Kapitel vom 20.11.1889: Exerzitien und Volksmissionen werden nur auf ausdrückliches Verlangen der Pfarrer und Oberen übernommen.
„Exerzitien und Volksmissionen werden nur auf ausdrückliches Verlangen der Pfarrer und Oberen übernommen…“
Wir gehen nie dahin, wohin wir nicht gerufen werden. Die Herren Pfarrer und Kapläne sind mit Vorsicht zu behandeln. Hier wie überall halten wir uns schön zurück, wie es echten Oblaten des hl. Franz v. Sales geziemt, in aller Demut und Sanftmut. Das erweist sich letztlich stärker, als alles andere. Dem kann nichts widerstehen. Man lässt den Sturm vorübertoben und weicht dem Donnerwetter geschickt aus. In allen uns übertragenen Seelsorgearbeiten zeigen wir uns nachgiebig und leisten gerade damit Großes.
Einen wichtigen Grundsatz gilt es hier zu beachten: Werden wir irgendwohin geschickt, dann gehen wir dorthin nur, um zu helfen. Kommen wir in eine Pfarrei, so leisten wir dem Pfarrer „Aushilfe“. Schickt man uns in eine Kommunität, dann unterstützen wir den Oberen und die Oberin. Werden wir einem apostolischen Werk zugeteilt, dann gehen wir dem Leiter zur Hand. Das Gute, das wir vollbringen, soll das ergänzen, was bereits geschehen ist, soll also genau das sein, was die anderen noch nicht vollbracht haben. Wir bauen also genau da weiter, wo andere aufgehört haben oder wir arbeiten mit ihnen zusammen, so unvollkommen uns auch ihre Arbeit auch erscheinen mag. Davon müssen wir ausgehen. Peinlich müssen wir uns vor jenem seelsorgerlichen Ehrgeiz hüten, ganz neu beginnen zu wollen und die Arbeit der anderen zu verachten. Auf jeden Fall haben die anderen uns die Standesgnade voraus. Der Vorgesetzte oder der Direktor des Apostolatswerks legen das Fundament, wir helfen ihnen lediglich beim Weiterbauen. Da ist z.B. der Leiter eines Apostolatswerks, sagen wir ein Laie. Er maßt sich die Rechte eines Priesters an und lässt es in seinem Eifer an der rechten Einsicht fehlen. Was macht es schon aus? Und wenn er nur erreicht, dass zwei Kinder mehr zur Beichte kommen, ist das schon ein großer Vorteil.
Tun wir das, was der Heiland für uns tut. Er macht gut, was wir schlecht machen, ergänzt unser Mühen, tritt hinter uns zurück. Tun wir desgleichen und setzen wir uns an die zweite Stelle hinter dem Direktor, dem Pfarrer oder dem Vorgesetzten. Bewahren und ergänzen wir sein Tun mit ganzem Herzen und ganzem Verstand und in aller Ehrfurcht. Das sei unser Siegel und Stempel, so werden wir dem hl. Franz v. Sales und der Guten Mutter ähnlich. Das vorhandene Gute heißt es vermehren, und nicht ein großes Durcheinander anrichten – dann wird der liebe Gott wunderbar unser Mühen segnen.
Rufen wir uns noch einmal die Wahrheit ins Gedächtnis: Was eine Wirkung ausüben soll, muss aus dem Leiden kommen. Die Erlösung der Seelen ist – wie am Tag der Passion unseres Herrn – ein Mysterium des Leidens, ist die Geschichte unserer Hingabe, Selbstverleugnung und Geduld. Das gilt es wohl zu verstehen. Und was von den Apostolatswerken gesagt wurde, erstreckt sich naturgemäß gleichermaßen auf unsere Kollegien und Werkstätten. Wer darin mit einer Autorität ausgestattet ist, wer Vorsteher ist, hat eine Standesgnade. Ihren Einsichten ordnen wir unter, wenn sie nicht offenkundig schlecht sind. Es kommt wahrlich nicht darauf an, sich gegenzeitig anzurempeln, Tongefäßen gleich, die aufeinanderprallen und zerbrechen. Das ist schon vom vorhinein rein menschlichen Standpunkt eine Regel der Klugheit. Welche Weisheit liegt doch in der Erkenntnis: In dieser Sache spiele ich nur eine Nebenrolle. Mag diese Rolle nicht größer sein als ein Stecknadelkopf: sie zieht mir jedenfalls Gottes Gnade zu.
Der Ordensmann ist nicht ein Mensch wie irgendein anderer: Er handelt nicht in eigener Vollmacht, sondern im Gehorsam. Sein Tun entspringt nicht eigener Initiative; sondern ist Erfüllung des göttlichen Willens. Lassen wir den Oberen immer seinen vollen Anteil und helfen wir ihm, dass das Gute geschehe. Kostet das ein Opfer, umso besser. Das will ja unsere Bestimmung und unser Amt.
Im Buch der Makkabäer lese ich alle Jahre in der Brevierlektion, was mir sehr bemerkenswert erscheint: Rom, heißt es da, hat die Herrschaft über die Welt errungen durch Geduld und Überlegung, also dank einer umsichtigen Weisheit, indem es in der jeweiligen Situation klug erwog, ob aus ihr ein Vorteil zu ziehen sei. Geben diese zwei Worte nicht die ganze Geschichte Roms wieder?
