Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 06.02.1889: Der Oblate des hl. Franz v. Sales darf nichts ohne Wissen und Erlaubnis seines Oberen zum Gebrauch haben.

Wir sollten nichts als unser persönliches Eigentum betrachten. Gewiss behält man sein Brevier, seine Kleider – man kann ja nicht die seines Mitbruders anziehen – sein Direktorium, obwohl die Heimsuchungsschwestern dies jedes Jahr austauschen. Das können sie aber leichter tun, da sie ständig in derselben Kommunität leben, während wir ja eine Genossenschaft (mit verstreuten Niederlassungen) sind.

Abgesehen von dem aber, was uns zum persönlichen Gebrauch dient, müssen wir auf einen einfachen Wink des Oberen auf alles verzichten und es einem anderen abtreten. Wenn wir unser Herz nicht gut überwachen, hängt es sich schnell an allerlei Nichtigkeiten, kleine Gegenstände und Andenken. Haben wir die Erlaubnis, solche Dinge zu behalten, dann behalten wir sie eben. Sagt man uns aber, sie herzugeben, so tun wir es großmütig. Jedes Ding, an dem wir unser Herz hängen, macht uns zu Eigentümern und vermindert unsere Treue zur Gnade des Gelübdes der Armut. Es hindert uns, vorbehaltlos Gott zu gehören, bringt uns folglich um den vollen Lohn unserer Hingabe. „Aus Liebe zu Dir“, beten wir in der Gelübdeformel. Gibt es aber etwas, woran wir hängen, dann weihen wir unser Leben diesem Ding, geben uns ihm hin und lieben es mehr als uns, ja mehr als alles. Die Liebe zu Christus und infolgedessen die Hingabe all dessen, was wir zum Gebrauch haben, an Jesus Christus, ist aber der Beweggrund unserer Gelübde. Es zeichnet uns den Weg und die Lebensregel vor, der wir zu folgen haben und die wir nicht vergessen dürfen.

Da verlangt der liebe Gott ein Opfer von uns. Jetzt entscheidet es sich, ob wir ihn mehr lieben als alles. Ist das Gefäß unseres Herzens leer, so füllt Gott es aus. Diese zarten Verzichte und Rücksichten des Ordenslebens sind etwas Großes und ziehen uns viele kostbare Gaben von Seiten Gottes zu.

Vor einigen Jahren besuchte ich meinen einstigen Mitstudenten aus dem Priesterseminar, der Novizenmeister in der Großen Kartause geworden war. Einst liebte er die Freiheit, die Großzügigkeit und das gute Leben… Ich sah auf Papier einige Trauben Johannisbeeren ausgebreitet, die er in seinem kleinen Garten gepflückt hatte. „Was bedeutet das?“ fragte ich ihn. „Nun, Du siehst ja, wie klein mich das Ordensleben gemacht hat. Diese paar Johannisbeeren sammle ich im Geist der Armut, dass sie nicht zugrundegehen.“

So sollten auch wir es halten. Wir sind ins Kloster gegangen, um den lieben Gott zu suchen, und schon mit einer Kleinigkeit können wir sein Herz für uns einnehmen. Lieben wir also die Armut. Die Erlaubnisse, die wir einmal bekommen haben, sollen wir wenigstens einmal im Jahr neu erbitten, damit wir uns nicht daran gewöhnen, die Dinge als unser Eigentum zu betrachten. Sie gehören Gott. Der Gedanke soll uns ständig begleiten: es steht uns nicht frei, die Dinge unseres Gebrauches nach Belieben zu verwenden. Sie sind uns nur geliehen, von Gott uns anvertraut. Hüten wir uns peinlich, uns je als Eigentümer dieser Gegenstände zu betrachten.

„Der Oblate darf ohne Erlaubnis nicht verschenken, nichts annehmen, nichts verleihen, nichts vertauschen oder verlangen.“

Wir können nichts verlangen. Seht da einen Ordensmann, der seine apostolischen Werke betreut, wie sie ihm der Gehorsam übertragen hat. Darf er jemand um Hilfe angehen? Zuerst braucht er dazu die Genehmigung seines Vorgesetzten. Erst dann kann er sich auf Grund dieser allgemeinen Erlaubnis um die nötigen Hilfen bemühen.

Das bürgerliche Gesetz verstand früher ausgezeichnet Sinn und Tragweite des Armutsgelübdes. Der Ordensmann galt für die Güter dieser Welt als tot. Ihm stand darüber nicht mehr Macht und Einfluss zu als den Verstorbenen. Diese staatliche Gesetzgebung erleichterte die Übung des Armutsgelübdes. Heute liegt die Sache anders. Wir haben dafür keine andere Stütze mehr als die Ordensregel und den Gehorsam.

