Gedanke des hl. Franz v. Sales, etwas aus seiner Lehre sein: seine Empfehlungen über die Gottes- und Nächstenliebe oder über den Seeleneifer… Diesen salesianischen Leitgedanken wollen wir dann in all unser Reden und Handeln einbauen. Nebenbei bemerkt dürfen auch die Lehrer und Aufseher sich nicht ausnehmen, sondern müssen sich genau nach dem aufgestellten Studienprogramm und dem Reglement ausrichten, und sollen es mit salesianischem Geist erfüllen. Dann steht nicht mehr jeder isoliert da, sondern reiht sich in die allgemeine Bewegung ein. Die Arbeit erfolgt im gleichen Geist des hl. Franz v. Sales, des Gehorsams, der vereinten Bemühung, und so erfüllen wir das Werk, zu dem wir berufen wurden. Stehen wir aber außerhalb dieser gemeinsamen Aktion, so erreichen wir unser Ziel niemals. Was die Kraft und Stärke einer Kongregation ausmacht, ist gerade dieser Einsatz im gemeinschaftlichen Streben. Nehmt einen schwerbeladenen Wagen: schieben alle in dieselbe Richtung und im gleichen Takt, setzt man ihn schnell in Marsch. Drückt der einer aber nach links und der andere nach rechts, so rührt er sich nicht vom Fleck. Es mag wenig sein, was der einzelne tut – mit vereinten Kräften und den Blick aufs Wesentliche gerichtet, leistet man viel. Gehorsam und Fügsamkeit sind wesentlich klösterliche Tugenden. Je mehr der einzelne auf sich selbst verzichtet, eine umso stärkere Wirkung bringt er hervor. Je mehr man auf Kosten der eigenen Natur und Neigung arbeitet, umso größer der Erfolg.
Die Vollkommenheit des Ordenslebens liegt gerade in dieser Fügsamkeit, mit der man sich den Händen Gottes, dem Oberen, der Ordensregel und der vorgezeichneten Route übergibt. Ein Teig nimmt genau die Form an, die man ihm geben will. Dieser Fügsamkeit ist eine Aktion von großer Tragweite beschieden. Das persönliche Vermögen und Können eines jeden hängt davon ab. Sie ist das Thermometer, die Waage unserer Leistungsfähigkeit. An dieser Lenksamkeit erkennt man, wie weit die Kraft, Tüchtigkeit und Intelligenz des einzelnen reicht. An dem Maße also, mit dem er sich selber aufgibt, um sich der allgemeinen Bewegung einzuordnen. Das macht die Schönheit und Kraft des geistlichen Lebens aus.
Seht ihr, aus diesem Grunde bestehe ich so nachdrücklich auf diesen Seelsorgekonferenzen, die dem Zweck dienen sollen, die gemeinsame Richtung festzulegen, für alle Einzelbemühungen. Bei den Jesuiten macht sich diese Gemeinschaftsaktion stark bemerkbar. Alle Beichtväter und geistlichen Lehrer arbeiten im gleichen Sinn. So sollte es auch bei uns sein. Wir haben nichts zu fürchten und dürfen wacker voranschreiten – unsere Lehre ist ja die des „doctor infallibilis“ (Anm.: „des unfehlbaren Lehrers“). Sie passt großartig für die Seelen, ist leicht verständlich und mühelos zu verwirklichen.
„Alle Priester werden zweimal oder wenigstens einmal in der Woche bei einem dafür bestimmten Beichtvater beichten…“
Bisher standen uns nicht sehr viele Beichtväter zur Verfügung. Jeder kann sich einen unter den Patres, die Beichtvollmacht haben, auswählen. Wählt den, den ihr vor Gott für den geeignetsten haltet, euch zu leiten. Jeder folge da frei seinem eigenen Geschmack, ohne andere Rücksicht als die seines geistlichen Fortschritts.
Eure Beichten seien klar, einfach und kurz – natürlich nicht lückenhaft, sondern so, dass die Sünde auf klare und fromme Weise angeklagt wird, wie sie wirklich war. Die Beichte hat einen frommen und heiligen Charakter, was auch in unserer Anklage zum Ausdruck kommen muss. Die Früchte der Beichte sind ja gerade jene Gnaden, die aus dem Leiden und Sterben unseres Erlösers fließen.
Vor der Beichte sammeln wir uns kurz, einige Minuten genügen. Tragen wir dann unsere Sünden so vor, wie sie waren und wie wir sie erkennen. Denken wir dabei an den Schmerz, den wir damit dem Herzen Jesu zugefügt haben, wir, die wir mehr Gnaden empfangen haben als viele andere. Eine gute Beichte bringt uns größten seelischen Nutzen.
