Kapitel vom 07.11.1888: Beginn des Kommentars der Satzungen
Wie gesichert erscheint heute die Situation unserer Genossenschaft! Wir besitzen die Approbation des Heiligen Stuhles. Das ist umso bemerkenswerter, weil sie uns schon wenige Jahre nach unserer Gründung zuteilwurde. Wir haben mit Riesenschritten alle Etappen durchlaufen. Noch vor dem Belobigungsschreiben wurden wir von S. Heiligkeit Papst Pius IX. eines Sonderbreves, eines Ermunterungsschreibens, gewürdigt. Aus freien Stücken und ohne unser Ersuchen hat er es uns ausgestellt, und zwar bei Gelegenheit eines Empfehlungsschreibens, das ich für eine christliche Familie abgefasst habe, die den Hl. Vater zu sehen wünschte. Diese Familie schilderte dem Hl. Vater die Werke der jungen Oblatengemeinde, und ganz spontan fasste daraufhin der Papst sein Glückwunsch- und Ermutigungsbreve ab.
Im Jahre 1875 reiste ich in Begleitung des P. Lambey im März oder April nach Rom, um dort unsere Satzungen vorzulegen. Dort wurden sie einer Prüfung unterzogen. Nach verschiedenen von Rom gewünschten Verbesserungen, die mehr die äußere Form als den inneren Gehalt betrafen, schickten wir sie zur erneuten Untersuchung nach Rom, wo sie schon im Dezember „Breve laudativum“ erhielten. Die Approbation der Satzungen schließt aber auch die Billigung der Genossenschaft mit ein. Damit fehlt unserer Genossenschaft nicht mehr, mag sie vorerst auch nur auf zehn Jahre bestätigt sein. Man gewährt nämlich nie die endgültige Anerkennung schon gleich am Anfang. Nach Ablauf von zehn Jahren haben wir keine weiteren Formalitäten zu erledigen als die Verlängerung dieser Approbation zu beantragen. Diese wird stets gewährt, wenn nicht Unordnungen und Ärgernisse aufgetreten sind, was so viel ich weiß, niemals vorkam. Die Kirche tut keinen Schritt nach vorne, um hinterher wieder zum Rückzug zu blasen. Sie wird vom Hl. Geist geleitet und handelt viel zu klug und vorsichtig, als dass sie sich in diesem Ausmaß täuschen könnte. Gewöhnlich lässt eine Approbation viele Jahre auf sich warten, so dass man sogar in Rom staunte, wie schnell sie uns erteilt wurde. Es dauert manchmal hundert Jahre und länger.
Erster Teil der Satzungen:
1. Ziel des Institutes
„Die Mitglieder stellen sich unter den Schutz des hl. Franz von Sales. Sie machen es sich zur Aufgabe, die Tugenden des Priester- und Ordensstandes nach der Lehre und im Geiste dieser hl. Kirchenlehrers zu üben…“
Wir sind ein Institut und kein Orden. Es gibt in Frankreich und auf der ganzen Welt wenige Männerorden: Benediktiner, Dominikaner, Franziskaner, und einige andere. Jede Priestergenossenschaft trägt für gewöhnlich den Titel eines Institutes.
Wir stellen uns nicht bloß unter den Schutz des hl. Franz von Sales – auch seine Lehre soll die unsere werden, sein Beispiel unser Vorbild, sein Geist unser Lebensprinzip. Dieser Geist herrscht nicht überall. Franz v. Assisi z.B. war ganz Liebe zu Jesus, ganz Armut. „Die Armut“, sagte er zu seinen Söhnen, „muss unsere Lebensgefährtin sein…“ Andere gehen ganz auf in der Verkündigung des Gotteswortes, wieder andere in äußeren Bußwerken. Der hl. Franz v. Sales bekannte sich nicht ausschließlich zur Buße, Predigttätigkeit oder Armut, sondern zu völligen Hingabe an den Willen Gottes. Nicht „Alles zur größeren Ehre Gottes“ war seine Devise, sondern: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ Das ist die Quintessenz seines Geistes, ist das Ziel, das wir erreichen müssen. Für uns besteht die Tugend darin, auf die Pläne Gottes einzugehen, seinen Weisungen und seiner Vorsehung zu gehorchen. Wir geloben dem Willen Gottes einen Gehorsam ohne Abstriche und Bedingungen und wir unterstellen uns infolgedessen auch dem Willen derer, die Gott über uns gesetzt hat: das und nichts anderes ist unser Geist. In der ersten Zeit meiner Tätigkeit in der Heimsuchung fragte ich einmal die Oberin, eine sehr fähige Frau, Gefährtin und Freundin der Guten Mutter, welches die Tugenden der Heimsuchung seien. „Wir gehen hier nicht nach Tugenden vor“, gab sie zur Antwort. „Wir haben keine außerordentlichen körperlichen Abtötungen. Grundlage unseres Geistes ist der Gehorsam. Er ist unsere einzige Tugend, ein Gehorsam, der keine Ausnahme kennt.“
Alle religiösen Orden üben die körperliche Abtötung, die sie zur Praxis der Liebe führt. Bei uns wird die innere Abtötung, die des Geistes wie des Willens, zu dem Mittel, das uns zur Liebe führt. Gewiss sind Kasteiungen und Fastenübungen bei uns nicht verboten. Gott mag dem einen oder anderen Oblaten eine spezielle Gnade, eine besondere Eingebung schenken, dass er sich nach Bußwerken sehnt. Das kann er dann mit seinem Gewissensberater, Novizenmeister oder Generaloberen besprechen. Dies muss dann geprüft werden: löscht den Hl. Geist nicht aus. Die Klugheit des Vorgesetzten wird dann die einzuhaltende Route festlegen. Dieser Weg bleibt jedoch bei uns eine Ausnahme, eben ein ganz persönlicher, individueller Weg. Unser gemeinsamer Geist ist der einfache Gehorsam, die Abhängigkeit vom Vorgesetzten. Und das kostet uns mehr als Fastenübungen, tötet die Auswüchse unserer Natur mehr ab und bringt sie rascher zum Verdorren, ist darum etwas sehr Großes und Verdienstliches.
