Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 09.10.1889: Kommentar zu den Satzungen – Aufopferung unseres Tuns und Handels

Wir fahren in unserem Kommentar zu den Satzungen fort.

„Gleich beim Erwachen soll jeder sein Tun und Handeln nach dem Beispiel des hl. Franz v. Sales Gott aufopfern.“

Dieser Artikel verpflichtet uns ebenfalls zur treuen Übung des Direktoriums, vor allem der guten Meinung. Denn das Direktorium ist das Hauptmittel für unsere Heiligung. Wenn wir vor jeder Handlung unsere Zuflucht zu Gott nehmen und um seinen Beistand bitten, wird er uns nie im Stich lassen. Bedrängt uns irgendeine Leidenschaft, eine Zornesaufwallung, eine Empfindung des Hasses oder der Sinnlichkeit, so brauchen wir nur eine kräftige gute Meinung zu erwecken, und die Leidenschaft wird der Vernunft, der Regel und der Gottesliebe Platz machen.

Diese Pflege der guten Meinung gibt uns ein zuverlässiges und wirksames Mittel in die Hand, unser Tun nach den Normen der Vernunft und des Glaubens auszurichten. Sie muss uns nur zur festen Gewohnheit werden, dann verliert sie alles Schwere. Immer wenn wir eine neue Arbeit in Angriff nehmen, einen Besuch empfangen, in die Klasse gehen, oder besser gesagt – am Anfang, in der Mitte und am Ende der Unterrichtsstunde, erneuern wir diese reine Absicht. Die Gesamtheit unserer Handlungen wird dann Eigentum Gottes, sodass wir gar nicht mehr ohne ihn, ohne seine Gnade und seinen Willen handeln können. Mitunter ärgert uns eine Arbeit und zerstreut uns. Ein andermal freut uns das Arbeiten, vielleicht tun wir es leidenschaftlich gern und lassen wir uns blind davon fortreißen. Dann wieder wird uns eine Arbeit zur Qual, sodass wir sie so lang wie möglich hinausschieben. Wir lassen uns also von unserem Hang leiten. Das große Heilmittel gegen all diese Unvollkommenheiten ist die gute und rechte Meinung. Sie wird mit ihrem Licht unsere Schritte erleuchten, wird vor uns hergehen und uns von allem Sündhaften und Vernunftwidrigem bewahren. Sie zeigt uns an, was gut ist, was die Liebe gebietet, was wir zu tun und zu lassen haben.

Unser hl. Gründer empfiehlt uns dringend, auf unsere inneren Absichten zu hören. Die hl. Mutter (Franziska von Chantal) sagt irgendwo, die gute Meinung spiele bei uns die Rolle einer Wache zur Rechten wie zur Linken, sei eine Mauer, die uns schützt, eine Bewegung und Triebkraft, die uns mitten ins Ziel treibt. Macht also die gute Meinung zu eurer Lehrweisheit und empfiehlt sie unablässig den Seelen. Ob ihr sie nun „gute Meinung“ nennt oder sonst wie, ist unwichtig. Vielleicht sagt ihr dafür: – Aufopferung eurer Handlungen an Gott. Jedenfalls sorgt dafür, dass diese Übungen euch Anvertrauten zur Gewohnheit werde. Denn nur die innere Absicht gibt unserem äußeren Tun Wert und Verdienst. Gut seine inneren Absichten überwachen ist somit ein sicheres Mittel, zum Himmel zu gehen und auch andere dahin zu führen.

„Wenigstens eine Viertelstunde sollen die Oblaten täglich dem Besuch des Allerheiligsten widmen.“

