Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 23.05.1888: Die Gewissenserforschung.

„Der Oblate erforscht mittags und abends sein Gewissen. Beim Abendgebet auf folgende Weise: Er dankt dem Herrn für alle seine Wohltaten, besonders für sein bitteres Leiden und Sterben.“

In diesen Worten unseres hl. Stifters habt ihr sicher unser Abendgebet erkannt. In der Gewissenserforschung lassen wir prüfend eine Handlung nach der anderen an unserem Geist vorüberziehen, um die dabei vorgekommenen Fehler festzustellen. Man schließt das „Confiteor“ mit einem guten Vorsatz ab, den man mit größtmöglicher Liebe und Frömmigkeit fassen soll. Aus Pietät zur hl. Regel sollen wir diesen abendlichen Akt so vollständig und vollkommen wie möglich, mit echter Reue und Gottesliebe, vollbringen, denn so hat diese hl. Handlung die Kraft, die tagsüber begangenen Fehler zu tilgen. Verbinden wir damit also stets den Wunsch, die Verzeihung unserer Fehler zu erlangen, damit sie uns, sollten wir des Nachts vom Tod überrascht werden, nicht angerecht werden, wir darüber der Gerechtigkeit Gottes keine Rechenschaft abzulegen und dafür nicht „zu bezahlen“ brauchen.

Der hl. Franz v. Sales sieht auch den seltenen Fall vor, dass wir nichts finden, was wir uns vorzuwerfen hätten. Unser Leben setzt sich aus zahlreichen Einzelakten zusammen, und zweifellos sind viele dieser Pflichten nicht mit der erwünschten Gewissenhaftigkeit erfüllt worden, sondern weisen Fehler und Mängel auf. Sollten uns diese Mängel zufällig gar nicht zum Bewusstsein gekommen sein, dann beten wir das Wort des Psalmisten: Von meinen verborgenen Fehlern reinige mich. Dieser Vers passt übrigens jederzeit, auch wenn wir unsere Verstöße klar erkennen, weil uns ja immer Mängel verborgen bleiben – geblendet wie wir sind von den Leidenschaften, der Selbstüberschätzung, der Anhänglichkeit an das eigene Urteil. Wir sind ja so empfindlich und ärgern uns über Mangel an zarter Rücksichtnahme – über jedes ohne böse Absicht hingeworfene Wort! Die gute Mutter hat gesagt, die Erbsünde habe größere Verwüstungen im Verstand als im Willen angerichtet, und ihr schmerzlichstes Überbleibsel sei die Unwissenheit.

„Die abendliche Gewissenserforschung erleichtert sich der Oblate sehr durch folgende Übung: sobald er sich tagsüber bei irgendeinem Fehler ertappt, prüft er sich sogleich…“

Das sollten wir nie unterlassen. Wenn wir gefallen sind, sollten wir diese neuerliche Verfehlung in tiefer Demut unserem Sündenregister zufügen. Diese Methode ist in sich vortrefflich und zudem vom hl. Stifter und der hl. Regel empfohlen, was ja auch kein geringer Vorteil ist.

„Die Gewissenserforschung am Mittag ist einfacher…“

Sie erstreckt sich auf das Aufstehen, die Betrachtung, die Vorbereitung auf die hl. Messe, die Danksagung, das Frühstück, die Berufsarbeit am Vormittag und unser Studium. Das alles lässt sich innerhalb von drei Minuten übersehen.

„Außerdem kann der Oblate sich noch im Besonderen erforschen über diese oder jene Tugend, die ihm vor allem nottut.“

Dieses Partikularexamen bleibt nach unserer hl. Regel dem freien Belieben überlassen. In den Priesterseminarien ist sie fester Brauch und gar kein schlechter. Man prüft sich dabei über diese Charakterschwäche oder jenen Fehler, den man gewohnheitsmäßig begeht, und eine schlechte Gewohnheit heißt es eben durch eine entgegengesetzte gute zu überwinden. Dieses Partikularexamen dürfen wir ruhig jedermann empfehlen. Unser hl. Stifter rät uns sogar, unsere Verstöße zu notieren, was ein beherzigenswerter Rat ist, besonders, wenn wir von starken Leidenschaften beherrscht werden wie Hass, Eifersucht, Stolz, Nachlässigkeit usw.

