Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 26.12.1888: Das römische Breviergebet

„Das Noviziat dauert den kanonischen Vorschriften gemäß ein volles Jahr.“

Ein Jahr ist dafür nicht zu lang, denn während des Noviziates gibt es viel zu tun. Um Soldat zu werden, sind nach Ansicht der Fachleute drei Jahre nötig. Dem Soldaten wird zuerst die Grundausbildung vermittelt: sich richtig halten, sich soldatisch bewegen, das ist für den Rekruten sehr wichtig. Im Noviziat sollen wir noch etwas mehr tun. Wir sollten uns hier eine gute Haltung und die rechte Gangart angewöhnen dies alles muss ja lange vorhalten. Der Geist des hl. Franz v. Sales ist umfassend und weit. Er drängt vor allem darauf, alle Sonderlichkeiten in der Haltung zu vermeiden, sich nicht unnatürlich, steif oder komisch zu benehmen, nicht merkwürdig dreinzuschauen oder den Kopf zu halten, sondern einfach und bescheiden dahinzugehen.

Das Wasser dient zu vielerlei Zwecken, darum soll es selbst keinen eigenen und auffallenden Geschmack haben. Und trotzdem schmeckt es gut. So sollte man auch von uns sagen können: er ist Oblate und gleicht allen anderen Oblaten. Ja, das wäre sehr gut.

Meiden wir also jede Absonderlichkeit in unserem Benehmen, steife und gezwungene Manieren ebenso wie alles Sichgehenlassen. Das verriete Mangel an Erziehung und guter Lebensart. Letztlich kommt dies alles nur von einer gewissen Sinnlichkeit, von der Lust und Sucht nach Bequemlichkeit. Vermeiden wir andererseits alle Großtuerei und alles Glänzenwollen. Seid gesetzt und gemessen in eurem Benehmen: Steckt zum Beispiel nicht die Hände in die Taschen! Bei einer hochgestellten Persönlichkeit, die eines Tages ins Priesterseminar von Troyes kam und zu den Studenten mit den Händen in den Taschen sprach, wurde diese Eigenheit viel beredet. Warum sollte ich nicht ihren Namen nennen? Es war ein würdiger und frommer Bischof, der Bischof de Belley, ein Mann von großen Verdiensten. Bei seiner Ankunft in Troyes hatte er diesen Fehler an sich. Bei seinem ersten Besuch im Seminar hielt er eine Ansprache in diesem Stil, die mit f. (Anm.: „Brissons Kurzformel hieß vermutlich ‚farces: Schnurren, Possen‘.“) gespickt war. Das war sicher ein großer Fehler, von dem er sich aber später frei gemacht hat.

Dieser Bischof de Belley war äußerst gütig gegen uns. Vor ihm schnitt ich auf Anraten der Guten Mutter die Frage der römischen Liturgie an. „Hochwürdigster Vater“, sagte ich zu ihm, „ich lese die Messe nach dem römischen Missale. Darf ich da nicht auch das römische Brevier beten?“ – „Dazu ist jeder Priester berechtigt, es sei denn, der Ortsbischof habe es ausdrücklich verboten“, war seine Erwiderung. „Hochwürdigster Herr, darf ich Ihr gewissen mit dieser Sünde belasten?“ – Statt einer Antwort gab er mir einen Rippenstoß. Bald darauf begegnete ich Herrn Robin. „Ich habe da ein hübsches Diurnale“, (Anm.: „wohl eine Art Großbrevier“) begann ich. „Könnte ich wohl mein Brevier daraus beten?“ – „O, das ist aber sehr umfangreich“, erwiderte er. „Sie werden seiner bald überdrüssig sein. Wenn man jung ist, hat man noch Eifer… Haben Sie schon einmal das Samstagsbrevier durchgesehen?“ – Damit war mir klar, dass man meinem Plan keinen grundsätzlichen Widerstand entgegensetzen, sondern die Sache noch etwas hinausschieben wollte. Die Priesterweihe am Dreifaltigkeitssonntag nahte heran. Herr Chevalier, Professor am Großen Seminar und Generalvikar, ermutigte mich, indem er mir die richtige Verhaltensweise angab. So ging ich denn 14 Tage vor der Weihe zum Bischof. „Hochwürdigster Herr, möchten Sie nicht den Subdiakonen, die Sie bald weihen werden, erlauben, das römische Brevier zu beten?“ – „O, mein Kleiner, was haben Sie mit mir vor?“ – „Eine Beförderung zum Erzbischof“, gab ich zur Antwort. – „So, meinen Sie das wirklich?“ – „Dessen bin ich mir ganz sicher.“ – „Damit ich mir aber eine Affäre um den Hals. Ich will erst mit dem Regens sprechen und zu gegebener Zeit sehen wir uns wieder.“ Das tat er auch und der Regens meinte nur: „Vielleicht kann man dagegen gar nichts einwenden…“ Und so hielt das römische Brevier seinen Einzug in Troyes.

