Kapitel vom 27.11.1889: Über die Tagesordnung.
Im letzten Kapitel, das ich den Novizen hielt, empfahl ich ihnen dringend das Stillschweigen. Es bedarf keines Hinweises, dass sie sich mit diesem nicht befreunden werden, wenn die Professen sich nicht darum kümmern. Darum richte ich an euch diesen dringenden Appell. Ein Wort, das uns entwischt, bedeutet, wenn ihr wollt, vielleicht nicht die Welt. Ein Wort aber, das man zurückhält aus Liebe zu Gott, aus Ehrfurcht vor der Regel und aus Abtötung, kommt einem Akt der Gottesliebe gleich. Euer Verhalten entspricht aber leider nicht dieser Wahrheit. Seid überzeugt: Unser Heiligwerden setzt sich ausschließlich aus solch kleinen Schritten zusammen. Ihr braucht nichts anderes zu suchen. Ich behaupte: lange Gebete oder große Bußwerke kommen an Wert einem Wort nicht gleich, das wir aus Liebe zum Direktorium und aus Gehorsam zurückhalten.
Das religiöse Leben beruht nicht auf frommen Einbildungen, auf unseren Fähigkeiten und Talenten. „Religiös“ bedeutet „gebunden an Gott“, „verbunden mit ihm“, gleichsam „gegen ihn erpresst“. Halte darum jeder zu jeder Zeit das Stillschweigen, ausgenommen während der Erholungszeit. Sagt man trotzdem etwas, so möge man sich im Beichtstuhl darüber anklagen, und die Beichtväter tun gut daran, eine kräftige Buße zu erteilen, dass man mehr darauf achtet. Jedenfalls geht unsere Zeit damit verloren, und wir schaffen vor lautem Schwätzen nichts.
In dieser Woche wollen wir uns also das Schweigen sein lassen. Noch einmal: ein Wort hat vielleicht keine große Bedeutung. Entscheidend ist aber: mit einem unterdrückten Wort können wir einen Akt freiwilligen, großmütigen Gehorsams leisten. Gewiss ist es von Nutzen, den Novizen das Stillschweigen zu predigen. Vergebliche Mühe aber müsste es bleiben, wollten wir ihnen nicht gleichzeitig das gute Beispiel vorleben. Werden sie nicht sagen: „Schweigen ist nur gut für uns, ist nur eine Lebensform auf Zeit. Eine Livree, die man nach der Profess wieder ablegt.“ Seid große Liebhaber des klösterlichen Schweigens! Ihr findet in ihm eine große Stütze und Hilfe. Wir tragen ja alles in uns, was wir brauchen. Jeder Professe möge sich darum bei seiner nächsten Beichte anklagen: „Mein Vater, ich gestehe, mich gegen das Stillschweigen vergangen zu haben und aus dem und dem Grund.“ Es ist ein Gehorsam, den ich euch gebe.
Unsere täglichen Verpflichtungen: „Die Tagesordnung muss in jedem Hause genau beobachtet werden.“
Auf Reisen sollen wir unseren täglichen Verpflichtungen wie zu Hause nachkommen. Man verrichte sie für sich zur gleichen Stunde und mit der gleichen Gewissenhaftigkeit. Anderenfalls verstieße man wesentlich gegen seine Pflicht, weil gegen die Satzungen, unser Gesetz. Hat man andere Dinge zu erledigen, wie z.B. Aufsicht im Studium, Unterricht, etc. muss man dennoch versuchen, sie nicht zu vernachlässigen. Es ist nicht immer leicht, sie zur vorgeschriebenen Stunde vorzunehmen. Aber vorher oder nachher oder auch zwischendurch findet sich immer ein freier Augenblick, den Stundengedanken oder die Stoßgebete zu erwecken. Die Empfehlungen des Direktoriums sollten uns gleichsam wie Schlingen und Netze umgeben, denen wir nicht entrinnen können. Die Schwierigkeit schwindet, wenn wir uns eine Zeitlang bemüht haben, es hierin zu einer Gewohnheit zu bringen. Die Tagesordnung muss jedenfalls in jedem Haus befolgt werden. Lediglich die Stundeneinteilung mag daran geändert werden. Alle vorgeschriebenen Tagesübungen sollten wir wie eine Summe Geldes betrachten, die wir täglich zu entrichten haben. Sehen wir darum ein bisschen voraus, ob wir etwa eine zusätzliche Arbeit zu erledigen haben. In solch einem Fall, wenn wir unser religiöses Gesamtpensum nicht erledigen können, wollen wir die nötige Erlaubnis einholen. Unser Seelenleben darf nicht drunter- und drübergehen, sondern soll unserm „Joch“, dem Gehorsam unterworfen bleiben. Eines Tages hat man wider Erwarten nicht allen Pflichten nachkommen können. Auch konnte man sich beim lieben Gott die nötige Erlaubnis und treffe seine Vorkehrungen für die Zukunft, wo der gleiche Fall aller Voraussicht nach wieder eintrifft. Ist das traurig und betrüblich, solchem Zwang unterworfen zu sein? Glückselig der, welcher diese Ketten gerne trägt. Sie verbinden ihn auf die liebenswürdigste Weise mit seinem Herrgott. Wir finden ihn auf keinem anderen Wege.