„Außer an Sonn- und Festtagen empfangen sie die hl. Kommunion nach der Weisung ihres Seelenführers noch an zwei weiteren Tagen der Woche.“
Die Kommunion darf uns nicht zu etwas Alltäglichem werden. Wir sollen sie vielmehr jeden Tag neu „erkaufen“. Bringen wir darum einige Opfer zur Vorbereitung, am Vorabend oder am Morgen. Gehen wir nie zu Gott, ohne ihm Geschenke mitzubringen. So war es unser hl. Gründer gewohnt. Und damit die hl. Kommunion eben nie zu einer Gewohnheit werde, sollen wir nie mit leeren Händen zu Gott kommen. Im Alten Bunde nahte der Priester dem Zelt Gottes nur mit den Schaubroten in den Händen. Bringen wir auch ihm unser Opfer mit, wenn wir seinem Tabernakel nahen, etwas, was uns Mühe kostet, ein Stück unseres Eigenwillens.
„Um sich abzutöten, und zu verdemütigen, werden die Oblaten wöchentlich eine oder mehrere Bußübungen nach dem Geist des hl. Franz v. Sales vornehmen.“
Bittet uns ein Beichtkind im Beichtstuhl um die Erlaubnis zu dieser oder jener Bußübung, so müssen wir wohl überlegen, ob diese Übung seinen schlechten Neigungen wirklich entgegensteht, ob sie seinen körperlichen Kräften sowie dem persönlichen Bußverlangen entspricht, das Gott manchen Seelen gewährt. Unser hl. Gründer hatte eine große Vorliebe für Bußübungen. Er schonte sich dabei nicht, im Gegenteil. Jedoch unterwarf er sich darin ganz seinem Beichtvater, Herrn Michel. Buße muss sein! Die hl. Schrift bezeichnet sie als unerlässlich zum Heil. Jeder trage darum sein Kreuz. Aber das gewöhnliche, das Kreuz eines jeden Tages, genügt nicht. Es muss noch etwas dazukommen. Denn im Kreuze liegt das Geheimnis vieler Erfolge. Ich fragte noch einmal den Neffen des Herrn Harmel: „Wie macht es Ihr Onkel, so Großes zu leisten?“ – „Kommen Sie nur auf sein Zimmer“, erwiderte er, „ich merkte nämlich, dass er auf hartem Boden schläft. Des Nachts steht er auf, um zu beten und schläft sehr wenig. Das wird der Grund seiner Erfolge sein.“ Auch des Pfarrers von Ars ganzen Geheimnis war seine Buße. Das gleiche lässt sich von Don Bosco sagen. Einer meiner Mitschüler, bestimmt kein Adler im Geist und Intelligenz, hat in vielen Pfarreien viel Gute gewirkt. Auch er verdankte es nur seinem Geist der Abtötung. Darum soll jeder von uns seine besondere Methode haben, wie er Buße tut, etwas recht Positives, wie die hl. Regel es wünscht. Gewiss können wir die Krankheiten, alles, was wir körperlich zu leiden haben, dem Herrn aufopfern. Der liebe Gott teilt ja jedem seinen Anteil, sein Konto zu. Aber selbst das genügt noch nicht. Es fehlt immer noch etwas. Von der Abtötung bei Tisch haben wir bereits gesprochen. Überlegen wir also, was wir mit Erlaubnis zufügen können, damit wir so in Einklang leben mit unseren Satzungen und dem lieben Gott. Dann wird unsere Lebensrechnung in Soll und Haben eine ausgeglichene Bilanz vorweisen. Jedenfalls kommen wir nicht in den Himmel, bevor wir nicht unsere Rechnung in Ordnung gebracht haben.
„Am Freitag wird man sich beim Abendessen in der Kommunität mit nur einem Gericht begnügen.“
Auch darin werden wir uns treu erweisen, falls es unsere Gesundheit, und unsere Kräfte erlauben. Reicht ein einziges Gericht aus, dann sind wir dazu verpflichtet. Reicht es nicht zu unserer Ernährung, dann dürften wir noch etwas von einem zweiten Gericht nehmen. Sonst aber halten wir uns so gut wie möglich an die Weisung der Regel. Lassen wir keinen Tag vergehen, ohne etwas für den lieben Gott zu leiden. Seelisches Leiden ist schon etwas, aber es sollte auch ein freiwilliges körperliches Leiden (Verzichten, etc.) dazukommen. Unser Leib muss durch das Leid hindurchgehen, damit er erlöst werde. Das Leiden des Leibes ist unerlässlich für die Gesundheit der Seele.
D.s.b.
