Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 15.01.1890: Über die mittägliche und abendliche Gewissenserforschung

„Die Oblaten halten mittags und abends Gewissenserforschung.“

Die Art und Weise, das Gewissen nach dem Direktorium zu erforschen, habe ich schon erläutert. Zwei bis drei Minuten genügen dafür mittags. Jeder tue es an dem Orte, an dem er sich gerade aufhält. Man denkt darüber nach, ob man die Gedanken des Direktoriums während der Nacht und beim Aufstehen genommen, wie man betrachtet, der hl. Messe beigewohnt und sein Tagewerk begonnen hat. Sodann erinnert man sich der Gewissenserforschung des Vorabends und der verflossenen Tage, vor allem, wenn wir da einen bedeutenderen Fehler gefunden haben. So hielt es unser hl. Gründer. Das Ganze beschließt man mit dem Akt der Reue und bereitet damit gleichzeitig eine gute Beichte vor, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Solch eine Gewissenserforschung wird nicht nur zu einer Gedächtnisstütze für begangene Fehler, sondern ist ein Mittel, sich zu heiligen und sein Herz zu reinigen. Wir versetzen uns durch sie in den erforderlichen Zustand, reichere Gnaden für uns wie für andere aufzunehmen. Gewiss verschafft uns die hl. Beichte Nachlassung unserer Sünden. Gehen wir aber zur Beichte mit einem bereits gereinigten und gottverbundenen Herzen, so wird die Zahl der Gnaden sicher größer sein.

Der abendlichen Gewissenserforschung sollten wir etwas mehr Zeit widmen, mag sie im Übrigen auch der anderen gleichen. Am Schluss denke man noch an einen oder zwei größere Fehler der Vergangenheit oder an eine Gewohnheitssünde, von der man sich trennen möchte. Nur darf das nicht in allgemeiner Weise geschehen, sondern wir fassen eine ganz bestimmte Gelegenheit ins Auge, bei der wir es besser machen wollen. Das alles wird uns bedeutend leichter fallen, sobald wir darin etwas Fertigkeit erlangt haben. Danach folgt der Akt der Reue.

Die Reinheit des Gewissens ist etwas ganz Großes. „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“: ja, die reinen Herzens sind, werden Gott nicht nur im Himmel schauen. Sie sehen ihn bereits hier auf Erden kraft der Tröstungen, mit denen er sie überhäuft, kraft auch des Friedens, in den er ihre Seelen taucht. Kraft schließlich der Heiligkeit, die er ihnen in wachsendem Maße mitteilt. Legen wir viel Gewicht auf ein reines Gewissen! Ein begangener Fehler ist keine Bagatelle, und sei er auch anscheinend ganz unbedeutend. Er zieht uns das Missfallen Gottes zu, kühlt unser Verhältnis zu ihm ab und macht ihn für uns unzugänglich. Die Seele verliert den Geschmack am Guten, die Kraft und Vitalität des Glaubens und der Gottesliebe. Welch entscheidende Bedeutung gewinnt doch da eine gute Gewissenserforschung!

„Das heilige Offizium sollen sie aufmerksam und andächtig beten.“

Fürs Offizium wollen wir uns möglichst an die für die Tagzeiten vorgeschriebenen Stunden halten und dabei eher etwas vorausbeten als nachhinken. Ich wünsche, dass die Matutin und Laudes immer am Vorabend gebetet werden, damit der Morgen wirklich freibleibe für die Betrachtung. Betet eure Matutin mit aller Ruhe und nehmt euch die nötige Zeit dafür: Ihr betet sie ja nicht für euch allein. Die Kirche hat einen erbitterten Kampf zu bestehen gegen Satan und seine Werke, die geheimen Gesellschaften (Freimaurerei). Das Breviergebet ist eine der geistlichen Waffen, mit der sie Satans Reich zerstören kann. Nehmen wir darum unser tägliches Breviergebet sehr ernst und betrachten wir uns nicht nur als Kinder der Kirche, sondern als ihr Soldaten, die den guten Kampf zu kämpfen haben. Die hl. Theresia lehrt, dass gerade das Gebet unseren Predigten Wirkung und Erfolg verleiht. Schenken wir der Kirche also nicht nur unsere äußeren Werke, sondern auch, was deren Seele und Wirksamkeit garantiert: das gute und eifrige Gebet. Seien wir von der Zahl derer, die beten und arbeiten. Bedient euch beim Beten des Breviers aller Hilfsmittel, die uns das Direktorium an die Hand gibt. Folgt dabei aber durchaus dem Zug eures Herzens! Wer alle Gedanken des Direktoriums sich zu Nutze machen kann, tut sehr gut daran. Die anderen tun eben, was sie können.

„Sie werden nie vergessen, dass es notwendig ist, täglich ihr theologisches Wissen zu mehren.“

Ein Zeichen unserer Zeit ist die Vernachlässigung der Studien. So verfuhr man früher nicht. Das wird aber schon in der frühesten Erziehung grundgelegt. Im Seminar, in dem ich aufwuchs, herrschte ein ernster Geist. Wie intensiv wurde dort das Studium betrieben, wie gut wurde der Stoff verstanden. Sind die Hausaufgaben aber kürzer und werden dafür besser verstanden, dann wächst auch die Freude am Studium. Hält man dagegen die Schüler dazu an, ihr Studium als ein hartes Maß zu betrachten, als ein langweiliges Geistestraining, dann haben sie natürlich den einen Wunsch, möglichst bald davon loszukommen. Und das scheint die vorherrschende Einstellung der heutigen Studenten zu sein. Damit bilden wir aber keine Männer der Arbeit und der Wissenschaft heran. Solche Männer sollen aber gerade wir sein.

