Kapitel vom 13.06.1888: Unsere apostolische Mission
Das letzte Mal habe ich betont, dass jeder von uns eine Mission zu erfüllen hat, die man eine wahrhaft apostolische nennen muss, wobei das „Was“ dieser Sendung zweitrangig ist. Unsere Lebensaufgabe gleicht der der Apostel und ist ebenso heilig wie die ihre. Von unserem Herrn wurde sie ihnen übertragen, von ihm, der auch uns gesandt hat. Wir dürfen und sollen uns daher als die wirklichen Nachfolger der Apostel betrachten, gewiss nicht an Würde, Vollmacht und Heiligkeit, wohl aber als Nachfolger derselben Mühe und Mitarbeit am Werke Christi.
Ich bestehe nachdrücklich auf diesem Gedanken. Die Apostel hatten eine heilige Aufgabe, eine hochheilige Aufgabe, nicht weniger. In diesem Sinn ist unsere Aufgabe vielleicht nicht so groß, so weit und umfassend wie die ihre, und in diesem Sinn sind wir ihre Nachfolger nicht mit dem gleichen wie die Bischöfe in ihre Diözese und die Pfarrer in ihrer Pfarrei. Im Rahmen des Gehorsams hingegen und in seinem Aktionsradius entfaltet der Ordensmann eine den Aposteln gleichartige Aktivität. Er tut, was St. Petrus, St. Johannes und alle anderen Apostel taten, als sie der Herr zu zwei und zwei aussandte, die Frohbotschaft zu verkünden, Kranke zu heilen, und er ihnen einschärfte, weder Beutel noch Stab mitzunehmen. Wir müssen unseren Auftrag folglich mit derselben Ehrfurcht, Aufmerksamkeit und Sorgfalt auffassen. Gewiss ist dies alles die allgemeine Lehre der Kirche. Aber dem Herzen der Mutter Maria Salesia waren die Gedanken, dass wir Oblaten die Urkirche weiterführen und das Werk der Apostel und des Herrn fortsetzen, ungemein teuer. Wir setzen auf Erden des Herrn Aktivität, seinen Einfluss und seine Mission fort. Stellen wir uns auf diesen Standpunkt. Das ganze Mühen der Guten Mutter zielte darauf ab. Jetzt, wo Rom selbst ihren Seligsprechungsprozess betreibt, wird auch diese Lehre dem Urteil der Kirche unterworfen. Diese hat sich sozusagen schon ausgesprochen, indem sie ohne Einwendungen alles guthieß, was in ihrer Lebensbeschreibung niedergelegt ist. Das kommt einer stillschweigenden Approbation gleich. Sie hätte sonst durch die Indexkongregation verworfen, wenn sie irgendetwas der kirchlichen Kehre Widersprechendes festgestellt hätte.
Wer 35 Jahre in der Nähe der Guten Mutter gelebt hat – Tag für Tag, Stunde für Stunde – konnte die Kundgebungen des göttlichen Willens zugunsten dieser ihrer Lehre und der Sicherheit und Wahrheit ihrer Gedanken in reichem Maß erfahren. Hörte man dann noch Schwester Genofeva zu, so war jeder Zweifel ausgeschlossen, wenn sie sagte: „Aber gewiss, genau das will der liebe Gott. Er hat es mir gezeigt, dass er dies oder jenes tun wird.“ Und wie die alten Propheten kündete sie gleichzeitig ein Zechen vom Himmel für die Wahrheit ihrer Voraussagen an: z.B. wenn sie den Schwestern sagte, was ihnen zustoßen werde. Wenn sie die bevorstehende Erledigung einer Geschäftssache, ja sogar einer politischen Streitfrage, dies oder jenes Ereignis voraussagte, das man natürlicherweise unmöglich voraussehen konnte. Und mit Hilfe dieses Zeichens bekräftigte sie dann ihre Voraussagen über die Werke, Gründungen und Unternehmungen der Guten Mutter.
So können wir auf uns das Wort des Völkerapostels anwenden: „gegründet und aufgebaut auf dem Fundament der Apostel.“ Hier ist unser Auftrag umrissen, seine Grenzen und seine Grundlagen klar gekennzeichnet. Auf diesem Fundamt müsst ihr aufbauen, auf diesem Weg voranschreiten. Auf diese Weise wissen wir sehr wohl, was in der Kirche, ja was im Himmel vor sich geht. Wir stehen nicht einsam auf verlorenem Posten. Hier liegt das positiv Gesicherte unserer Sendung. Die näheren Umstände und alles Zubehör spielen nur eine untergeordnete Rolle. Daran müssen wir fest glauben. Haben wir große Ehrfurcht vor allem, was zu unserem Aufgabenbereich gehört und achten wir sorgfältig auf alles, was uns anvertraut ist. Denn all das ist Teil unserer Sendung. Der hl. Paulus betrieb Handarbeit und fertigte Zelte an. Auch die Diakone der Urkirche ernährten sich von ihrer Hände Arbeit. Und selbst unser Herr tat dies während des größten Teils seines Lebens. Müssen wir uns also mit irdischen Dingen abgeben, so wollen wir es mit Glauben und Liebe tun. Fällt ein einzelner Stein in einem Gebäude auch wenig auf – ist er deshalb etwa weniger nützlich? Schützt und stützt er nicht alle übrigen? Zu seinem Teil hilft er also das ganze Gebäude zusammenhalten. So sollen auch wir Ehrfurcht dem materiellen und geistlichen Auftrag entgegenbringen, der uns übertragen ist. Ja wir sollen leidenschaftlich gut, wie unser hl. Gründer sagt, unsere Standespflichten erfüllen und getreulich im Rahmen des von Gott für uns aufgestellten Planes verharren. Dann wird auch die kleinste Verrichtung, die unbedeutendste“ Nebensache zu Heiligung der Seelen beitragen.
„Als göttliche Gesandte handeln wir“. Gott steigt nicht ohne Unterlass zu Erde hernieder. Nur ein einziges Mal hat er dies getan. An uns ist es, sein Werk weiterzuführen, seine Stelle zu vertreten. Er bedient sich unser, unserer Organe, unserer Glieder, während er als unser Haupt fungiert. Dem Haupt steht es zu, Befehle an die einzelnen Glieder zu erteilen, die kein anderes Tätigkeitsprinzip, keinen anderen Motor haben. Gehen wir von dieser Wirklichkeitsnähe aus. Unser Weg ist damit eindeutig vorgezeichnet. Alles in unserem Alltag soll und kann zu unserer Heiligung beitragen, alles trägt irgendwie göttlichen Charakter und verdient darum die gleiche Hochachtung wie etwa ein Sakrament, wenn ich diesen Vergleich gebrauchen darf.
Beten wir zur Guten Mutter Maria Salesia um diesen Geist und verbreiten wir ihn überall.
