Kapitel vom 05.12.1888: Persönliche Heiligung
Sehr oft komme ich auf die gleichen Gedanken zurück. Ja es will mir scheinen, ich trage überhaupt immer die gleichen Wahrheiten vor. Aber das ist in unserer Zeit wirklich notwendig. Wir müssen einer den anderen zu verstehen suchen. Sich verstehen ist etwas Großes. Unser Herr sagte, wenn zwei oder drei über irgendetwas, außer über das Böse, einig seien, weile er mitten unter ihnen. Lasst uns also über folgenden Punkt derselben Meinung sein: Wir werden Gutes nur auf Grund unserer persönlichen Heiligkeit tun können. Das Gelingen all unseres Mühens und unserer Seelsorge hängt wesentlich von unserer Treue zu unseren Satzungen, vor allem zu unserem Direktorium ab. Ich sage „vor allem“, weil die Übung des Direktoriums uns beständig begleiten muss, also zu einem Habitus, zu einer Gewohnheit werden sollte. Das Direktorium ist wie das Gerüst und Skelet unseres Ordenslebens.
Ich sage es, weil ich sehe, wie das Böse sich in unvorstellbarem Maße in der Welt ausbreitet. Ein Mädchen von Tauxelles bereitete sich auf die hl. Taufe vor. Ganz persönlich ändert sie ihre Absicht und schreibt ihrem Vormund einen Brief, der beweist, wie weit der Einfluss der Freimaurer reicht. Das ist keine Abschweifung, was ich euch da erzähle. Wir müssen das Übel erkennen, damit wir es mit vereinten Kräften wirksam bekämpfen können. Das Mädchen ist 16 Jahre alt. „Ich habe das Vergnügen, dir mitzuteilen“, schrieb sie in diesem Brief, „dass ich heute in der Fabrik, in der ich arbeite, mein 14tägiges Notenzeugnis erhalten habe. Ein Aufseher hat mich geärgert, und ich habe ihn daraufhin beschimpft, worüber ich mich freue. Denn damit habe ich Charakter bewiesen. In drei Monaten bin ich 16 ½ Jahre alt. So stehen mir also nur noch drei Monate zur Verfügung, bis ich frei bin, und ich bin gewillt, meine Freiheit zu gebrauchen. Ich hoffe, dass du dein Versprechen nicht vergessen hast, das dir mein sterbender Vater abgenommen hat und das du mit einem Schwur bekräftigt hast. Solltest du es trotzdem vergessen haben, rufe ich es dir ins Gedächtnis zurück: ‚Albert‘, hat er gesagt, ‚ich vertraue dir meine Tochter an. Du weißt, dass sie dir nicht lange gehört, und dass mit 16 ½ Jahren in… eintreten wird. Störe sie bis dahin nicht und lass sie tun, was sie will.‘ Ich hoffe nicht, dass du so feige bist, zu vergessen, was du meinem Vater geschworen hast. Übrigens ist dir bekannt, was mein Vater mir auf dem Sterbebett gegeben hat: ein Fläschchen Gift, das ich sorgfältig aufbewahre und von dem 2 bis 3 Tropfen genügen, mich zu töten. Er hat mir empfohlen, zu diesem Mittel zu greifen, wenn man mich unglücklich machen oder in ein Ordenshaus stecken will…“ Da habt ihr eine typische Freimaurererziehung vor euch. Was kann man schon dagegen tun? Versuchen, diese Leute zu bekehren? Das ist meist verlorene Zeit. In allen Mädchenvolksschulen wird zurzeit diese Freimaurererziehung angewandt. Die Logenbrüder beherrschen ganz eindeutig das Feld. Selbst unsere Patres von Pella bekommen dies deutlich zu spüren.
Das einzige Mittel, dagegen anzukommen, ist die Heiligkeit. Sollen wir apostolische Werke gründen? Solche Werke sind gewiss ausgezeichnet, predigen ist vortrefflich, Seeleneifer kann nicht genug gelobt werden. All das soll nicht unterlassen werden. Aber für sich allein genommen – was kann es schon nutzen? Gebt dem oben erwähnten Mädchen gute Zeitungen in die Hand: was erreicht man schon damit? Nur die Heiligkeit und die Gnade Gottes werden der Arbeit unserer Hände, dem Wort unseres Mundes ja selbst unserem Beten erst die rechte Wirkung verleihen, werden mehr als alles andere zur Rückkehr dieser verirrten Seelen beitragen.