Verfügt man also über die nötige Erlaubnis, so kann man Hilfe erbitten. Doch soll man das nur mit größter Klugheit tun. Ich wünsche sehr, dass jede Kommunität sich selbst alles Nötige erwirbt, und ich will auch, dass die ganze Kongregation ihren eigenen Lebensunterhalt verdient, statt andere darum anzugehen. Es ist mir lieber, dass wir arbeitende Patres seien statt bettelnde. Die Genossenschaft soll sich durch Arbeit und gutes Wirtschaften durchbringen, und nicht durch Almosen. Betteln soll nicht allzu sehr unsere Art sein. Gewiss brauchen wir Almosen, denn unsere Ausgaben überstiegen zurzeit unsere eigenen Mittel. Für unsere Missionen wie für die apostolischen Werke sind wir auf sie angewiesen. Aber in jedem Haus greife man zuerst auf die gewöhnlichen Mittel, um seinen Unterhalt zu bestreiten. Wir machen es wie die Armen, die Charakter haben, ein wenig stolz sind und sich lieber selber den Kopf zerbrechen, um neue Erwerbsquellen zu erschließen, als dass sie die Hand für milde Gaben ausstrecken. Nirgendwo lesen wir, dass die sel. Jungfrau und der hl. Josef gebettelt hätten. Es entspricht mehr der Vollkommenheit, wie sie zu handeln.

Damit will ich nichts gegen die Bettelorden sagen. Sie haben ihr Verdienst und ihr Daseinsrecht in der Kirche. Ihre Lebensweise ist sehr erbaulich. Es ist heldenhaft, so wenig zu besitzen, dass man gezwungen ist zu betteln, um leben zu können. Die Kirche hatte sich das gut überlegt und erlag damit keiner Täuschung. Die christliche Gesellschaft braucht dieses Beispiel. Gäbe es in allen Städten Frankreichs Kapuziner, die barfüßig im Schnee dahingehen, glaubt ihr, die Arbeiter würden dann weiterer Aufstände inszenieren? Und die guten Arbeiter sähen darin nicht ein Mittel der Heiligung? Die moderne Gesellschaft hat vom Christentum alles übernommen, was ihr (materiell) zum Vorteil gereicht, und hat dann die Kirche über Bord geworfen. Wir kommen vom Regen in die Traufen. Glaubt ihr, Italien stünde vor dem Bankrott, wenn der Papst dort oberster Herr wäre? Oder Frankreich stünde da, wo es zurzeit steht und gäbe Millionen für eine Armee aus, deren es dann nicht bedürfte?

Wir brauchen deshalb unserer Zeit und Gesellschaft nicht feindlich gegenüber zu stehen, sollten aber unsere eigenen Überzeugungen bewahren und sie zur Leuchte auf unserem Lebensweg machen. Das große Unheil des französischen Klerus und der Ordensgemeinschaften im Jahr 1789 (Anm.: „Ausbruch der französischen Revolution.“) war es gewesen, dass sie die echten Grundsätze aufgegeben hatten, um die Meinungen des Tages kritiklos zu übernehmen. Hätte man mehr Grundsatztreue bewiesen, dann hätten sich nicht 400 oder 500 Schurken als Herren aufspielen, dem König den Kopf abschlagen, alles umkrempeln und kurz und klein schlagen können.

Wir glauben an das Evangelium. Wir glauben, dass der liebe Gott der höchste Herr aller Dinge ist, der zeitlichen wie der geistlichen. Man steigt nicht auf die Kanzel, um diese Wahrheiten lautstark in die Welt zu posaunen. Wir wären Rufer in der Wüste und ließen uns dafür ganz unnötigerweise den Hals umdrehen. Wir brechen keinen Kampf vom Zaun, um unseren Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Der Kampf würde mit einer Katastrophe enden. Käme Johannes der Täufer in seiner Kamelhaarkutte und seinem Aufruf zur Buße zu uns und predigte auf unseren öffentlichen Plätzen, so würde er als armer Verrückter angesehen. Der Staatsanwalt würde sich für ihn interessieren und ihn wegen Verstoßes gegen die Gesetze in polizeilichen Gewahrsam nehmen. Der Erfolg wäre gleich null.

Wir müssen in der Zeit leben, in die Gott uns gestellt hat. Die Kirche muss durch die Jahrhunderte schreiten und diese nacheinander vor Fäulnis bewahren: „Ihr seid das Salz der Erde.“ Das soll nicht heißen, wir müssten alles in Salz verwandeln. Es würde sonst alles ungenießbar…

Das Gelübde der Armut ist etwas Großes und Heiliges in dem Sinn, dass wir überzeugt sind: alles ist Gottes Eigentum und wir müssen deshalb alles in Losschälung des Herzens gebrauchen und Gott sein Eigentum nicht entziehen. Die Menschen bemächtigen sich des Geschaffenen, eignen es sich an, wenden es ab von seinem eigentlichen Daseinszweck, um ihre Leidenschaften damit zu befriedigen. Der Teufel als Fürst der Welt mischt sich darin. Hat er es doch gewagt, selbst unseren Herrn zu versuchen: „Falle vor mir nieder und dies alles werde ich dir geben.“ Der Teufel hat große Macht über die stofflichen Dinge. Das Mittel nun, ihn an der Ausübung dieser Macht zu hindern, besteht darin, eine echte Armut zu üben und durch ein weises und kluges Verhalten Gott und seiner Kirche das zurückgeben, was ihnen gebührt.

