Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 08.01.1890: Über die regelmäßigen Kapitelsitzungen.

„In jedem Haus erscheinen die Oblaten wenigstens einmal in der Woche pünktlich und gesammelt zu den geistlichen Konferenzen (Kapiteln).“

In jedem Haus also, falls die Gemeinschaft entsprechend groß ist. Bestünde sie aus nur zwei Ordensleuten z.B., so ließe sich das schwerlich durchführen. „Gesammelt“: Zu solchen Zusammenkünften bringe man einen Geist der Pietät und Frömmigkeit mit. Man beginnt mit der Kulp, einem hervorragend religiösen Akt, der gleichsam das öffentliche Schuldbekenntnis der Urkirche wieder aufleben lässt. Eine gute Kulp erwirkt die Verzeihung der angeklagten Fehler und eventuell auch das Nachlassen der lässlichen Sünden. Sie ist ein Akt der Demut und Reue, der uns im Prinzip die Verzeihung der öffentlich eingestandenen Verstöße sichert. Wir dürfen folglich unsere Kulp als ein zusätzliches Mittel der Sündenvergebung betrachten, das den Laien abgeht. Nehmen wir sie deshalb mit Demut, Gottesliebe, und einem ehrlichen Verlangen nach Reinigung unserer Seele vor. Gewiss ist es ein Zwang, aber einer, der ausgezeichnete Resultate zeitigt. Achten wir solche kleinen Hilfsmittel nicht gering. Unser ganzes Leben besteht ja aus derlei Kleinigkeiten, aus Atemzügen und Herzschlägen: Jeder für sich genommen, stellt gar nichts dar. Setzt einer aber nur einmal aus, dann setzt alles Leben aus. Das natürliche Leben ist aber ein Gleichnis des übernatürlichen. Unser Herz muss im gleichen Takt schlagen wie der göttliche Wille. Die kleinste Handlung wird zum Ausdruck, zur Bedingung für das religiöse Leben. Kulp, Rechenschaft, gute Meinung, sind in sich selbst betrachtet vielleicht wenig und bedingen doch die Gesundheit unseres geistlichen Lebens. Denn mittels dieser Dinge werden wir heilig, so wie Franz v. Sales sich damit geheiligt hat. Gebrauchen wir diese Hilfsmittel also achtsam und gehen wir zum Kapitel, wie die Satzungen es wünschen: „treu, pünktlich und gesammelt.“

Die Kapitel sollen wenigstens einmal wöchentlich stattfinden. Der Obere soll sie selbst halten. Als Gegenstand nennen die Satzungen die Verleugnung des eigenen Willens, die Vereinigung mit dem Willen Gottes, die brüderliche Liebe, etc. Das lässt sich am besten gewährleisten, wenn man die Satzungen und das Direktorium hernimmt und sie Punkt für Punkt erklärt. So erschließt man ihren Geist und Sinn und ermöglicht ihre liebevolle und ehrfurchtsvolle Erfüllung. Von den Tugenden der Selbstverleugnung und der Vereinigung mit Gott spricht ja jede Seite der hl. Regel. Unser Direktorium will vor allem die Verleugnung des eigenen Willens und des eigenen Urteils. Das ist hart, wie ich schon tausendmal gesagt habe, und jetzt noch einmal betone. Aber Ordensleute müssen entschlossene Männer sein. Ein Soldat, der in den Kampf zieht, ist es auch. Er rückt vor und kümmert sich nicht darum, was ihm dabei zustoßen kann, ob ein Beinbruch oder ob ihm der Kopf abgerissen wird. So muss auch der Ordensmann entschlossen voranschreiten, unbekümmert darum, ob ihm Arme gebrochen oder der Wille zermalmt wird. Darin liegt das Geheimnis des Ordenslebens. Das heißt es gut verstehen. Heilig ist man, wenn man von Morgen bis Abend mit dem Willen Gottes einig geht und das tut, was Gott will – inmitten der Mühsale, Zufälle und Schwierigkeiten des täglichen Lebens. Die Heiligkeit besteht nicht in dem, was man tut, sondern in der Fügsamkeit gegenüber dem göttlichen Willen, gepaart mit der Verleugnung des eigenen Willens. Seinem Oberen als dem Stellvertreter Gottes gehorchen, willig auf die Gnaden eingehen, die aus dem Gehorsam fließen, das ist das „Sacramento“, das Geheimnis des Ordenslebens. Durch jeden Akt des Gehorsams empfängt man eine spezielle und gleichsam sakramentale Gnade. Darum sollen die Kapitel die Verleugnung des eigenen Willens und Urteiles zum Gegenstand haben, weil sie so schwierig, aber auch so wesentlich ist für den Ordensmann.

