Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 20.02.1889: Über das Gehorchen einem Oberen gegenüber

„Alle Glieder der Kongregation werden dem Generaloberen schnell, freudig und beharrlich gehorchen, indem sie ihr Urteil und ihren Willen unterwerfen.“

Lasst mich noch einmal auf diese Unterscheidung zurückkommen: Sein Urteil unterwerfen, heißt das etwa, man sei verpflichtet, sein eigenes Urteil auszulöschen, um es dem des Vorgesetzten anzugleichen? Nein, nicht vernichten sollen wir es, sondern nur unterordnen. Tut man dies aber, wenn man in seinem Geist bewusst dem Gehorsam widersprechenden Gedanken nährt oder solche gar den anderen weitergibt? Nein, sondern man unterwirft sein Urteil, indem man äußerlich dem Gehorsam gemäß handelt und innerlich seinen Willen rückhaltlos dem Befohlenen unterordnet mit den Worten: „Ich habe mein Gehorsamsgelübde abgelegt, darum gehorche ich gerne. Trotz meines andersartigen Urteils führe ich das mir Aufgetragene aus. Für die Folgen bin ich nicht verantwortlich, es ist nicht meine Sache.“ Wir sollen also ohne langes Hin- und Herdeuteln den Auftrag ausführen, der Stimme des eigenen Urteils kein Gehör leihen und uns selbst hinsichtlich der befohlenen Sache unterordnen.

Nicht nur unser äußeres Tun soll der gegebenen Weisung entsprechen, wir sollen auch unsere persönliche Vorliebe und Neigung unterwerfen. Als Mittel aber, den Gehorsam so vollkommen zu gestalten, empfehlen die Meister des geistlichen Lebens, einschließlich Franz v. Sales, sich freudig vom eigenen Urteil loszureißen. So wird das Schwere am Gehorsam gemildert, sein Segen und seine Frucht gemehrt. Man kommt auf seine eigene Rechnung und stellt auch die anderen zufrieden.

„Auf dieselbe Weise werden sie auch den übrigen Oberen gehorchen, dem Haus- wie dem Provinzialoberen.“

Man soll nicht zwischen Oberen und Oberen unterscheiden. Im Gehorsam gibt es keine Auswahl. Entweder ist er vollständig oder er ist überhaupt nicht da. Damit er den Namen Gehorsam verdient, muss er allen Oberen auf die gleiche Weise erwiesen werden, wie sie die Regel aufzählt. Alles andere wäre unehrlich und unwürdig. Es wäre ein Sklavengehorsam, würde es diesem erwiesen oder jenem, diesem ein bisschen mehr als jenem. Vielleicht glaubt einer, gute Gründe zu haben, warum er dem einen mehr gehorcht als dem andern. Diese Gründe taugen nichts. Es bringt uns nur Schaden ein. Du hast den Gehorsam gelobt, so halte dein Versprechen. Anders zu handeln, könnte dich nur herabwürdigen. Es macht dich nicht frei, sondern zu einem Augendiener: Das führt zu moralischem Verfall. Euren Gehorsam (Befehl) empfangt ihr von Gott und ihr leistet ihn im Namen Gottes.

Großmut im Gehorchen lässt uns innerlich größer werden. Menschliche Erwägungen hingegen mindern Verdienst und Tugend, man nimmt seelisch ab. Überlassen wir dies getrost den Frauen, die dieser Oberin gehorchen, weil es eben diese ist und nicht jene andere, die ihnen nicht gefällt. Unser Herz soll sich dehnen und weiten: „Ich will Gott gehorchen, darum ich es allen Vorgesetzten gegenüber. Trägt mir mein Oberer etwas Gutes Angenehmes auf, soll es mir recht sein. Wenn nicht, soll es mir noch lieber sein.“ Hier gilt es, alle Kleinlichkeit und Enge abzustreifen. Denn sich selbst beim Gehorchen suchen, lässt uns seelisch schrumpfen, macht uns schwächlich und albern. Unser hl. Stifter liebte aber nicht die Albernen, sondern schätzte über alles männliche Herzen und mannhafte Charaktere. Der so aufgefasste Gehorsam macht stark, man fühlt sich gestützt und gehalten.