„Der Oblate darf sich nicht aneignen, was anderen zum Gebrauch dient, was ein anderer zurückgelassen hat… Er sorge dafür, dass nichts von dem ihm Anvertrauten verloren gehe oder verderbe.“

Ich nehme ein Beispiel: Man darf nicht die Bücher der gemeinsamen Bibliothek an sich nehmen, sie bei sich behalten und als sein eigen betrachten. Behandeln wir achtsam unsere Kleider, Bücher, alles, was wir zum Gebrauch haben wie z.B. Büromöbel, etc. All das ist im Geist der Sparsamkeit zu behandeln, sodass uns immer das Bewusstsein bleibt, Arme zu sein. Armen fehlt es oft am Nötigen. So sollen auch wir immer irgendwie unsere Armut spüren, sonst wären ja keine Oblaten, die eine „Oblation“ (Opfergabe) anzubieten haben.

„Der Oblate strebe nicht nach überflüssigen und ungewöhnlichen Dingen.“ Legen wir für uns und unseren Gebrauch keine Sammlungen an. Dagegen ist es durchaus erlaubt, für das Museum des Hauses oder die Hausbibliothek eine Sammlung anzulegen, weil dann alles der Klostergemeinde zugutekommt.

„Man begnüge sich mit einer einfachen Kost.“

Damit halten wir es wie unser hl. Stifter. Wenn uns etwas schmeckt, dann essen wir davon. Schmeckt uns etwas weniger, dann diene uns das als Gelegenheit, ein Opfer der Selbstüberwindung zu bringen. Müssen wir auswärts essen, so vergessen wir nicht, dass wir Ordensleute sind und üben die eine oder andere Abtötung. Ist man verpflichtet, an einem Festmahl teilzunehmen, so bietet sich immer Gelegenheit zu einer etwas größeren Abtötung als gewöhnlich.

„Er freue sich, wenn die Folgen der Armut sich fühlbar machen in allem, was ihm zum Gebrauch zugewiesen ist, in seiner bescheidenen Einrichtung, seinen Kleidern…“

Es ist eine große Aufmerksamkeit von Seiten Gottes, wenn die andern etwas haben, was uns abgeht. Wir finden Gott nämlich immer auf der Seite dessen, der etwas entbehrt.

„Damit bei uns nichts den Geist der Armut verletze, dürfen in den formieren Klöstern Zimmer und Möbel nicht versperrt werden ohne Erlaubnis des Oberen.“

Wir holen also die Erlaubnis ein, wenn wir es auf Grund unseres Amtes oder besonderer Umstände für notwendig halten, Zimmer oder Möbel zu versperren.

Wir wollen eine besondere Liebe zu unserem Armutsgelübde aus dem Grunde hegen, den ich euch genannt habe und den die Theologie uns liefert: Die Dinge gehören Gott. Wir Ordensleute sollen ihm alles zurückerstatten, was die Welt ihm raubt, indem wir alles als Eigentum Gottes gebrauchen. Die ganze Schöpfung soll nach dem Maß unserer Kraft zu ihrem Ursprung, d.h. Gott, zurückgeführt werden, indem wir nach Möglichkeit seine Absichten über uns erfüllen. Dann wird uns Gott auf Grund dieser Einstellung zu diesem oder jenem Werk gebrauchen, das er uns zugedacht hat, zum Wohl seiner Kirche und um die Seelen den Klauen des Teufels zu entreißen. Die Gnade dazu wird uns in dem Maße bereitstehen, als wir unser Armutsgelübde verwirklichen.

In Puncto Armutsgelübde habe ich zahlreiche und auffallende Beispiele von Segnungen erlebt, die Gott auf jene ergießt, die sich auf diesem Gebiet treu erweisen. Andererseits auch Beispiele von überaus strengen Züchtigungen, die Gott über jene Kommunitäten kommen lässt, die sich hierin nachlässig zeigen.

Um unserer Gelübde der Armut zu beobachten, muss man es mit dem Herzen und mit Liebe üben. Das macht uns dem Herrn ähnlich, zieht uns Gottes höchstes Wohlgefallen zu und vereinigt uns aufs innigste mit Gott. Erbitten wir von Gott Verständnis für diese Tugend, um jenes Verständnis des Herzens, das uns ein sicheres Gefühl verleiht für die zarten Feinheiten, für die scheinbar belanglosen Kleinigkeiten, in denen sich dieses Gelübde betätigen lässt.

D.s.b.