Kapitel vom 31.10.1888: Die Zeit der guten Vorsätze
(Vorabend von Allerheiligen)
Wir wollen uns daran erinnern, dass wir Ordensleute geworden sind, damit wir uns auf unsere eigene Himmelfahrt vorbereiten und gleichzeitig eine große Schar von Seelen nach uns ziehen. Wir werden aber nur dann in den Himmel kommen und eine Vielzahl von Seelen mit uns, wenn wir heilige Ordensleute sind. Die großen Feste des Kirchenjahres, allen voran Allerheiligen, haben gerade den Sinn, uns im Geiste zu erneuern, unser Wollen und Wandeln neu zu gestalten. Wir müssen dem lieben Gott die Vorsätze unserer hl. Exerzitien von neuem vortragen. Sie lauteten, treuer zu werden, das Direktorium genauer zu halten, uns großmütiger zu überwinden und uns in Gebet und jeder Art von Arbeit inniger mit Gott zu vereinigen. Den Nutzen werden nicht nur wir selbst verspüren – alle Gläubigen werden davon profitieren. Nicht aus Nächstenliebe sollen wir den Gläubigen auf diese Weise zu Hilfe kommen, sondern aus einem Gebot der Gerechtigkeit heraus. Das steht nämlich nicht bloß in unserem freien Belieben, es ist vielmehr eine Folge unserer Sendung und unsere Verpflichtungen? Und wenn wir die wichtigsten nur so recht und schlecht, aufs Geratewohl, erfüllen, reden wir uns auch nicht ein, alles sei getan. Nein, damit ist nicht alles getan! Wir müssen mehr tun. Und das gerade zur Jetztzeit, wo der Satan unzählige Anstrengungen macht und er auf der ganzen Linie zu siegen scheint.
Vor kurzem machte man mir gegenüber die Bemerkung, viele tugendhafte und eifrige Seelen fühlten sich entmutigt und niedergeschlafen, weil sie sich auf sich allein gestellt und aller Hilfe in den gegenwärtigen Kämpfen beraubt sähen. Stehen uns aber, wenn der Kampf erbittert tobt, nicht auch kräftige Gegenmittel zur Verfügung? Diese Mittel können jedoch nur eingesetzt werden nach dem Grad unserer Treue! Sämtliche religiösen Orden sind fast zur Ohnmacht verurteilt. Dem Weltklerus sind leider die Hände gebunden. Da kann nur noch eine einzige Kraft wirksam werden – jene, die die Gute Mutter „die Kraft der Verdienste Jesu“ nannte.
Diese Kraft der Verdienste des Erlösers tritt aber nur dann in Aktion, wenn sie auf Ordensleute stößt, die willens sind, sich bis zum Letzten hinzugeben. Nicht dadurch, dass wir uns Hals über Kopf ins Kampfgetümmel, ins Presseapostolat oder in die Predigttätigkeit stürzen, werden wir Großes schaffen. Wir sind keine Kanzelredner und keine Journalisten. Das wahre Heilsmittel liegt nach dem Wort des Apostels „in der Kraft Gottes“, in unserer Vereinigung mit Gott, in dem, was wir mit Gott verbunden unternehmen. „Mein Vater wirkt bis zur Stunde, und ich mit ihm.“ Hierin allein schöpfen wir die nötige Kraft und Aktivität. Das ist keine verstiegene Spekulation, es ist unsere Standespflicht, unser Gesetzbuch. Wir müssen es in wörtlichen und strikten Sinne ausführen. Dieses Gesetz der Liebe, der Gottvereinigung, mit Hilfe der Übungen des Ordenslebens und der Herzenseinheit mit den Mitbrüdern.
Tun wir das, damit wir selbst zum Himmel gelangen und mit uns eine große Schar von Seelen. Die Israeliten sagten zum Propheten: „Alle warten auf dich.“ Das gilt auch heute noch. Alles wartet auf eine Erneuerung. Viele erklären, die Lehre der Guten Mutter enthalte diese Kraft der Erneuerung. Eine hohe Idee, gepaart mit der Tat, muss die Welt erneuern. Nicht wir natürlich werden das vollbringen. Der Heiland hat die Welt durch sein Leben, Leiden und Sterben erkauft, erlöst. Er will sie noch einmal erlösen. Da er aber nicht mehr in seiner Menschheit auf Erden weilt, will er sich unser bedienen, will durch unser Leben, Leiden und Sterben die Welt retten. Daran können wir nicht vorbei.
Angesichts so vieler Heiligen, die uns vom Himmel aus beschützen, sollen wir uns Mut zusprechen, zu tun, was sie taten, zu geben, was sie gegeben haben. Und müssen wir uns dem Kampf stellen – verfügt unser lieber Herr nicht über zwölf Legionen Engel, wie er selber bezeugt, zu unserem Dienste? Lasst uns dies alles im Licht Gottes verstehen, im Licht, das auch die Heiligen im Himmel erleuchtet. „Und er war das unauslöschliche Licht, das Lamm war ihr Licht.“ Nur in diesem himmlischen Lichte werden diese Wahrheiten verständlich, im Licht des Glaubens. Möchten wir doch bis zum Grund unseres Herzens Ordensleute werden! Lernen wir, ohne Unterlass auf den Willen Gottes einzugehen.
Jeder halte eine ernste Gewissenserforschung, um zu erkennen, ob er wirklich alles gibt, was er geben soll. Möge jeder seine Rechnung für den Himmel in Ordnung bringen. Jetzt ist der günstige Augenblick, jetzt die Stunde, gute und starke Entschlüsse zu fassen. Das gewaltige Heer der Heiligen schaut auf uns und segnet uns vom Himmel aus. Mögen sie uns die nötige Einsicht erwirken, dass wir dies alles wohl verstehen.
D.s.b.