„Um sein Tagewerk zu heiligen, befolge jeder gern und genau das geistliche Direktorium.“
Genau und gerne: Die Genauigkeit führt zur Liebe. Man tut das gern, was man häufig tut, was einem zur Gewohnheit geworden. Es entspannt uns. Nehmt es darum während dieser Woche – wie ausgemacht – genau mit dem Schweigen. Ihr werdet erfahren, zu welch tiefem Frieden und großem Eifer euch dieses Joch zu führen vermag.
Jeder lege ein Blatt ins Direktorium: sein Schein für die zu entrichtende Schuld. Da steht etwas, was ihr im bestimmten Augenblick versäumt habt. Holt es nach. Ihr habt zehn Stoßgebete und drei Stundengedanken verpasst: eine Viertelstunde liegt vor euch, macht eure Stoßgebete, erweckt eure frommen Gedanken über den Tod zugunsten der armen Seelen im Fegfeuer. Das ist eure Schuld, bezahlt sie. Wir sollten nicht einschlafen, ohne dem lieben Gott alles erstattet zu haben, was wir schulden. Du hast deine Betrachtung nicht mit der Kommunität machen können. Du willst sie ja sicher nicht abends um zehn Uhr oder noch später halten. Hole sie also baldmöglichst nach. Ist euch das aber an diesem Tag ganz unmöglich, dann ersetzt sie, indem ihr diese Arbeit, jene Vorbereitung auf euren Unterricht, jene Handarbeit usw. im Geist des Gebetes verrichtet.
Unser Herr gebraucht das Beispiel vom Kaufmann, dem das Himmelreich gleich sei. Allabendlich bringt ein Kaufmann seine Geschäftsbücher in Ordnung. Unterlässt er dies einmal, mehrmals, so häufen sich die Rechnung zu Berge und geraten in Unordnung. Er sieht nicht mehr durch und macht Pleite. Nehmen wir es also genau mit unseren Pflichten, dann halten wir nicht nur unsere eigenen Angelegenheiten in Ordnung, sondern auch die der hl. Kirche und der Seelen, die Gott uns vorbehalten hat. Denn Gott hat jedem von uns eine bestimmte Anzahl von Seelen zur Rettung zugewiesen. Das offenbarte er zu wiederholten Malen der großen hl. Theresia. Das bestätigt auch die hl. Schrift. Das gilt mit Vorzug von den Ordensleuten. Unsere Hilfsmittel dafür sind: Stillschweigen, Pünktlichkeit in unseren täglichen Pflichten, Treue zum Direktorium.
Seit den letzten Exerzitien haben sich die Patres all unserer Häuser eine schöne Gewohnheit zugelegt: Sie schreiben mir keinen Brief, ohne genaue Rechenschaft abzulegen über ihren Seelenzustand und die Art, wie sie das Direktorium beobachten. Das möge man beibehalten, denn darin liegt unsere Stärke, ja unser Leben. Da wir zu allem Gottes Hilfe brauchen, wollen wir die Gute Mutter in besonderem Maße anrufen, sie möge uns willens machen, all das zu verwirklichen, was ich euch ans Herz gelegt habe.
Vergesst in euren Gebeten nicht unsere Missionare! P. David empfiehlt sich ausdrücklich dem Gebet der Kommunität. Sie waren dort alle nacheinander krank, hatten eine Art Windpocken, die sie sehr mitnahm. Ein Bruder aus Brasilien ist daran sogar gestorben. Auch P. Simon ist krank. Er bekam einen Sonnenstich, weil er ohne Kopfbedeckung in der prallen Sonne arbeitete. Man schreibt mir, es gehe ihm schon besser. Auch für die Mission in Südafrika wollen wir beten. Dieses Land hat unter der Hungersnot schwer zu leiden. Sie hatten dieses Jahr überhaupt keine Ernte. Wir könnten ihnen nur unsere Gebete zu Hilfe schicken, und das wollen wir gern tun. Das wird vielleicht eine gute Seele bewegen, ihnen zu Hilfe zu kommen.
D.s.b.
