Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 22.01.1890: Über den Predigtdienst der Oblaten

„Außer dem Kapitel sollen jede Woche für die Patres Besprechungen stattfinden über die dogmatische Frage, Gewissensfälle und Schwierigkeiten in der Seelsorge.“

Es wäre sehr zu wünschen, dass wir diese theologischen Konferenzen schon ab sofort halten könnten. In jedem Haus wird es allerdings nicht möglich sein, weil nicht überall genügend Ordensleute vorhanden sind. Später lässt sich dies leichter durchführen. Wir wollen es jedenfalls heute schon einplanen.

Solche Konferenzen brächten uns viele Vorteile. Man predigt, hört Beichte, hält Katechismusunterricht – tut das aber jeder nach einem eigenen Kopf, wo bleibt da der Gemeinschaftsgeist? In Punkto Predigen hat man uns älteren Semestern eingeschärft, wir sollten so predigen, wie es im Jahrhundert von Ludwig XIV. Sitte war. Seit hundert Jahren predigt man darum nicht mehr für das Volk. Die Kinder bekommen wenigstens ihre Katechesen, die Erwachsenen dagegen nichts. Seit einem Jahrhundert haben die Prediger keine Zuhörer mehr. Im I. Vatikanum wollte man eine Predigtreform durchführen. Bischof Mermillod sollte meines Wissens einer der Referenten sein. Man wollte eine praktische Anleitung für moderne Wortverkündigung geben. Leider wurde das Konzil (Anm.: „wegen des deutsch-französischen Krieges 1870/1871“) abgebrochen.

Die Väter der Gesellschaft Jesu haben die Not der Zeit verstanden und seit einiger Zeit ihre Predigtmethode geändert. Aber noch bis vor zwanzig Jahren – für wen predigte man da eigentlich und was trug man da vor? Der Kanzelredner entwickelte sein Thema, stellte gelehrte Überlegungen an – aber wer verstand ihn schon, wer hörte überhaupt zu, und vor allem, was nützte es? Eine christliche Frau, die nie ihre Sonntagsmesse versäumte, hörte vielleicht nicht ein einziges Mal etwas, was sie anging und ihr half, ihre Pflichten als Mutter und Gattin besser zu erfüllen. Während der gleichen Zeit aber sprach der Teufel umso mehr, und er tat es auf eine so verständliche und packende Weise, in den Internaten, den Schulen, den Zeitungen, den Büchern… Er sprach in seinem Sinn höchst überzeugend und riss die Menschen in Masse mit sich fort. Seht ihr nun, warum wir die wöchentlichen Konferenzen ernst nehmen und einig werden sollen über die rechte Art zu predigen, Katechismus zu unterrichten, die Seelen voranzuführen, nicht nur alle auf dieselbe, sondern auf die ersprießlichste Art? Darum lässt ja Gott zu, dass neue Orden entstehen, damit sie der speziellen Not ihrer Zeit Abhilfe schaffen.

Auch die Jesuiten hatten ihre Methode, Gottes Wort zu verkünden, wie es eben den Bedürfnissen ihrer Gründerzeit angemessen war. So müssen wir Oblaten Männer unserer Zeit sein, sollen gegen die Lügen und verderblichen Ideen der Gegenwart angehen, statt die schädlichen Theorien eines Voltaire, Rousseau oder anderer verflossener Häretiker zu bekämpfen.

