Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 02.05.1888: Anleitung, das hl. Messopfer fromm und mit Nutzen darzubringen.

„Um würdig und nutzbringend das hl. Messopfer zu feiern, sollen sich die Patres kurz vorher innerlich sammeln… Dabei mögen sie folgende Akte im Herzen erwecken…“

Diese vorbereitende Sammlung wird in unserem Coutumier (Anm.: „Gebräuchebuch“) zwangsläufig ihren Niederschlag finden in Form bestimmter mündlicher Gebete, die in unserem Herzen ohne Schwierigkeit die vom hl. Gründer gewünschte Gesinnung erwecken werden. Diese ausgezeichneten Akte der Anbetung, der Liebe, der Reue, der Genugtuung und der Aufopferung sollen wir gern als Mess-Vorbereitung vollziehen, zumal wir sie ja in Gemeinschaft mit der ganzen Ordensgemeinde erwecken. Damit bringen wir unserem hl. Stifter eine Huldigung dar, der selber übte, was er uns da empfiehlt. Er erübrigt sich, auf jeder dieser Akte eigens einzugehen.

„Die Patres bestimmen nun, auf welche Meinung sie die hl. Messe lesen wollen, für welche Personen und welche Anliegen sie beten wollen.“

Das Formular, das ihr demnächst in Händen haben werdet, wird euch eine wertvolle Gedächtnisstütze sein für all diese Gedanken und ein nützliches Mittel, eure Seelen genau in die Verfassung zu versetzen, die unser hl. Stifter wünscht. Dieses Formular sollte nicht unserem Belieben überlassen bleiben, so wie es bei unseren verschiedenen Gebetbüchern der Fall ist. Wir sollten dies zu unseren Pflichten rechnen. Sicher wird uns diese Unterwerfung des Geistes großen Nutzen bringen. Beten wir solch eine Gebetsformel nicht gedankenlos, sondern mit frommer Aufmerksamkeit, so werden wir daraus tiefe Gedanken und ein starkes, inneres Licht schöpfen. Der Priester ist ja kein Papagei. Sagen wir eine auswendig gelernte Ansprache herunter, so gleichen wir Papageien, lassen die Herzen kalt und unsere Worte prallen wirkungslos ab. Steigen unsere Worte aber aus dem Grund unseres Herzens empor, aus unserem eigenen Schatz, dann haftet ihnen auch etwas von unserem Herzen an, sie haben Leben in sich und erwecken Leben. Etwas Persönliches steckt darin oder besser gesagt: „Gott wirkt in Gemeinschaft mit uns.“

Wir wollen den vom Gehorsam empfohlenen Gebeten große Bedeutungen beimessen, wenn diese starke Tiefenwirkung in uns erleben wollen.

„Nach der Betrachtung der verschiedenen Geheimnisse können sie vor der hl. Messe das Gebet aus der ‚Nachfolge Christi‘ (Anm.: „Autor war Thomas von Kempen“) beten.“

Noch ein Wort über die Gebetsformeln des Direktoriums: wir sollen sich nicht nur Erziehung unseres Charakters benutzen, sondern auch zur Bildung unseres Geistes. Wir bereichern unser theologisches Wissen, unseren geistigen Schatz mit diesen kleinen Gebeten, die wir den ganzen Tag über verrichten sollen. Wenn wir ihren tieferen Sinn wohl überlegen, werden uns Erleuchtungen zuteil, und unsere Worte und Ermahnungen werden eine ganz andere Wirkung haben. So halten wir, wie die Hl. Schrift sagt, das aus einem „guten Schatz, aus unserem Herzen, Geschöpfte“ in steter Reserve bereit. Unser Beten sollte niemals eines gewissen liebenden Nachdenkens also gleich unserem Gedächtnisschatz bei. Unser Wort, unser Geist, unsere ganze Person wird dann wahrhaft wirksam und einflussreich. Unsere innere Vorratskammer wird immer reicher und origineller ausgestattet. Sucht also nicht viel in allen möglichen Büchern herum, und gebt davon nur so viel an andere weiter, als es zuerst euer geistiges Eigentum geworden ist. Ein so beschaffenes „Theologiestudium“ könnt ihr Tag für Tag betreiben, wenn ihr aufmerksam Gott eure Gebete vortragt und sorgsam die dabei gewonnenen Erleuchtungen sammelt. Auf diese Weise werden alle Oblaten in der Seelenführung wie im Lehrgut einander ähnlich sein und werden nicht vor lauter Unsicherheit von diesem oder jenem Wind neuer Lehrmeinungen hin und her gerissen werden. Sie werden vielmehr ganz im Geiste und auf dem Weg unseres hl. Stifters wandeln.