Wie ungemein ausgewogen doch die Lehre des hl. Franz v. Sales ist! Da steht ein Mensch vor uns mit seinen individuellen Fähigkeiten und Neigungen: Ist er nicht gerade so beschaffen, weil Gott ihn so gemacht hat? Kann aus ihm ein Benediktiner, Dominikaner oder Franziskaner werden? Gewiss, wenn die Art seines Geistes und seines Willens sich ihrer Regel anzupassen vermag. Alle diese Regeln weisen nämlich einen gewissen „Neigungswinkel“ auf: die eine neigt auf die Seite der äußeren Werke der Nächstenliebe, die andere auf die Wortverkündigung, die dritte in Richtung der Kasteiungen. Und das ist gut so, denn man kann viel Gutes stiften, wenn man aus dem Charakter eines jeden einzelnen Nutzen zieht. Bei uns gibt es dieses Neigungsgefälle nicht, alles ist ungemein ausgewogen. Man sucht nicht beim einzelnen Oblaten aus allem, was ihm zu eigen ist, das aus, was man braucht, um seinen Beruf zu formen. Das findet sich vielmehr allein bei Gott. Der Mensch kommt bei uns nur zum Vorschein, um den Willen Gottes zu tun und sich ganz auf ihn einzulassen. Gewiss möchte der eine von uns einen aktiveren Dienst in der Seelsorge, der andere mehr Predigttätigkeit, der dritte mehr körperliche Abtötung, weil dies eben seinem persönlichen Geschmack mehr entspricht. Wir kennen aber nur einen einzigen Geschmack, den Willen Gottes, wie er sich widerspiegelt in unseren Lebensumständen, in unserer hl. Regel, in den Anweisungen derer, die uns leiten.
Man wird Kapuziner, weil man gern barfuß geht, Dominikaner, weil einem das Predigen Freude macht. Diese Berufe sind vortrefflich. Man folgt da dem Zug seines eigenen Charakters, dem Hang seines Temperamentes, seiner Wesensanlage. Beim Oblaten findet sich all das nicht. Statt eines „Gefälles“ haben wir hier ebenes Gelände… Hier gibt es nur eine Triebfeder: der Wille Gottes. Das ist unser Gravitationsgesetz. Wie das Gesetz der Schwerkraft allen Körpern gemeinsam ist – und die übernatürlichen Dinge haben ja viel Ähnlichkeit mit den natürlichen – so wirkt die Anziehungskraft des göttlichen Willens in allem und auf alles.
Unser Ordensgeist hat also etwas sehr Weites, Tiefes und Gesichertes an sich. Um ein guter Oblate zu werden, bedarf es im Allgemeinen eines gesunden Urteils, einer gewissen Befähigung eines geraden, unverbogenen Verstandes, ohne alle Absonderlichkeit und Eigenheit, eines weit gespannten Willens, der sich auf den ganzen Willen Gottes erstreckt, der nicht nur diese oder jene Tugend ins Auge fasst, sondern alle Tugenden insgesamt, weil der Wille Gottes sie alle umfasst. Das ist der Geist der Guten Mutter, der Geist unseres Institutes, und diesem Zweck wurden wir gegründet.
Nicht jeder fühlt sich zu einem kämpferischen Orden hingezogen, zu einem Orden von Gelehrten, zu einem betenden oder büßenden Orden. Was unseren Orden kennzeichnet, ist das, was jede Seele anlockt, die Gott um Gottes willen sucht, die sich von sich selbst trennen will, um ein gefügiges Werkzeug in der Hand Gottes zu werden.