Beachtet doch, wie der hl. Paulus und sich dem Charakter seiner Zuhörer anpasst. Auf dem Areopag z.B. beginnt er: „Ihr Athener, es gibt kein religiöseres Volk als euch…“  Und dann verkündet er ihnen den „unbekannten Gott“, den sie durch einen Altar in ihrer Stadt verehrten. Wendet er sich hingegen an die Hebräer oder die römischen Juden, dann zeichnet er ihnen in großen Strichen die Heilsgeschichte des Alten Bundes von Adam bis Christus. Sein Wort ist lebendig, einschneidend, packend, keine kalte Rede oder steifer Vortrag. Die Predigten des 17. Jahrhunderts waren für eine Zeit bestimmt, wo die Gläubigen im Religiösen wohl bewandert waren, ja teilweise sogar theologische Studien betrieben hatten. Man ging zur Kirche, um eine Kanzelrede zu genießen. Christliche Wahrheiten, in gelehrter und tadelloser Diktion vorgetragen, wurden mit Interesse aufgenommen. Heute noch finden in Rom vor dem Papst und den Kardinälen gelehrte Vorträge statt. Könnten wir ihnen beiwohnen, wir fänden sie ebenso eindrucksvoll. Steht ihr aber auf der Kanzel, so vergesst nicht, dass nicht seine Heiligkeit, der Papst, zu euren Füßen sitzt, sondern schlichte Männer und Frauen aus dem Volke.

Darum wäre es so wünschenswert, Konferenzen über die Predigtweise zu halten. Ich habe P. Boney beauftragt, den Novizen und jungen Patres die Grundsätze einer guten Homiletik zu vermitteln. Es scheint, dass er gut auf meine Anregungen eingeht. Jeder möge also auf die Art predigen, die ich so oft schon erläutert habe, und seine Predigtweise nicht dem Zufall und Glück überlassen.

Pater P. hat vor einigen Wochen in der Pfarrkirche St. Remy gepredigt. Er sprach über den Pfarrpatron und erklärte ihnen dabei die Malereien an den Kirchenwänden. Alle waren zufrieden und hörten aufmerksam zu. Der Pfarrer von St. Nikolaus sagte beim Fortgehen zum Prediger: „Wir waren bisher auf dem Holzweg. Sie haben die richtig Art, Leute anzusprechen…“

Ihr wollt z.B. in der Tugend des Glaubens unterweisen. Tut ihr das in schönen und gelehrten Betrachtungen, dann hört euch niemand zu. Ihr müsst vielmehr euren Zuhörern erklären, was Glauben heißt, warum er unbedingt notwendig ist. Was geglaubt werden muss. Müsst ihnen einschärfen, dass es nicht genügt, nur mit dem Verstand zuzustimmen, sondern dass auch Herz, Wille und Leben an ihm beteiligt sein müssen. Das gilt auch für das Beiwohnen der hl. Messe mit dem Glauben, Beten mit Glauben, Arbeiten mit Glauben… Das also soll Ziel und Fundament eurer Predigt sein. Gebt diesem Inhalt nun eine passende Form, die Art und Charakter eurer Zuhörer berücksichtigt, und tut es auf eine gefällige Weise, die gleichzeitig zu Herzen geht. Oder nehmen wir an, ich muss am dritten Sonntag nach Epiphanie eine Predigt halten. Soll ich nun ein Predigtbuch zur Hand nehmen, einer Predigtzeitschrift Gedanken oder Sätze entnehmen? Das wäre absurd. Gebt das Predigtbuch euren Zuhörern in die Hand, das ist viel nützlicher. Vierhundert wohnen vielleicht eurer Predigt bei. Nicht einmal zwei davon nehmen die Gedanken eures Predigtbuches in sich auf. Ich will nicht behaupten, man dürfe überhaupt nie solch ein Buch benutzen. Findest du darin etwas Brauchbares, nimm es und baue es in deine Predigt ein, mach es dir aber erst ganz zu Eigen und predige dann aus deinem eigenen Schatz, nicht aus einem fremden. Um gut zu predigen, brauchst du Kenntnisse, musst du Theologie, Hl. Schrift, Kirchenväter und Kirchengeschichte studiert haben. Nicht als ob du all diese Wissenschaften von Grund auf beherrschen müsstest, dazu reicht das Leben eines Menschen nicht aus.

