Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 30.05.1888: Das Essen.

„Der Oblate gehe ins Refektorium nicht nur um zu essen, sondern um Gott und der Regel zu gehorchen, die geistliche Lesung zu hören… und jene Abtötungen zu üben, die bei den Mahlzeiten üblich sind…“

Beim Betreten des Refektoriums soll man immer dem lieben Gott beteuern, dass man kommt, um seinen hl. Willen zu erfüllen und der hl. Regel zu gehorchen. Desgleichen denke man an die Fehler, zu denen man neigt: der eine an seinen Hang zur Genusssucht, der andere an seine Gier. Gegen diese Schwächen erbitte man Gottes Gnadenhilfe. Entspricht ein Gericht nicht unserem Geschmack, so opfern wir unseren Widerwillen dem lieben Gott auf, gehen mit ihm auf den Kalvarienberg und denken ein wenig an die bittere Galle, die ihm gereicht wurde, als er am furchtbarsten litt. Wie stellen es denn die Heiligen an, um ihre Wunder zu vollbringen? Nun, kraft ihrer unablässigen Abtötungen! Gewöhnen wir uns also an dieses Leben eines ständigen Sich-selbst-Ersterbens. Unser Herr ist uns hierin Vorbild, das wir nachahmen sollen: wie nahm er denn seine Mahlzeiten ein?

Beim Gedanken an die „Enthaltsamkeit und das strenge Fasten der Wüstenväter“ können wir besser noch unserer eigenen Missionare vom Kap und von Brasilien gedenken und uns mit ihren Entsagungen verbinden. P. David schrieb mir noch in einem seiner letzten Briefe: „Wann werde ich wohl diese Suppe essen können? Wann schicken Sie uns Schwestern, dass wir endlich etwas Französisches vorgesetzt bekommen…?“

Vereinigen wir uns also mit den Opfern unserer Missionare: in diesem Band der Entsagung und Abtötung liegt unsere ganze Stärke. Die „Gemeinschaft der Heiligen“: das ist sie, und also nicht als Einsiedler, sondern in einer Gemeinschaft des Opferns und Betens. Führen wir nicht das Leben von Seminaristen – damit will ich ja nichts gegen deren Lebensweise. Aber wir sind immerhin Ordensleute und müssen unser eigenes Leben leben. Pflegen wir unseren eigenen Stil und unsere Lebensart! Wir sollen ja einen einzigen Leib bilden und keine losgerissenen Glieder sein.

Alles, was wir tun, sei in Gottes Weisheit vollbracht, wie der Apostel sagt: „in mensuram Christi“. Nehmen wir dieses Apostelwort zur Lebensregel! Verlassen wir nie den Tisch, ohne uns irgendwie abgetötet zu haben, sei es negativ, indem wir gern annehmen, was unserem Geschmack zuwiderläuft, sei es positiv, indem wir vom „Leckeren“ weniger nehmen.

Auch im Speisesaal wollen wir uns jederzeit einer korrekten Haltung befleißigen: nicht steif oder geziert dasitzen, aber auch kein Sich-gehenlassen. Wahren wir die gebührende Reinlichkeit und vermeiden wir Schmatzen ebenso wie Messer- und Gabelkonzerte. Stützen wir die Ellbogen nicht auf den Tisch und beugen wir uns nicht über die Teller. Mit einem Wort: Beachten wir alle Regeln der guten Etikette, wie sie noch vor 30 Jahren Gang und Gäbe waren. Wir Oblaten erfüllen damit gleichzeitig den hl. Gehorsam. Ich darf noch einmal wiederholen: wir sind die Nachfolger der Apostel Jesu Christi, wahre Apostel, und sollen deshalb auch überall, wo sich eine Gelegenheit zur Abtötung bietet, diese üben. Und obwohl wir nichts taugen, wird der Heiland uns doch mit Wohlgefallen anschauen. Der eine beherrsche also männlich seine Sinnlichkeit, der andere seine Art zu denken und zu urteilen. Wie hart kann einem das fallen! Aber auch wie verdienstlich ist das! Würdet ihr in der Welt draußen leben, so würde euch der Herr all diese kleinen Dinge erlauben, die ihr euch jetzt versagen sollt. Aber wir sind Ordensleute, und darin bestehen unsere Kreuze, die der Oblaten des hl. Franz v. Sales. Und zu guter Letzt ziehen gerade diese Überwindungen den reichsten Segen auf unsere Arbeiten herab.

So manche Rechenschaften beweisen, dass man diese Abtötungen bei Tisch mitunter vergisst. Geben wir wieder besser acht, die hl. Regel in diesem Punkt zu beobachten. Ein guter Religiose lässt sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Meist braucht man nicht lange zu suchen, denn was man uns vorsetzt, entspricht nur zum Teil unserem Geschmack. Jeder hat einen anderen Magen, und was dem einen bekommt, widert den anderen an. Vergessen wir dann nicht unser Direktorium und verpassen wir nicht die Gelegenheit. Auch die guten alten Tischsitten wollen wir nicht vernachlässigen. Meiden wir all jene unhöflichen Manieren, die jedermann heutzutage an den Tag legt. Unsere Genossenschaft breitet sich aus, unsere Werke nehmen zu. Vergessen wir da vor allem das Werk Gottes nicht. Es wäre traurig, wollte einer von uns nicht verstehen, was sogar Laien und Weltpriester begreifen. Gestern noch hörte ich einen braven Pfarrer, der den ganzen Klerus der Diözese gut kennt, beteuern, dass der Weg der Guten Mutter Gemeingut aller werden müsse. Für ihn in besonderen, gestand er mir, sei das Leben der Guten Mutter eine wahre Offenbarung gewesen.

Wohlan denn, meine Freunde, so begreift also, was ich in diesem Kapitel sagen wollte, und vor allem: lasst es zur Tat werden. Beten wir zur Guten Mutter, sie möge uns von oben das nötige Licht schicken, dass wir begreifen, was sie in so bewundernswerter Weise praktiziert hat.