Die Gute Mutter hielt die Worte der Hl. Schrift: „Herr, zeige mir deine Wege“ in hoher Ehre, vor allem während der Adventszeit. Advent ist nicht nur eine Zeit der Besinnung, die uns enger mit Gott verbindet, sondern auch eine Zeit heiliger Wünsche und Gelübde und geistlicher Kommunionen. Oft und oft sollen wir uns mit der Ankunft des Messias und dem Kommen unseres lieben Herrn in unsere Herzen geistig verbinden. Nicht nur beim hl. Messopfer sollen wir und jeden Augenblick mit dem Heiland vereinigen und ihn bitten, in unsere Herzen einzukehren, um von neuem der Retter Israels zu werden. Um in diesem Anliegen erhört zu werden, und unserem Gebet eine große Wirkung zu verleihen, müssen wir uns aber um Heiligkeit bemühen. Durch eifriges und beständiges Gebet, durch glühendes Verlangen nach dem Kommen des Herrn und seines Reiches müssen wir uns Advent werden lassen. Sprecht darum mit aller Andacht die Vaterunserbitte: „Dein Reich komme!“ Dass es dann von uns aus zu den andern übergehe. So will es im Allgemeinen die Ordnung der Vorsehung. Wie will man denn anderen zur Heiligkeit verhelfen, wenn man sie selber nicht besitzt? Auf dieses Ziel müssen wir hinarbeiten, und auf kein anderes. Das sage und schreibe man allen Patres! Auf diese Weise setzen wir uns dem teuflischen Einfluss entgegen, der sich immer handgreiflicher in der Welt bemerkbar macht. Was ist imstande, ihn unschädlich zu machen? Wollen wir den Teufel etwa überlisten, dann werden wir sicher den Kürzeren ziehen. Zurzeit verfügt er über alle Geldquellen und über sämtliche Machtmittel. Er ist der Herr der Welt, in seinen Händen liegt die öffentliche Gewalt. Geben wir uns darüber keinerlei Selbsttäuschung hin. Paulines Brief, den wir soeben gelesen haben, sagt darüber alles und lässt keinen Zweifel zu. Der Geist Paulines steckt in allen Bereichen der Gesellschaft, bis in die untersten Schichten hinein, wo es von Zeit zu Zeit zu gären beginnt. Der Gischt steigt dann hoch und überschwemmt alles. Um etwas dagegen zu unternehmen, brauchen wir keine Politiker zu werden oder Zeitungen zu lesen – es genügt ganz einfach, heilig zu werden, so vorzugehen wie unser Herr es tat. Das Ackerfeld, das er uns anvertraut hat, gründlich zu bebauen und zu pflügen, unsere ganze Kraft und Liebe einzusetzen, mit unserem ganzen Herzen und großmütig zuzugreifen.
Noch einmal sei es gesagt: meine Worte sind keine Spiegelfechterei, sondern eine ganz konkrete Aufforderung für die hl. Adventszeit.
Aufnahme in die Genossenschaft
„Als Kandidaten dürfen nur solche in die Kongregation aufgenommen werden, die ein großes Verlangen nach christlicher Vollkommenheit bekunden und wenigstens 16 Jahre alt sind.“
Das will freilich nicht besagen, dass man mit 16 Jahren schon die Gelübde ablegen kann. Nur zum Noviziat kann man in diesem Alter zugelassen werden.
„Was der Postulant zu den Unterhaltskosten beitragen soll, wird nach der finanziellen Lage des Hauses und den Möglichkeiten des Postulanten festgesetzt.“
Das kanonische Recht erlaubt es nicht, jemanden aufzunehmen, der gar keine Mitgift mitbringt, seien es nun Geistesgaben oder Geldmittel. Wer kein Geld geben kann, wird es durch Arbeitsamkeit, Einsatzfreudigkeit und geistige Gaben zu ersetzen trachten: als Brüder, indem sie Handarbeit verrichten, als Patres, indem sie durch ihre Dienste dem Haus neue Hilfsquellen erschließen. „Entsprechend den Bedürfnissen des Hauses“, sagen die Satzungen. Ist ein Haus reich begütert, so kann es sich bescheiden zeigen in seinen Forderungen.