Außer der Gewissenserforschung, die ich euch nicht dringend genug ans Herz legen kann, möchte ich mit euch noch etwas anderes besprechen: je weiter die Zeit voranschreitet, umso größere Wirkungen bringt der hl. Stifter durch die Gute Mutter hervor. Es vergeht kein Tag, wo ich nicht Briefe oder Besuche empfange, die mir diesen Einfluss der guten Mutter bestätigen. Es ist das Gnadenwehen Gottes. An uns ist es, uns dessen würdig zu erweisen. Wir sind die Treuhänder dieser Gnaden, wir müssen sie fruchtbar werden lassen. Und sie werden fruchtbringend in dem Maße unserer persönlichen Disposition, denn sie wirken nicht „ex opere operato“ wie die Sakramente. Den Geist der Guten Mutter breiten wir nur aus, wenn wir selbst voll des Ordensgeistes (voll des religiösen Geistes) sind. Seelen gewinnen wir nur unter dieser Bedingung. Diese Gnaden hängen also wesentlich vom Zustand unserer Seele ab. Darüber sind mir zwingende und zahlreiche Zeugnisse zugegangen. Darum wünsche ich sehr, dass wir in dieser Pfingstoktav, der Woche des Heiligen Geistes, eine Novene halten. Jeder möge das „Veni Creator“ beten und tagsüber einige Anrufungen zum Hl. Geist machen, um Gottes Geist auf unsere Werke und unsere Kongregation herabzurufen. In uns hat der rein menschliche Geist nichts zu suchen, jener kleinliche und engstirnige, der alles auf sich bezieht und über sich selbst nicht hinauskommt. Schalten wir uns so viel wie möglich und bei jeder Gelegenheit aus!

„An Gottes statt walten wir des Amtes!“

Das gelte besonders bezüglich unserer Sendung! Nehmt die Apostelgeschichte zur Hand: stellt euch einmal vor, in der Umgebung des hl. Paulus wäre ein Possenreißer gewesen, einer, der seinem eigenen Geist folgt. „Mein Engel“, sagte der hl. Paulus, „befiehlt mir, hierhin und dorthin zu gehen.“ – „Sein Engel!“ hätte der andere spöttisch erwidert. „Wer hat ihn denn gesehen, wie sieht er denn aus?“ Was hätte St. Paulus antworten können? Hätte sich dieser Erzschelm nun daran gemacht, anstelle des hl. Lukas die Apostelgeschichte zu schreiben, was wäre da vom hl. Paulus übriggeblieben? Ein Abenteurer, ein Schwätzer, ein Zeltmacher in Korinth, ein Hitzkopf, der nach Jerusalem geht, um die jüdischen Gesetze dem Buchstaben nach zu befolgen und der wie ein wildes Pferd durchgeht – verzeiht diesen Ausdruck. Ich muss euch im Auftrag Gottes kundtun, liebe Freunde, dass die Sendung, die jeder von uns von Gott empfangen hat, ebenso heilig ist wie die des Völkerapostels. Christus ist ja derselbe heute wie zu Zeiten der Apostel. Ihr arbeitet an seinem Werk, wie es die Apostel taten, mit weniger Gnade vielleicht und auf einem begrenzteren Arbeitsfeld. Das Wort Christi aber ist dasselbe und der und der göttliche Charakter unserer Sendung ebenfalls. Als der Papst mir sagte: „Ich bin es, der euch sendet!“ hat er das gleiche Wort ausgesprochen, das Jesus an Petrus und die anderen Apostel richtete. Auf diesen Standpunkt müsst ihr euch stellen. Wir sind keine Kinder oder Seminaristen oder irgendwelche Menschen. Wir sind im Vollsinn des Wortes Ordensleute, die wie Petrus an alles glauben, was unser Herr gesagt und befohlen hat. Sonst wären wir es ja nicht wert, Priester, Ordensleute und Oblaten zu heißen. Tun wir also alles mit Ernst und Aufmerksamkeit. So gewinnen wir die Herzen der Gläubigen und das Herz Gottes. Die Gute Mutter sagte mir tausendmal: „Das alles ist für Sie, dass Sie es für die Seelen nutzbar machen. Darin liegt Ihre Sendung und Ihre Berufung!“ – „Das ist mir aber lästig“, gab ich ihr zur Antwort. Jetzt aber bin ich wohl oder übel gezwungen zuzugeben, dass sie recht hatte. Der Mund des Hl. Vaters, der Theologen und des christlichen Volkes bezeugen klar, dass der Geist Gottes aus ihr sprach. Es ist Gottes Wort, es ist das Evangelium. „Wir müssen die Frohbotschaft Christi neu herausgeben“, sagte sie. „Nicht umgemodelt darf es werden, sondern neu aufgelegt, in Buchstaben, die man lesen und verstehen kann. Denn allzu viele haben es nicht begriffen. Für diese muss es neu gedruckt und ausgelegt werden, und das ist eure Aufgabe.“

Begreift darum den Ernst und den Glauben, den ihr eurer Sendung beimessen müsst. Lasst uns in diesem Sinn eine gute Novene zum Hl. Geist halten und beten wir darum, dass jeder von uns erfasse, was er sein soll: „spiritum rectum innova in visercibus meis.“ Welch schönes und treffendes Gebet: „Erneuere in mir den rechten Geist, den Geist der Lauterkeit und Wahrheit!“ Meine Tätigkeiten, Leidenschaften und Schwächen haben mich oft auf Irrwege geführt. So schenke mir jenen Geist eines gesundes Urteils und rechten Tuns, jenen Geist, der mich von allen Dingen den genauen Wert erkennen lässt.
D.s.b.