Kapitel vom 27.02.1889: Über Briefkorrespondenz, körperliche Gesundheit, Betreten der Amtsräume und Aufgaben der Brüder
„Niemand darf ohne Erlaubnis Briefe empfangen oder absenden.“
Diese Empfehlung bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Briefe im Allgemeinen. Das Gebräuchebuch wird näher festlegen, welcher Spielraum da eingeräumt werden kann für Briefe der Seelenführung, damit einerseits das Briefgeheimnis des Nächsten gesichert ist und andererseits unsere Korrespondenz dem Gehorsam unterliegt. Wir werden darüber gewisse Regeln aufstellen, über die ich mich heute nicht auslassen möchte. Diese Regeln werden dann ins Gebräuchebuch aufgenommen.
Das Gebräuchebuch soll auch Anleitungen enthalten über den Stil unserer Korrespondenz. Unser hl. Stifter hat darüber sehr schöne Richtlinien aufgestellt, die uns auch heute noch, nach fast 300 Jahren durchaus raten können, in welcher Weise wir schreiben sollen.
Heute möchte ich nur so viel sagen, dass unsere Korrespondenz von religiösem Ernst und von echter Würde getragen sein soll. Possen und Schäkereien haben darin keinen Platz. Unter guten Freunden kann man sich ein witziges Wort erlauben. Possen und unpassende Witze dagegen sollen wir vermeiden. Unsere Briefe sollen eben Briefe von Ordensleute sein: „Das Geschriebene bleibt.“ – Als Hauptregel soll uns für unseren Schriftverkehr der Grundsatz vorschweben, in der Gegenwart Gottes und vor den Augen aller Menschen zu schreiben. So werden unsere Briefe immer Frömmigkeit und Erbauung ausstrahlen. Wie man in der Unterhaltung nicht einfach alles heraussagen kann, was einem auf der Zunge liegt, sondern seinen Gesprächspartner immer auch erbauen soll, so sollen auch unsere Briefe die Leser in der Liebe zu Gott fördern. Unsere brieflichen Beziehungen sollten also immer eine religiöse Grundtendenz haben. Der Brief beginne mit den Worten: „Es lebe Jesus!“ und schließe mit: „Gott sei gebenedeit!“ Zwischen diese beiden Anmutungen passen schwerlich Possen oder sonstigen komische Dinge, die der religiösen Würde widersprechen. Will man etwas Geist und Schalkhaftigkeit darin mischen, kann es sicher nicht schaden. Nur ist es in derlei Dingen schwer, das rechte Maß zu wahren. Schreiben wir also vernünftig, ernst und fromm, stets eingedenk, dass wir unsere hl. Regel überall beobachten müssen. Unsere Briefe an Weltleute seien in besonderer kluger und ausgewogener Weise abgefasst. Sie vor allem sollten vor Gott und unter den Augen unserer Vorgesetzten geschrieben werden, so als würden sie von allen Menschen gelesen. Das wird euch in keiner Weise hindern, in euren Briefen der Seelenführung alles das zu Papier zu bringen, was ihr für richtig, notwendig und angemessen haltet. Solche Briefe müssen mehr als alle anderen Frömmigkeit, Liebe und hl. Salbung atmen. Jeder derartige Brief, mag er verloren gehen oder auf öffentlichem Platz verlesen werden, wird, wenn er von Frömmigkeit und Nächstenliebe diktiert wurde, sicher reiche Frucht tragen. Das gesamte Leben des Ordensmannes sollte ja mit all seinen Gesprächen, seinen Verhaltensweisen und seinen Beziehungen so beschaffen sein, dass es von jedermann gesehen und erfahren werden darf. Ein alter Philosoph pflegte zu sagen, er würde gern in einem Glashaus wohnen. Das gilt auch für uns. Unsere Briefe mögen einfach abgefasst, aber immer eines Ordensmannes würdig sein.
„Damit auch die körperliche Gesundheit am Segen des Gehorsams Anteil habe…“
Wer etwas Besonderes braucht, soll es ganz einfach sagen. Dann tut jeder seine Pflicht: der eine erfüllt Gottes Willen, indem er um das Nötige bittet. Der Obere, indem er das Erbetene gewährt. Um etwas Besonderes bitten, ist sicher nicht angenehm. Man möchte lieber im Rahmen der Allgemeinheit bleiben. Es ist ein schwerer Akt der Unterwerfung, und darum verdienstlich vor Gott. Aus diesem Grund sollten wir auf das Bitten nicht verzichten.
Ich empfehle dringend, es ganz einfach zu sagen, falls man an Nahrung etwas Besonderes braucht. Ich selbst muss gestehen, dass ich nicht darauf verzichten kann, um 16 Uhr, mitunter auch schon um 10 Uhr, etwas zu mir zu nehmen, z.B. etwas Milch. Gewiss, von solchen unumgänglichen Ausnahmen abgesehen, sollten wir ganze Ordensleute sein. Besonders unsere jungen Mitbrüder mögen, was die Nahrung betrifft, ihren Mut in beide Hände nehmen und großmütig alles essen, was ihnen vorgesetzt wird, auch wenn es ihnen nicht schmeckt. Jeder nehme entsprechend seinem Hunger und vergesse dabei die Abtötung nicht. Meiden wir alles Überflüssige und Gesuchte und essen wir nicht außerhalb der Mahlzeiten. Wir trinken auch keinen Bohnenkaffee. Müsste ein Oblatenlehrer Kaffee trinken, um wach zu bleiben während des Unterrichtes, wird er es seinem Oberen oder Novizenmeister sagen. Bräuchte er ihn wirklich, so bekäme er ihn auch. Ich appelliere da an das Gewissen, an die religiöse Substanz eines jeden. Seien wir glücklich, unsere hl. Regel erfüllen zu können, und töten wir uns entschlossen in allem ab, was nur unseren Geschmack befriedigt und unnötig ist. Eins der Hauptmittel, dessen sich der Teufel bedient, besteht darin, uns zu fangen und zu ködern durch die Reize der Sinnlichkeit und Naschhaftigkeit. Hat er nicht schon Eva damit verführt?