Der Ausdruck „Besuch des Allerheiligsten“ ist ziemlich neu in der Kirche, und ich billige ihn voll und ganz. Ich weiß nicht, ob er sich schon bei den Theologen bzw. Lehrern der Frömmigkeit vor dem hl. Alfons findet. Aber er gibt ausgezeichnet wieder, was diese Frömmigkeitsübung sein soll. Sie ist kein Akt der Anbetung, auch kein Gebet, sondern ein Besuch. Besuchen wir aber jemand, dann unterhalten wir uns über Dinge, die ihn interessieren. Dinge, die uns vielleicht irgendwann von Vorteil sein können und dazu beitragen, unsere nützlichen und angenehmen Beziehungen zu ihm weiter zu pflegen. Und genau das soll unser Besuch des Allerheiligsten bezwecken. Zuerst sagen wir dem lieben Gott ein herzliches Grußwort. Gibt es über das verflossene Tagewerk etwas zu berichten, so tun wir es: „Heiland, siehe, das habe ich getan. Wo warst du währenddessen? Warum hast du mich meinen kleinen Kräften überlassen?“ so kommt allmählich eine Unterhaltung zustande. Er ist ja wirklich in deiner Nähe. Du hast zeitliche oder geistliche Gnaden von ihm zu erbitten, hast Schwierigkeiten bei der Studiersaalaufsicht, in der Seelenführung, Sorgen für dich wie für die anderen: all das trage dem Herrn vor.

Machst du einen Besuch bei einer hochgestellten Person, um von ihr etwas zu erbitten, weißt du ihm dann etwa nichts zu sagen? Du bist Ordensmann und kniest vor dem Allerheiligsten in Untätigkeit und zerbrichst dir den Kopf? Es will dir nichts in den Sinn kommen? „Ja, wäre ich ein Heiliger!“ seufzt da. Das ist schon wahr, aber unter uns gibt es keine großen Heiligen. Wir sind kleine, elende Menschen. Darum müssen wir ganz einfach zum lieben Gott gehen und ihm unseren Besuch machen mit der schlichten Wärme und Liebe unseres Herzens. Fühlen wir uns gedrängt, einen Akt der Anbetung, der Liebe zu unserem Herrn zu machen, so überlassen wir uns doch diesen Empfindungen. Sie sind gut. Haben wir keinerlei Empfindungen und Gefühle, so kann dies an gewissen Fehlern liegen, die wir begangen haben. Demütigen wir uns dann vor ihm und bitten wir ihn um Verzeihung. Vielleicht haben wir einen schwierigen Fall zu klären, eine peinliche Situation in Ordnung zu bringen, denken wir all das bei unserem Besuch. So verbrachte die Gute Mutter diese kostbare Zeit. Sie unterhielt sich mit unserem Herrn über Gegenwärtiges und Vergangenes. Weit entfernt, eine zusätzliche Belastung, Ermüdung oder Schwierigkeit zu werden, wird dieser Besuch unsere Seele beruhigen und erleichtern. Man kommt gerade von einer Arbeit, von einer Aufsicht im Studiersaal, von einer Verdrießlichkeit, wie sollen wir all das in ein Gebet bringen? Du machst übermenschliche Anstrengungen, um Gott auch im Widerspruch die Treue zu halten. Erzähle all das unserem Herrn in der Einfalt deines Herzens. Diese Eröffnung sei dir aber keine Qual, keine Frömmigkeitsübung wie alle andern. Sondern wir lassen einfach unser Herz sprechen. Wir müssten schon gar keine Liebe zu ihm haben, wenn wir ihm gar nichts zu sagen wüssten.

Der hl. Alfons empfiehlt, die Besuchung des Allerheiligsten immer mit einer geistlichen Kommunion zu beenden: ein Liebesakt soll dem Herrn unseren Wunsch bezeugen, ihn in unserem Herzen zu empfangen. Auf diese Weise erneuern wir die Kommunion des Morgens oder die geistliche, wenn wir nicht sakramental kommuniziert haben. Wir dürfen uns zu Füßen des Tabernakels nicht als Fremdlinge vorkommen: Er ist da, um sich uns ganz zu widmen. „Sei gegrüßt, du hl. Leib des Herrn…“ Nicht mit unserer Phantasie sollen wir zu ihm kommen, nicht einmal mit unserer Urteilskraft oder mit Hilfe einer bestimmten Methode… Heute fühlst du dich nicht recht wohl, du bringst kein Gespräch zustande. Bleib also still und sag bloß: „Ich kann dir heute nichts sagen.“ Bleibe wie ein Armer an der Tür des Reichen. Nehmt also eure Besuchungen des Allerheiligsten ernst! Ihr werdet reiche Früchte davon ernten.

D.s.b.