Dabei dürfen wir so weitherzig und elastisch wie möglich verfahren. Wir wollen unserer individuellen Begabung keinerlei Zwang antun. Im Gegenteil, soweit die möglich trachten wir danach, dass jeder seine Talente, die Gott ihm verliehen hat, pflegt und entfaltet. Einer zeige mehr Neigung zur Philosophie, der andere zur Theologie. Jeder mögen da im Rahmen des Möglichen seinen Anlagen, der Vorsehung und vor allem dem Gehorsam folgen.

Interessiert sich einer aber für gar nichts, dann gleicht er einer Maschine, einem Automaten. Herz und Liebe machen doch erst den echten Menschen aus. Ein Priester und Ordensmann, der keine Liebe zum Studium hat, ist eine Null. Er führt ein unnützes Leben. Jeder soll sich also mit seinem Herzen der Arbeit hingeben, die ihm übertragen ist. Wer Theologie betreibt, dem Studium der geistlichen Beredsamkeit oder der Hl. Schrift obliegt, tue dies mit ganzer Hingabe und Leidenschaft. Auch wer mit seiner Hände Arbeit dient, tue das mit Liebe. Sonst wären wir bedeutungslose, nichtsnutzige Wesen, die sich und anderen sogar zu einer Gefahr würden. Denn jedes Talent, jede Fähigkeit ist eine Gabe Gottes, die gepflegt und entfaltet werden will. Denkt an die Parabel von den Talenten. Der da sein Talent vergräbt, wird streng verurteilt: „Unnützer Knecht“. Beachtet, dass der Herr ihn nicht nur unnütz nennt, sondern nequam=böse. Es haftet also etwas Böses und Gefährliches am Nichtgebrauch der gottgeschenkten Fähigkeiten.

„Während der Mahlzeiten wird gelesen… Man wird nicht vom Tisch aufstehen, ohne sich irgendwie abgetötet zu haben.“

Die Abtötung bildet einen Teil unserer Mahlzeiten. Der hl. Gründer sagt dazu, dass schon eine ganz kleine Abtötung genüge. Das trifft zu, wenn bei den Mahlzeiten alles genauestens nach den Vorschriften der hl. Regel abläuft. Bei uns fehlt aber noch diese feste Organisation. Darum wollen wir uns ruhig etwas stärker und spürbarer abtöten. Essen wir etwas mehr von dem, was uns weniger schmeckt, und nehmen wir von dem etwas weniger, was unserem Gaumen schmeichelt. Die Abtötung ist jedenfalls das Salz des geistlichen Lebens. Sie erhält die Seelenkräfte  und führt ihnen neue Energien zu, mit denen wir die Verweichlichung und Erschlaffung bekämpfen können. Wir Oblaten haben keine außengewöhnlichen Fastenübungen. Umso treuer wollen wir uns in diesen kleinen Abtötungen bei Tisch erweisen.

„Täglich sind zwei Lesungen zu machen: die eine in der Hl. Schrift, die andere in den Schriften des hl. Franz v. Sales oder anderen Werken seines Geistes.“

Was die Schriftlesung anbelangt, wird es gut sein, sich beraten zu lassen. Wenn wir täglich mit Aufmerksamkeit ein Kapitel daraus lesen, beherrschen wir schließlich die ganze Hl. Schrift. Diese Lektüre soll ja nicht nur zu unserer Erbauung dienen, sondern sie soll gleichzeitig ein Schriftstudium einschließen, das zu unserer wie der anderen Unterweisung beiträgt. Wir müssen allmählich dahin gelangen, dass wir das ganze Alte und Neue Testament kennen und beherrschen. Es ist das Wort Gottes. Das besagt alles.

Wir sollten die Schriftlesung mit dem Bleistift in der Hand machen, und alles, was uns innerlich anspricht, alles was uns selbst wie den anderen nützen kann, notieren. Worte der Hl. Schrift anführen, bringt Gnade mit sich und spricht gewöhnlich die Zuhörer stark an. Einer meiner Mitschüler im Seminar erzählte mir, er finde in seiner Schriftlesung alles wieder, was ihn in den Predigten seines Heimatpfarrers so stark ergriffen habe. Sein Pfarrer hatte offenbar reichlich aus der Hl. Schrift geschöpft.

In gleicher Weise verfahren wir bei der Schriftlesung, bei der Lektüre der Briefe, der Abhandlungen und Predigten des hl. Gründers. Man findet darin z.B. etwas Schönes über die Nächstenliebe, schreibt es oder wenigstens die Seitenzahl auf einen Zettel, darüber die Überschrift: Caritas. Müssen wir nun etwas über die Liebe sagen, so brauchen wir nicht lange zu suchen. Schon nach kurzer Zeit verfügt man so über einen bedeutenden Schatz von soliden Texten aus erster Hand, und unser Vortrag wird abwechslungsreich und lebendig.

D.s.b.