„Wenn möglich, überdenken sie einige Geheimnisse des Lebens und Leidens unseres Herrn… Sodann können sie täglich vor der hl. Messe das Gebet aus der ‚Nachfolge Christi‘ beten, das so fromme, schöne und herzerquickende Anmutungen enthält… Dann empfiehlt sich der Pater noch der seligen Jungfrau Maria und betet einige schöne, ihr zu Ehren verfasste Hymnen und Gebete…“

Nun muss ich mich aber doch mit dem hl. Stifter ein wenig streiten. Er war sicher ein sehr braver Mann, aber er belastete und überlastete seinen Geist dermaßen, dass er ihn vorzeitig verschliss und schließlich an einer Gehirnblutung verstarb… Damit will ich sagen, dass alle, die diese Vielzahl von Gebeten und Übungen nicht vor der hl. Messe verrichten können, dazu auch nicht streng verpflichtet sind. Das war übrigens auch seine eigene Meinung, räumt er doch betreffs des Direktoriums ein, man könne nach Verlauf einiger Zeit diese Vielfalt innerer Akte in einer Einheit verschmelzen. Am Anfang sei es freilich ratsam, „den Geist in geregelter Zucht zu halten.“ Das gilt also nicht für immer und auch nicht für alle diese Vorbereitungsgebete. Jeder möge vorgehen wie er es vermag, und gemäß den Fähigkeiten seines Geistes. Ist man mit dem lieben Gott verbunden, so kann man z.B. anstatt die Hymnen der seligen Jungfrau vollständig zu beten, recht gut nur einige Verse herausgreifen. Unser hl. Stifter wollte uns in seiner Messanleitung lediglich ein großes Gastmahl vorsetzen. An uns ist es, das auszuwählen, was uns am besten bekommt.

Alle diese Gebete werden in den Coutumier aufgenommen, und wir werden uns ihrer dann im Hinblick auf unseren Religionsunterricht und den eigenen Nutzen wie den der Gläubigen bedienen. Denn was wir für uns selbst einheimsen, sollte immer auch den unserer Sorge Anvertrauten zugutekommen. Dann wird unser Beten mehr als nur ein Aufsagen von Gebetsformeln. Es wird gleichzeitig zu einem Studium, ja noch mehr: wir machen uns seinen Inhalt geistig zu Eigen und wandeln ihn um in unsere eigene Substanz. Wir werden mit ihm eins und können ihn dann anderen weitergeben.

„Hat der Pater diese oder ähnliche Gebete verrichtet, so ruft er noch den Beistand seines Schutzengels an und geht in seiner Begleitung in die Kirche… Betritt er die Kirche und ist dort das Allerheiligste aufbewahrt…“

Diese Gedanken unseres hl. Stifters sind ungemein schön und theologisch tief. Mit ihrer Hilfe werden wir in unserer Seele heilige Affekte hervorrufen und uns reiche Erleuchtungen zuziehen. Muss man nach der Messe noch beichthören oder unterrichten, so werden uns diese Erleuchtungen sehr zustatten kommen, so wie die Biene den Nektar aus dem Blüten saugt, sich ihn einverleibt, in ihre eigene Substanz gleichsam verwandelt, um ihn dann unverfälscht weiterzugeben. Wir dürfen keine Gewohnheitsmenschen und Gebetsmühlen werden. Alles, was ihr tut, besonders beim Beten, sollt ihr mit ganzem Herzen, mit Verständnis und Überlegung tun, so dass ihr nicht nur die ihm innewohnende Süßigkeit verkostet, sondern auch Licht für euch wie für die anderen empfangt. So werden die Gebete der Heiligen den Weg durch euer Herz hindurch nehmen, und eure Lippen werden große Wirkung haben.

Ich fasse zusammen: alle diese Gebetsformeln werdet ihr in eurem Coutumier vorfinden. Das ist eine große Arbeit: das Buch der Gewohnheiten und Gebräuche kann nicht existieren bevor es Bräuche gibt. Wir werden uns dann diese Gebete zu Eigen machen, jedoch ohne uns den Magen damit zu verderben… Wir bedienen uns ihrer nach dem Maß unserer Zeit, Kraft und Einsicht, und wir werden darin zwei Vorteile finden: Süßigkeit für uns und Hilfe für die Seelenführung. So werden wir also Ordensleute nicht nur für uns, sondern auch zum Nutzen der Nächsten und der hl. Kirche sein.

Alles, was vom hl. Franz v. Sales kommt, birgt unter einem unscheinbaren Äußeren tiefe Lehrweisheit. Daraus müssen wir unseren eigenen Vorrat und Schatz anlegen. So werden wir alle einander gleichen und alle Abbilder unseres hl. Stifters werden. Dann wird man nach dem Wort der Guten Mutter den Heiland wieder auf Erden wandeln sehen.

D.s.b.