Diese Abschweifung beweist aber, dass man ein braver Mann sein kann, wiewohl man gewisse Absonderlichkeiten an sich hat wie der Bischof de Belley. Freilich sollten wir ihn hierin nicht nachahmen. Übrigens hat er allmählich seine Allüren geändert.

Gewöhnen wir uns daran, uns nicht selbst ins Licht zu rücken, nicht auffallen zu wollen, nichts an uns dulden oder zu tun, was nicht dem Ordensstand entspricht. Gehen wir nicht einem Spazierstock bewaffnet aus. Die Patres, die wegen körperlicher Schwäche einen benötigen, mögen darum bitten. Die anderen sollen darauf verzichten. Befolgen wir auch hierin das Evangelium: „Traget weder Beutel noch Stab mit euch!“

Meidet in Gegenwart von Frauen das allzu freie Sichgehenlassen. Vor Frauen sollten wir uns immer etwas Gewalt antun. Es wäre ein schwerer Fehler, eine Frau wie seinesgleichen zu behandeln. In ihrer Nähe sollten wir vielmehr eine gewisse Zurückhaltung und Hochachtung wahren, dann werden auch sie uns Achtung entgegen bringen. Zwischen ihnen und uns muss es eine gewisse Demarkationslinie geben, die im Umgang mit Männern und Jungmännern nicht nötig ist. Wahrt also eine gute Haltung beim Sitzen! Stützt euch nicht auf ein Bein in Gegenwart einer Frau. Das scheint vielleicht belanglos zu sein und ist doch so wichtig, ja darauf kommt alles an. Das möge man genau aufschreiben, damit all unsere Patres sich daran halten. Frauen gegenüber lege man immer eine geziemende und würdige Haltung an den Tag, ohne deshalb irgendwie aufzufallen. Vor ihnen können wir uns nicht benehmen wie zu Hause im eigenen Zimmer. Vielmehr soll man sich ein bisschen Zwang antun.

So wollen es übrigens die heiligen Canones, so wollen es auch die Regeln religiöser Sittsamkeit. Das ist echte Nachfolge Christi. Der hl. Apostel Paulus beschwört seine Korinther „bei der Sanftmut und Milde Christi“. Männern gegenüber heißt es ohne Hintergedanken und Umschweife vorzugehen: Was wir sind, das sind wir. Bei den Frauen hingegen sind wir das, wofür sie uns halten. Und dafür bedarf es einer ständigen Selbstbeherrschung und Zurückhaltung. Das macht uns in ihren Augen zu Heiligen. Bis zu einem gewissen Grade haben sie damit Recht.

Jeder hat ein bisschen seine eigenen Verhaltens- und Handlungsweise, auch seine kleinen Schrullen. Hütet euch, das vor Frauen zu zeigen. Gewöhnt euch vielmehr an eine allen gemeinsame Art zu handeln, und lasst euch in dieselbe Form gießen. Pater de M. sagte mir unlängst, mehrere Leute hätte ihm versichert, bei der Lektüre der Annales werde es ihnen klar, dass die Oblaten alle von derselben Art seien.

