Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 10.10.1888: Ein allgemeiner Hinweis zum Schuljahresbeginn

Unterbrechen wir heute den üblichen Lauf der Erklärung des Direktoriums und der Satzungen. Ich möchte euch nämlich zu Beginn dieses Schuljahres einen allgemeinen Rat mit auf den Weg geben, den ich auf folgende Worte unseres hl. Stifters stützte: „Der Oblate, der im Guten zunehmen und auf dem Weg unseres Herrn vorankommen will, muss zu Beginn all seiner Handlungen, der inneren wie der äußeren, um die Gnade Gottes bitten und seiner göttlichen Güte alles, was er dabei Gutes tun wird, aufopfern. So bereitet er sich vor, alle Mühe und Abtötung, die seiner warten, ergeben und in Seelenruhe aus Gottes Vaterhand anzunehmen.“

Das ist die inhaltsgetreue Übersetzung des Wortes des hl. Paulus, das ist das innere Leben unseres Herrn, das Geheimnis seines ganzen Lebens und all seiner Handlungen: „Er hat das Kreuz der Freude, die ihm angeboten wurde, vorgezogen.“

Nehmen wir auch in diesem Jahr dieses Wort zu unserer Losung, durchdringen wir uns mit diesem Gedanken und verstehen wir ihn gut. Vor jeder Handlung, die uns etwas kostet, weil sie uns Mühsal und Widerwärtigkeit bereitet, weil sie Anstrengung und beständigen Eifer verlangt, weil sie uns mit einem Mitmenschen in Verbindung bringt, der uns nicht gefällt – gerade darin liegt ja die Praxis der Liebe.

Es muss ein Opfer kosten, sonst wäre es keine Liebe und es bliebe ohne Verdienst. Vor jeder Handlung und allem, was uns etwas kostet, müssen wir uns zur Freude und inneren Zufriedenheit ermuntern. Beim Unterricht der Jugend, bei der Handarbeit, im Umgang mit den Mitmenschen, bei tausend Zwischenfällen, gibt es immer etwas zu leiden: gehen wir allem, was uns begegnet, frohen Herzens entgegen und nehmen wir es mit Frieden und echter innerer Freude an. Tun wir das gleich bei jeder unserer Handlungen. Diese Einstellung, die Mühe aufzunehmen, wird einen gewaltigen Einfluss auf unseren Charakter ausüben. Sie stimmt uns günstig für jede Sache und jede Person. Welch schwieriger Charakter, welch ärgerlicher Umstand auch immer uns begegnet, wir bleiben fest gegründet in einem Zustand der Friedens, der Heiterkeit, die unserer Seele wohl bekommt, und wir erbauen obendrein den Nächsten. Vor Gott aber erwerben wir uns ein großes Verdienst. Denn diese kleinen Opfer, die man ohne Murren annimmt, sind von großem Nutzen.

Möge also jedes Ding, jede Person, jede Widerwärtigkeit und jederzeit in einem Zustand der Freude und des inneren Friedens antreffen. Das war eine hervorstechende Tugend unseres hl. Stifters. Sie wurde von der Guten Mutter bis zur Vollendung praktiziert. Woher kam es denn, dass sie zeitlebens und jetzt noch solch tiefgehenden Einfluss ausgeübt hat? Sie verleugnete sich selbst, nahm mit Liebe und wie etwas Angenehmes das an, was ganz und gar nicht angenehm war. Und das muss auch die Richtschnur für unser gesamtes Handeln sein. Das wird Tugenden zur Folge haben und zwangsläufig einen Fortschritt in der Vollkommenheit herbeiführen, wird uns Gott und den Menschen sehr gefällig machen, weil es ja nicht wenig Überwindung kostet, unseren eigenen Willen, unsere Neigungen und unser Naturell so zum Opfer bringen. Je mehr Opfer aber, desto gottgefälliger. Damit nehmen wir nicht nur das Kreuz an, wir gehen ihm sogar entgegen, indem wir mit dem hl. Andreas ausrufen: „O gutes, lang ersehntes Kreuz!“ Denn im Herzen tragen wir ja die gleiche Bereitschaft, die die hl. Kirche beim hl. Andreas als die schönste rühmt, die man im Angesichte des Todes haben kann.

Um es noch einmal zu sagen: wir sollen die uns übertragenen Aufgaben nicht nur erfüllen, sondern wir sollen sie gut erfüllen, in dem Geist, der uns eigen ist und wofür uns Gott seine Gnade schenkt. Immer wenn ein Opfer naht, nehmen wir unser Herz in beide Hände und rufen: „Deo gratias!“ Dann schreiten wir großmütig voran. Unsere innere Freude wird dann die Bitterkeit versüßen, die Schwere des geforderten Aktes erleichtern und ihn in Gottes Augen liebenswerter machen. „Er hat das Kreuz der Freude, die ihm angeboten wurde, vorgezogen.“ Dieses Wort sei Basis und Grundpfeiler unseres geistigen Gebäudes in diesem Schuljahr! Bewahren wir dieses Wort in Willen und Herzen!

Die Heiligen sind alle mehr oder weniger diesen Weg gegangen, und jene, deren Lebenswerk die größte Dauerhaftigkeit aufweist, waren gerade jene, die diesen Weg mit größerer Vollkommenheit gingen, sich von ihm am wenigsten entfernten und sich gleichzeitig dem Herrn am meisten näherten, indem sie sich seinem Bild am genauesten anglichen. Denn genauso handelte unser Herr, das war seine Gesinnung. Lasst uns also jede göttliche Fügung ehrfürchtig aufnehmen und bringen wir jedem Befehl und jeder Zulassung Gottes wache Aufmerksamkeit entgegen. Sagen wir „Ja“ zu allem Ärgerlichen und Lästigen, und zwar nicht nur, weil wir ihm doch nicht entrinnen können, sondern: „Er hat das Kreuz der Freude… vorgezogen.“

Ich meine, wenn wir dieses Schuljahr so beginnen, werden wir unserer Wirksamkeit in der Sorge um die Seelen ein solides Fundament geben, wie auch immer unser Dienst beschaffen sein mag. „Der eine so, der andere so“, sagt der Apostel. Sei es der Dienst am Wort, sei es der des Unterrichtes oder auch jener der Handarbeit: zu leiden gibt es überall etwas, und das Opfer fehlt nirgendwo.

Wir wollen es heute Morgen dabei bewenden lassen. Ich möchte euer ganzes Schuljahr auf das Pauluswort gründen: „Er hat das Kreuz der Freude, die ihm angeboten wurde, vorgezogen.“ Mit ganzem Herzen also voran, und fröhlich in allem, denn überall finden wir das göttliche Wohlgefallen, und der Mensch neben uns soll davon etwas spüren! Natürlich schenkt nicht unser Nächster diese Freude, sondern unser eigener guter Wille.