Macht euch diese Wahrheit zu Eigen. So vollbringt ihr das Werk Gottes und heiligt die Seelen. Öfter schon habe ich erläutert, worin diese Verleugnung des eigenen Urteils besteht, und wie die Satzungen hier verstanden werden wollen. Es ist ganz einfach: Ich sehe etwas weiß, während der Obere es als schwarz bezeichnet. Nun brauche ich nicht mein Urteil aufzugeben und mir die Augen abzuquälen, bis ich euch schwarz sehe. Aber im Gehorsam handle ich so, als wäre das Ding wirklich schwarz. Das Urteil verleugnen heißt also nicht, es aufgeben und vernichten, sondern lediglich, darauf im praktischen Hadeln keine Rücksicht nehmen, sich nach dem Gehorsam richten, was auch immer mein Urteil dazu sagt.

„…Vereinigung mit dem göttlichen Willen in allen Handlungen.“

Wofür aber das persönliche Urteil und den eigenen Willen verleugnen, wenn nicht aus dem Grund, um sich mit dem Willen Gottes aufs Innigste zu vereinen und sich ihm unterzuordnen.

„…die brüderliche Eintracht…“

Bringen wir gern die Opfer, die die Herzensangelegenheit mit unseren Mitbrüdern verlangt. Der liebe Gott wird uns das wohl vergelten. Das Maß, mit dem er uns seine Gaben zumisst, wird genauestens dem Maß entsprechen, das wir selber unseren Brüdern gegenüber anwenden. Er gießt den Wein seiner göttlichen Hulderweise umso freigebiger in unser Gefäß, je weiter und geräumiger es ist. Seine Gaben entsprechen immer unserer Fassungskraft.

„…der Eifer für unsere Selbstheiligung…“

Gern möchte ich jene von uns kennenlernen, die sich diese dringende Empfehlung unserer Satzungen wirklich zu Herzen nehmen. Man denkt wohl nicht genug daran. Wir dürfen unsere Losschälung von uns nicht so weit treiben, dass wir uns selbst und unsere Selbstheiligung vergessen, und über dem Heil der anderen unser eigenes vergessen. „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“. Denken wir also mehr an unsere Selbstheiligung, an unsere Observanz. Dabei dürfen wir keine Schwierigkeit haben, zu begreifen und zu spüren, wie uns persönlich die Kraft abgeht, um auf der Höhe der göttlichen Forderungen zu stehen. Kümmern wir uns also wieder ein bisschen mehr um unseren geistlichen Fortschritt. Nie sollte man von uns sagen können, wir seien nie zu Hause bei uns selbst. Bleiben wir auf unserem Posten, und seien wir auf die Heiligung unserer eigenen Seele wohl bedacht!

„…besonders aber der Eifer für die uns anvertrauten Seelen.“

Die Satzungen schärfen uns besonders den Eifer für die Seelen ein, auf die unsere Jungendwerke abzielen. Beten wir viel für die Seelen unserer Schüler. Wir erziehen Kinder, sind also gleichsam ihre Väter und Mütter, nicht nur ihre Aufseher und Studienleiter. Zwischen ihren Seelen und uns sollte ein Band des Gebetes bestehen. In welcher Eigenschaft auch immer uns die Kinder übergeben werden, wir tragen die Verantwortung für sie. Ein Laienbruder, dem ein Schüler bei der Arbeit hilft, ist verantwortlich für seine Seele. Ein kleines Wort, ein Gebet, eine nichtige Kleinigkeit, mit Glaubensgeist vollbracht, kann eine große Wirkung haben. Achten wir also gut auf das Wörtchen „besonders“ und richten uns danach!

D.s.b.