„Sie werden dem Ruf der Glocke wie der Stimme unseres Herrn selbst mit größter Pünktlichkeit folgen.“

Alle Meister des geistlichen Lebens rühmen die Pünktlichkeit beim Glockenzeichen. Dieses prompte Reagieren auf die Stimme der Glocke hilft uns, von unseren Launen und Phantasien loszukommen. Für Gott vollbringen wir da einen Akt des Großmutes, einen echten Liebesakt gegenüber der Stimme unseres Herrn, der uns ruft.
„Niemandem darf man einen Befehl oder eine Zurechtweisung erteilen, wenn man nicht vom Oberen oder durch sein Amt dazu verpflichtet ist.“

Jeder soll seinen Mitbrüdern ehrfürchtig begegnen. Gewahrt man bei einem von ihnen etwas Schlechtes oder Tadelnswertes, dann macht man in aller Liebe den Oberen darauf aufmerksam, dass er den nötigen Tadel ausspreche. In der Welt draußen würde uns die Liebe dazu verpflichten, persönlich den fehlenden Mitmenschen auf einen Fehler aufmerksam zu machen. Bei uns steht das Tadeln nur dem Oberen zu. Wir leben ständig in Gemeinschaft zusammen – allzu schnell fände man Geschmack daran, Zurechtweisungen auszuteilen, und die Liebe würde darunter leiden. Ihr sollt euch von den Ideen und Vorstellungen der Gymnasiasten befreien und euch gegeneinander nicht wie solche benehmen. Wozu seid ihr denn ins Kloster gegangen? Doch um heilig zu werden und nach euren Gelübden zu leben. Trifft euch ein Tadel, so seid dafür dankbar. Er soll euch ja helfen, heiliger zu werden und euren Gelübden treuer nachzukommen. Fällt der Tadel streng aus, wird euer Nutzen umso größer sein.

Darf man als Mitbruder nicht tadeln, dann darf man natürlich auch nicht richten. Es steht uns nicht zu, zu entscheiden und abzustempeln: dieser Pater hier hat falsch gehandelt… Das Verhalten der anderen unterliegt nicht unserem Urteil, also können wir nicht tadeln oder richten. Jeder kümmere sich um seinen eigenen Fortschritt und maße sich nicht an, die anderen zurechtrücken zu wollen.

„Niemand darf sich in das Amt oder die seelsorgerlichen Pflichten eines anderen einmischen. Wird er aber – besonders in einem der untergeordneten Ämter – um einen Dienst gebeten, so möge er ihn herzlich gern erweisen, wenn er nicht verhindert ist. Sollte die Arbeit längere Zeit in Anspruch nehmen, dann erbitte man zuerst vom Oberen die Erlaubnis.“

Wird man um eine kleine Dienstleistung ersucht, soll man mit aller Herzlichkeit aushelfen. Es sollte uns ein Bedürfnis sein, uns dem Nächsten gegenüber gefällig zu erweisen. Für größere und zeitraubende Dienste freilich bedarf es einer Erlaubnis.

„Niemand darf ohne Erlaubnis des Oberen Briefe empfangen oder absenden. Alle Briefe müssen über den Oberen gehen.“

Ein Briefgeheimnis besteht hier nur für die Korrespondenz mit dem Hl. Vater, dem General- und Provinzialoberen. Jeden anderen Brief, und sei er selbst an einen Bischof gerichtet, kann der Hausobere öffnen, absenden oder zurückbehalten, wie er es für gut findet. Daraus folgt, dass man an niemand ohne Erlaubnis schreiben kann außer in den zwei genannten Fällen.

„Bevor die Oblaten Bücher oder Schriften veröffentlichen, holen sie die Erlaubnis des Generaloberen und die Genehmigung des Ordinariates ein.“

Das betrifft nicht klassische oder wissenschaftliche Werke, die keine Glaubens- oder Sittenlehre berühren. Hier würde die Erlaubnis des Generaloberen genügen.

„Die Laienbrüder mögen sich vor der Versuchung hüten, in den Klerikerstand übertreten zu wollen.“

Das kann mitunter starke Versuchungen verursachen. Bekanntlich sieht man mit Vorliebe die Nachteile des eigenen und die Vorteile des anderen Standes. Ein Student meint, Handarbeit sei bekömmlicher und strenge weniger an. Der Handarbeiter hingegen ist versucht, das Los des Studierenden zu beneiden. So sind wir nun einmal. Betrachtet man aber die Dinge vom übernatürlichen Standpunkt aus, dann ahmen die Brüder zweifellos mehr das äußere Leben unseres Herrn nach.

Es ist geschichtlich erwiesen, dass Brüder, die heilig werden wollen, dies ohne große Mühe erreichen. Es genügt, wenn sie nur ein klein wenig dazu entschlossen sind. Für die Patres ist dies unvergleichlich schwieriger. Ein Bruder, der nur etwas guten Willen aufbringt, ja, der nur ein Viertel des guten Willens eines Paters aufbringt, gelangt schneller zur Heiligkeit als der Pater. So lese ich es im Leben der Heiligen, so stelle ich es in der täglichen Praxis fest. Unser Herr selbst lehrt, ein Reicher gehe schwerer in das Himmelreich ein als ein Kamel sich durch ein Nadelöhr zwängt. Ein Geistesmann, ein Reicher im Verstand also, der Wissenschaft betreibt, trägt einen mächtigen Höcker auf dem Rücken. Wie schwer fällt es ihm, sich überall durchzuwinden. Ein armer kleiner Esel dagegen hat keine Not, überall durchzuschlüpfen, ohne sich den Rücken zu verletzen.