Damit kommt gleichzeitig das Gelübde der Armut zu seinem Recht. Alle wirklich notwendigen Ausgaben werden uns jederzeit genehmigt werden. Der Gehorsam heiligt diese Auslagen, und so werden wir nicht als Materialisten auf „gut Glück“ unseren Weg zu Gott gehen. Wir verfolgen ein höheres Ziel: aus Liebe zu Gott. Ob wir leben oder sterben – wir tun alles für Gott. Auf diesem Weg wollen wir ausharren. Jedes andere Vorgehen würde uns außerhalb unseres Standortes und Landes verweisen.
„Zimmer und Amtsräume eines Mitbruders dürfen nicht ohne Erlaubnis betreten werden.“
Ein früherer Schüler will euch besuchen. Um ihn in euer Zimmer zu führen, braucht ihr eine Erlaubnis. Lasst grundsätzlich niemand in eure Zelle, ohne dazu ermächtigt zu sein. Kommt ein Schüler zu euch zur Beichte, ist es etwas anderes. Gewährt vor allem Frauen nie Zutritt in eure Zelle, empfangt keine Besuche, nicht einmal junge Männer. Dazu sind der Garten und das Sprechzimmer da. Die Zelle ist kein Ort für Unterhaltung.
„Die Laienbrüder mögen sich vor der Versuchung hüten, in den Klerikerstand überzutreten.“
Ich sprach bereits von den Brüdern und der Gnade, die Gott ihnen schenkt, leichter und sicherer als die Patres auf dem Weg der Heiligkeit voranzuschreiten. Sie müssen es nur wollen, und entschlossen handeln. Wenn sie sich treu an den Gehorsam halten, werden sie sich viele und große Gnaden sichern. Das konnte ich in der Heimsuchung gut beobachten. Die heiligste Schwester nach der Guten Mutter war die Schwester Maria-Genofeva, eine mit weißem Schleier also, die das Gemüse für die Kommunität zubereitete…
In der Großen Kartause hielt ich einmal meine geistlichen Exerzitien und beichtete bei Pater Retournat, das war ein heiligmäßiger Mann. Er schrieb mir wunderbare Briefe, 12-15 Seiten lange. Ich habe sie ausgeliehen und natürlich nicht mehr zurückbekommen. Ich konnte sie nie wiederfinden. Eines Tages sagte er mir: „Finden Sie in unserem Kloster etwas von Gott?“ – „Natürlich“, gab ich zur Antwort. „Ist Ihnen etwas Besonderes in dieser Hinsicht aufgefallen?“ – Eigentlich nicht.“ – „Ich habe aber Gott gebeten, Sie innerlich etwas davon spüren zu lassen. Haben Sie wirklich nichts bemerkt?“ – „Tatsächlich, jetzt fällt es mir ein: Ich spürte einen gewissen Zug von Seiten Gottes, an der Küchentür vorbeizugehen..“ – „Und warum das?“ – „Weil kürzlich der Küchenbrüder den Küchenschalter öffnete, als ich gerade vorbei ging, und dieser Bruder machte auf mich den Eindruck eines Heiligen.“ – „Das beweist, wie gut Gott unsere Gebete erhört“, fuhr Pater Retournat fort. „Ich hatte nämlich zu Gott gebetet, Sie etwas Derartiges spüren zu lassen. Dieser Bruder ist tatsächlich ein Heiliger. Das tröstet und bestärkt mich aber sehr, dass der liebe Gott Ihnen diese fromme Empfindung eingegeben hat.“
Das ist nun 20 oder 30 Jahre her. Kein Zweifel also, dass die Handarbeit Gott sehr angenehm ist. Dasselbe lehrte auch die Gute Mutter: Unser ganzes Wirken und Schaffen muss im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit getan werden: Wir arbeiten im Namen des Vaters, wenn wir uns körperlich abmühen. Im Namen des Sohnes, der die Weisheit oder das Wort Gottes ist, wenn wir unterrichten und predigen. Im Namen des Hl. Geistes, wenn wir Seelen zu Gott führen. Auf diesen Standpunkt müssen wir uns stellen, dass alle Handarbeit uns mit Gottvater verbindet. Der Vater wirkt bis zu dieser Stunde. Die Arbeit hört nie auf. Gott setzt sein Werk der Schöpfung und Erhaltung unaufhörlich fort, gibt allen Wesen Leben, Tätigkeit und Bewegung. Machen wir uns diesen Gedanken ganz zu Eigen, der uns die Würde der Arbeit verständlich macht und die Seele ermutigt. Dieser Gedanke begleitet uns während dieser Woche.