Versteht das wohl: weit entfernt, uns andern gegenüber überlegen zu fühlen, bringt uns diese Einstellung vielmehr Gott ganz nahe. Bei uns dient alles und jedes zu unserer Heiligung, und das ist schwieriger als sich durch eine einzige Sache zu heiligen, z.B. durch die äußere Aszese. Wir brauchen einen ganz geraden, einfachen und ehrlichen Willen. Damit unser Wille aber jederzeit geschmeidig und biegsam reagiere, bedürfen wir einer hellen Intelligenz. Täglich könnt ihr diese Beobachtung bei euren Schülern machen: je mehr Intelligenz und Urteil, umso gefügiger gehen sie auf euch ein. Je weniger geistige Kapazität, umso halsstarriger sind sie.
Das also sind die Bedingungen, um ein guter Oblate zu werden. Macht euch diese Gedanken und Gesinnungen zu Eigen.
„Selbstheiligung soll darum ihr ernstes Bestreben sein. Umso wirksamer können sie dann an der Heiligung des Nächsten mithelfen. Sie widmen sich den verschiedenen Aufgaben der Seelsorge, der christlichen Jugenderziehung und der Missionstätigkeit bei Irrgläubigen und Heiden.“
Welch äußerst richtiger Grundsatz, dass die Selbstheiligung, die Heiligung des Gehorsams, aktiv auf andere wirkt. Was bringt denn bei uns Oblaten die Wirkung hervor? Nicht die äußere Abtötung oder der Seeleneifer – gewiss brauchen wir Seeleneifer, aber er ist nicht unser Losungswort. Wir wirken vielmehr auf andere, indem wir an unserer eigenen Vervollkommnung arbeiten. Und das erwartet jedermann von uns. Im Vertrauen möchte ich euch sagen: Ein Oblate, den wir in ein fernes Land schicken, wurde zu einem Gegenstand des Ärgernisses. Seinem Namen will ich verschweigen. Und warum gab er Ärgernis? Weil er sich schlecht aufführte, die Hände in die Taschen steckte, sich mit den Ellenbogen aufs Fensterbrett stützte, um die Vorübergehenden anzugaffen, zu spotten, über sie Glossen zu machen, und sich sonst dies und jenes Vergnügen herausnahm. Und das sollen Oblaten sein, fragte man sich dort. Dann lohnt sich die Mühe nicht, dass sie von so weit zu uns herüber -reisen. Und bei all dem hat dieser Oblate vielleicht nicht einmal eine lässliche Sünde begangen! Aber derlei Dinge können nicht verborgen bleiben, man spürt das. In all diesen Kleinigkeiten müssen wir uns also überwinden.
Da kommen der hl. Paulus und der hl. Barnabas nach Lystra. Hatten sie auch die Hände in die Taschen gesteckt? Spotteten sie auch über die Vorbeigehenden? Welchen Eindruck hätte das gemacht? So aber scharten sich die Menschen um sie und riefen: „Götter sind in Menschengestalt bei uns eingekehrt.“ Barnabas nannten sie Jupiter und Paulus Merkur, weil er das Wort führte: Und die ganze Stadt wollte ihnen als Jupiter und Merkur ein Opfer darbringen. So müssen sich auch unsere Missionare aufführen, sie können sich nicht wie gewöhnliche Sterbliche gehen lassen. Zieht man in die Mission, dann muss die Selbstheiligung unser großes Anliegen sein. Gehen wir doch gerade zu dem Zweck in ein fernes Land, um anderen bei ihrer Heiligung Hilfe zu leisten. Und diese Arbeit an sich selbst muss so entschlossen betrieben werden, dass sie gleichsam durch die Poren unseres Ichs nach außen sichtbar wird.
Wir stehen erst bei der vierten Zeile unserer Satzungen, und doch haben wir bereits alles erfahren, was man von uns verlangt. Bleiben wir uns also stets bewusst: Wir sind keine Menschen wie alle anderen, wir sind keine Spaßmacher. In unserem ganzen Handel und Wandel muss die Würde unserer Berufung sichtbar werden. Was waren schon Paulus und Barnabas? Der eine durchaus keiner der ernsten von Korinth, er war ein Zeltemacher, ein Arbeiter. Und Barnabas en einfacher Galiläer, wahrscheinlich ein Fischer. Ein Arbeiter und ein Fischer betreten also eine der zivilisiertesten Großstädte Asiens. Und genau diese zwei ganz einfachen Leute verleiten die Scharen durch ihre Würde und Heiligkeit zu dem Ausruf: „Das sind Götter!“
Kürzlich sprach ich mit einer in Missionsfragen sehr bewanderten Persönlichkeit. Seine Meinung: „Könnte man jeden Missionar mit Heiligkeit ausstatten, sodass davon auch nur ein wenig nach außen spürbar würde – mit nur einem Zehntel der Missionare könnte man das Zehnfache an Wirkung hervorbringen…“ Beten wir oft für unsere Missionare, auch für jene, die uns erst vor kurzem verließen. Ja, beten wir für sie, aber töten wir uns auch herzhaft ab.