Macht also das, was ihr studiert, zu eurem geistigen Eigentum, sammelt persönliche Beobachtungen, denkt an die Predigten zurück, die ihr selbst einmal gehört habt – all das ist ausgezeichnet. Vor allem aber: Macht euch Notizen! Ihr macht z.B. eine Lesung aus dem Theotimus. Dabei stoßt ihr auf einen guten, neuartigen, fesselnden Gedanken, der euch nützen kann. Fügt ihn euren Notizen bei. Oder ihr findet eine sympathische und lehrreichte Geschichte oder einen guten Einfall in einer Zeitschrift – auch das kommt in die Stoffsammlung. Nach einiger Zeit habt ihr einen Vorrat von neuen und packenden Textstellen zur Hand. Ich schreibe es auf lose Blätter und stecke sie in alphabetischer Reihenfolge in meine Pappschachtel. Irgendwo muss ich nun predigen. Bin ich kein Neuling mehr in der Materie und habe schon etwas Erfahrung im Predigen, dann lege ich mir meinen Predigtplan zurecht. Fehlt es mit aber am nötigen Selbstvertrauen, so hole ich mir Rat bei einem erfahreneren Pater. Oder ich soll eine Ansprache über den Namen Jesu halten. Dabei kann ich nicht die ganze Bibel, Kirchengeschichte und Dogmatik aufmarschieren lassen. Einer unserer Patres stopfte viel zu viele Dinge in seine Predigt über den Namen Jesu. Selbst Napoleon musste herhalten, um die Wirksamkeit des Namens Jesu zu erweisen. Nein, so machen wir es nicht. Ich zeige zunächst, welche Funktion ein Name zu erfüllen hat. Sodann, welchen Einfluss ein Name hat, den Gott selbst an einem Menschen beilegt. Nun wende ich das auf den Namen Jesu an und zeige die Macht und Wirksamkeit dieses heiligsten Namens auf, weise nach, wie die Heiligen aus der Anrufung dieses Namens Heiligung schöpften, wie die Martyrer mit diesem Namen auf den Lippen in den Tod gingen. Das kann jeder verstehen, und jeder hört gern zu… Was die Predigtschreiber zu bieten haben, ist ja ganz gut. Nehmt von Zeit zu Zeit davon eine Messerspitze und setzt euren Gästen keine Kaninchen vor, die schon vor sechs Wochen oder gar zweihundert Jahren gebraten wurden… Jeder hat beim Predigen seine eigene Methode. Diese hier sei die unsrige.

Früher musste jede Predigt ein Auszug aus einer theologischen Summe sein, heutzutage wären solche rein theologischen Kanzelreden ein Unding. Wolltet ihr euren Zuhörern nur Gotteswissenschaft servieren, so würde euch das niemand abnehmen. Diese Methode, die ich euch da anrate, soll in der ganzen Genossenschaft angewandt werden.

In Troyes hier wohnte ein tüchtiger Bergbauingenieur. Eines Tages begegnete ich ihm und fragte ihn, ob er nicht zur Predigt komme. „Ach, eure Stadtpredigten!“ antwortete er. „Mir gefällt nur ein Prediger, der Pfarrer Feuchot von Marnay.“ – „Das ist aber kein großer Redner“, werfe ich ein. „Gerade deshalb höre ich ihm so gern zu. Er redet wenigstens vernünftig und praktisch.“

Alles also, was euch in eurer Lektüre, in den Stifter- und Schriftlesungen, im Brevier und im theologischen Studium auffällt und gefällt, das reiht eurer Stoffsammlung ein. Alles, was innerlich packt, ob weltlich oder geistlich, ob gelesen oder gehört – wenn es nur nützen kann. Dann werden eure Predigten aktuell und nicht altfränkisch (Anm.: „im Sinne von alt-französisch, d.h. altbacken“) wirken. Man hört euch gern zu und zieht Nutzen daraus.

D.s.b.