Dieser Geist sollte auch all unseren Worten, Absichten, Sympathien und Arbeiten zugrunde liegen. Es drückt den Sinn alles klösterlichen Mühens aus. So wird der Einsatz des Ordensmannes den Stempel der Ehrfurcht, der Klugheit und des Maßes tragen. Er wird sich klar, was die Umstände von ihm an persönlichem Opfer verlangen. Er sagt „Ja“ zu allem, was Gott von ihm wünscht und soweit er es wünscht. Das ist unsere geistige Physiognomie. All unsere Unternehmungen und Beziehungen zur Außenwelt sollen von diesem Geist gezeichnet sein. Damit können wir überall hin gehen, jeden Auftrag übernehmen, alles meistern. Kein weiteres Wissen ist dazu erforderlich… ich meine in Punkto Geschicklichkeit. Eine Menge Unternehmungen, gute und ausgezeichnete, misslingen eben aus diesem Grund. Mit diesem Prinzip haben wir stets Erfolg, dieses Vorgehen kennt fast keine Niederlagen und keinen Wankelmut von Seiten des Menschen, und von Seiten Gottes überhaupt keine. Denn hier wird ja gerade sein Wille erfüllt.
Die Satzungen wollen also unser gutes Einvernehmen mit dem Pfarrer, insbesondere wenn es sich um die Gründung eines apostolischen Werkes handelt. Und darin haben unsere Satzungen sicher recht. Handelt man ohne den Rat des Pfarrers oder gegen ihn, so wird euer Unternehmen schon am Morgen nach eurer Abreise hinweggefegt sein. Wir müssen mit ihm nicht nur einig sein, sondern auch wohl beachten, ob er vielleicht selber schon mit etwas begonnen hat. Könnt ihr ihm dabei behilflich sein, dann geht auf seine Idee ein, selbst wenn sie euch nicht so ganz richtig und logisch vorkommt. Das ist jedenfalls zehnmal besser, als wenn ihr in eine andere Richtung marschiert. Unterstützt sein Tun, und ihr werdet sicher mehr Erfolg verbuchen als wenn ihr euer Unternehmen ohne seinen durchführen wollt.
Sprecht oft das Gebet Salomons: „Gib mir, Herr, deine Weisheit, dass sie mich leite und beistehe bei meiner Arbeit.“ Seht, so braucht auch ihr den lieben Gott. Auf seine Hilfe kommt alles an. Darum müssen wir alles im Geist des Direktoriums vollbringen. Was tut der Mensch? Man darf auch nicht sagen, er täte nichts. Er tut alles, weil Gott ohne ihn nicht handelt. Aber er muss such doch vollständig den Händen Gottes übergeben. Nur unter dieser Bedingung leistet er Großes.
Was ich soeben ausführte, lässt sich ohne Abstriche auf die Missionen wie auch auf jedes Apostolatswerk anwenden. Die Methode unseres hl. Gründers muss uns in Fleisch und Blut übergehen, und wir sollen das beherzigen, was er seinen Pfarrern schreibt. Wir wollen auch seine Predigtmethode übernehmen. Das Studium seiner Predigten kann uns nur von Nutzen sein. Gewiss hat auch er dem Geschmack und Stil seiner Zeit einen kleinen Tribut gezollt. Doch davon abgesehen, trägt alles den Stempel der höchsten Klugheit, Wissenschaftlichkeit und Lehrweisheit. Seht nur, wie er sich der Theologie, insbesondere der Hl. Schrift und der Väter bedient. Beachtet vor allem, wie treu er sich an den Grundsatz hält, stets seine Zuhörer anzusprechen. Nie hält er eine Rede, nur um eine Rede zu halten. Vielmehr ändert er Ton und Stil ganz nach den Umständen und den Menschen, an die er sein Wort richtet. Darüber gäbe es viel zu sagen. Nehmt ihn also zum Modell für euer Predigen. Der Verzicht auf uns selbst und die wohl verstandene Nachahmung unsers hl. Stifters, das wollte uns die hl. Kirche durch unsere Satzungen ans Herz legen. Bittet unseren hl. Stifter und die Gute Mutter, uns mit diesem wichtigen Punkt unserer Berufung gut zu durchdringen.
Ich empfehle dem Gebet der Kommunität die Mission vom Kapland. Man berichtet mir von dort, dass man viel unter der Hungersnot zu leiden hat. Auch in Rio-Bamba (Südamerika) bittet man um unsere Gebetshilfe. Dort herrscht zwar keine Hungersnot, doch sind unsere Patres weit von Reichtum entfernt und haben auf andere Weise zu leiden. Doch sind sowohl P. David wie P. Simon guter Dinge.
Auch von Kalvina (Südafrika) schreibt mir P. Ceyte von Zeit zu Zeit. Er hat viel auszustehen und bedarf unserer Gebetsunterstützung. Ich weiß nicht, wie viele protestantische Prediger gegen ihn wühlen, die glänzend bezahlt werden, während er ganz isoliert dasteht mit seinem guten Bruder…