Die Postulanten mögen sich ein Gewissen daraus machen, alles zu tun, was in ihrer Macht steht, um dem Haus, was Unterhalt und Nahrung betrifft, nicht nur Last zu fallen und es für die Unkosten, die es verursachen, zu entschädigen. Arbeitet man in diesem Geist, wird man ein guter und frommer Ordensmann. Bei Männern ist dies übrigens einfacher als bei Frauen. Denn diese verdienen im Allgemeinen seltener ihren eigenen Lebensunterhalt. Sie arbeiten meist im Haushalt, was weniger in Erscheinung tritt, und sie verstehen es gewöhnlich kaum, dass sie noch anderes als ihre Person zur Verfügung stellen sollen. Kommt die Postulantin jedoch aus einem wohl geordneten Haus, in dem Wohlstand und Reichtum herrschen, hat sie meist dafür mehr Verständnis. Ich kannte in der Heimsuchung ein vornehmes Mädchen, das eine reiche Mitgift ins Kloster gebracht hatte, aber ganz zufrieden war, immer das Geschirr der Kommunität spülen zu dürfen. Es ist eine auffallende Tatsache, dass solche, die aus gutem Haus stammen und eine gediegene Erziehung genossen haben, falls sie einen echten Beruf haben, sich gern mit den mühsamsten Handarbeiten abgeben.
Das ist also die erste Bedingung für die Aufnahme ins Noviziat: das vorgeschriebene Alter, die zweite: dass er durch Geld oder Arbeit zu seinem Unterhalt beitrage.
„Der Postulant nimmt einige Zeit an den verschiedenen Übungen der Klostergemeinde teil.“
„Einige Zeit“ bedeutet manchmal acht Tage, manchmal auch mehr. Danach nimmt er an den Übungen des Noviziates teil. Das ist seine Probezeit. In der Heimsuchung wird man im Allgemeinen zu den Übungen des Noviziates erst nach zwei Monaten zugelassen, im Höchstfall nach drei.
„Das Noviziat dauert nach den kanonischen Vorschriften ein volles Jahr.“
Der Grund für diese Kürze der Noviziatszeit liegt darin, dass man verhindern will, der Kommunität allzu lange Mitglieder aufzubürden, die ihr noch keine aktiven Dienste leisten können. Andernfalls könnte man ja diese Vorbereitungszeit solange wie in den Seminarien ausdehnen. Das Kirchenrecht will aber, dass die Novizen merken, wie wenig Zeit ihnen zur Verfügung steht und sich deshalb alle Mühe geben, den für die Profess erforderten Grad an Vollkommenheit bald zu erreichen. Unmittelbar danach können sie dann der Ordensgemeinde Dienste erwiesen und sie unterstützen (anfangs waren die Novizen schon Priester), im Unterricht, in der Seelsorge oder die Laienbrüder durch Handarbeit.
Das sollten wir alle sehr ernst nehmen. Ich lernte nie eine heiligmäßige Ordensperson kennen, die nicht in hohem Maße danach verlangt hätte, der Klostergemeinde tatkräftig unter die Arme zu greifen, ihr auf jede Weise zu nützen und all ihre Kräfte für sie einzusetzen… Sollte uns dieser Gedanke noch nicht gekommen oder wieder abhanden gekommen sein, oder haben wir noch nicht gründlich darüber nachgedacht, so machen wir uns jetzt an die Arbeit und das mit ganzem Herzen.
„Vor der Einkleidung wie vor der Gelübdeablegung machen die Postulanten zehntägige geistliche Exerzitien.“
Diese zehn Tage kann man auch in zwei Teile zerlegen, wenn der Novizenmeister und der Generalobere dies für gut finden und man eine zehntägige Einkehr, auf einmal absolviert, für zu anstrengend hält. Für die einen sind Exerzitien eine Erholung, für andere eine Todesqual. Und für diese Letzteren würden zehn Tage eine allzu große Belastung bedeuten. Darum kann man sie in zwei Hälften aufteilen, vorausgesetzt, dass die Teile nicht zu weit auseinander liegen. Diese Auslegung der Hl. Regel entspricht ganz der Gesinnung des hl. Franz v. Sales, der auf die gleiche Weise vorzugehen pflegte. Nur sollte, wie gesagt, ein moralischer Zusammenhang zwischen den beiden Teilexerzitien bestehen.
Sprecht jetzt im Advent gern das Lieblingsgebet der Guten Mutter: „Zeige mir, Herr, deine Wege, und deine Pfade lehre mich.“ Nutzen werden wir auch daraus ziehen, die schöne Stelle noch einmal nachzulesen, die im Brevier auf die erste Lesung des ersten Adventssonntags folgt: Dieses Responsorium ist sehr fromm, tief und wirklich wunderschön. Mir scheint, man könne jetzt im Advent gut seine Betrachtung darüber machen.
D.s.b.