Darauf sollen wir wohl achten. Dann sind wir unverwundbar. Unsere innere Ausbildung hängt auch von der äußeren ab. Sie hängt natürlich vor allem von der Gnade Gottes ab. In dieser Meinung sollten alle Professen viel für die Novizen beten. Ich selbst bete jeden Tag für das Noviziat, dass Gott uns zahlreiche Novizen schenke und sie innerlich gut durchforme. Die Verantwortung aber, auf unsere Novizen Gottes Gnade herabzurufen, liegt auf uns allen! Denn nur die Gnade vermag ihnen alles nötige Licht zu vermitteln. Pater Rollin sagt mir das ständig: „Es fehlt ihm am nötigen Licht, er begreift nicht.“ Wer aber gibt dieses Licht? Die Gnade! Wer schenkt die Gnade, wenn nicht Gott. Wer aber kann sie von Gott erbitten, die Novizen etwa selber? Sie wissen ja gar nicht, was sie brauchen… Auch der hl. Augustinus sagt seinen Taufbewerbern: „Betet viel für sie, denn sie wissen nicht, wessen sie bedürfen. Darum können sie überhaupt nicht mit Liebe und Beharrlichkeit darum bitten.“ Seht euch nur die Gebete an, die die hl. Kirche am Vortag von Ostern und Pfingsten für die Katechumenen zu Gott empor schickt, damit ihnen Erleuchtung von ihm zuteilwerde. So tragen auch wir vor Gott die Verantwortung für unsere Novizen. Das ist, theologisch gesprochen, im strengeren Sinne, notwendig. Dessen wollen wir bei der hl. Messe, in unseren seelischen Prüfungen, und den Opfern, die Gott uns abfordert, stets eingedenk sein. Und wozu sind wir dem Noviziat gegenüber des Weiteren verpflichtet? Durch unser Gebet und unseren persönlichen Eifer für Nachwuchs zu sorgen. Ganz bestimmt sollte jeder Ordensmann seiner Genossenschaft eine stattliche Zahl von Berufen zuführen. Ein frommer Pfarrer sieht es als seine beständige Pflicht an, geeignete Jungen ins Seminar zu schicken. Er tut es, weil er seinen eigenen Beruf liebt, ihn hochschätzt und darum wünscht, dass auch andere ihn ergreifen.

Der Pfarrer, der mich ins Seminar schickte, tat es aus eben diesem Grunde, nachdem er mir sieben Lateinstunden gegeben hatte. Er war ein heiligmäßiger Priester. Wenn er einem die hl. Kommunion reichte, spürte man, wie tief er von der Gegenwart Gottes durchdrungen war. In seinen Händen nahm der Glaube gleichsam Leben an. So möge auch jeder Oblate erfinderisch sein, uns neue Berufe zu gewinnen. Betrachtet die hl. Schrift, die Kirchenväter und die Kirchenlehrer. Was von den Patriarchen des Alten Bundes und den Segnungen, die Gott deren zahlreichen Familien zukommen ließ, erzählt wird, das wenden sie auf die geistlichen Familien an. Jeder sollte die Gabe besitzen, eine geistliche Familie um sich zu scharen und Seelen anzuziehen. In den Schulen sollte man sein Möglichstes tun. Gewiss muss man sich vor Unklugheiten hüten, aber aufkeimende Berufe heißt es sorgsam hegen und pflegen. Wie lässt sich das durchführen? Ich weiß es nicht. Durch ein Wörtchen hier und eine Ermunterung dort. Daran mögen Lehrer, Beichtväter und Direktoren wohl denken. Mein Lehrer der dritten Klasse (Anm.: „in der Bundesrepublik Deutschland wäre das die 8. Klasse Gymnasium“) sagte mir eines Tages solch ein Wort, das mich tief beeindruckte. Ich konnte es nie vergessen. Dabei gab er sich nur wenig mit geistlichen Berufen ab… Er sagte mir also eines Tages: „Mach dir viel Mühe mit deinen Französisch-Hausaufgaben. Damit kannst du einmal den Seelen viel nützen.“ Das Wort drang mir tief ins Herz und wies mir den Weg. Vergessen wir es nicht. Sicherlich sind wir Professoren. Priester aber sind wir nur in dem Maße, als wir Eifer für das Heil der Seelen aufbringen. Und bedenken wir auch, dass jene, die dem Herrn Seelen zuführen, seine besonderen Freunde sind. Sie können auf seine Liebe bauen. Nehmt also auch das in den Kreis eurer Verpflichtungen auf, die ihr täglich zu erfüllen habt. Bitten wir die Gute Mutter, sie möge uns Arbeiter schicken. Wir bräuchten ja so viele!

D.s.b.