Kapitel vom 25.04.1888: Das hl. Messopfer
„Während der Priester sich vorbereitet, versetzt sich der Oblate in die Gegenwart Gottes. Beim Sündenbekenntnis wirft er sich im Geiste vor Gott nieder… Dann kann er den Rosenkranz beten oder andere Gebete…“
Dieses Kapitel hat besonders für unsere Brüder und unsere Fratres Bedeutung, ist aber auch nicht unwichtig für jene aus uns, die selber die hl. Messe lesen und mit Seelsorge betraut sind. Er vermittelt ihnen nicht nur selbst das rechte Verständnis für dieses große Opfer, sondern sie können auch den Seelen den Sinn und die beste Art der Mitfeier erschließen.
Unsere Brüder und Fratres, die nicht Priester sind, mögen sich gewissenhaft an diesen Artikel halten. Jene, die eines Tages die hl. Messe feiern, finden darin ein wertvolles Mittel, sich auf diesen großen Akt priesterlicher Betätigung gebührend vorzubereiten. In der Leitung der Gläubigen werden unsere Patres darauf achten, immer neu auf die hl. Messe und die beste Art, ihr beizuwohnen, einzugehen. Es sollte ihr Ziel sein, die Gläubigen dahin zu bringen, dass sie eine ganz besondere Andacht und ein felsenfestes Vertrauen zur der hl. Messe nicht das unterscheidende Merkmal des Christentums? Alle Feinde der Kirche haben zuerst die hl. Messe angegriffen, Luther und Calvin haben ganze Abhandlungen gegen sie geschrieben. Luther nennt sie gar eine Erfindung des Teufels. Auch die Juden verfolgen sie mit Hass. Andererseits hegten alle Christen – heute hat sich dies leider geändert – ein unbegrenztes Vertrauen in dieses große Opfer des Neuen Bundes. Bei jedem Anlass ließ man früher Messen lesen. Das führte sogar zu Missbräuchen, indem man selbst zu unerlaubten Zwecken Messen lesen ließ. Woher kommt in der gegenwärtigen Zeit das große Erkalten im Glauben? Trifft die Schuld nicht weitgehend die Priester – und wir wollen uns da nicht ausnehmen – weil sie es vernachlässigten, die Gläubigen über die große Wirkkraft des hl. Messopfers aufzuklären, sie über den reichen Nutzen, ihr beizuwohnen, zu belehren, wie über die beste Art und Weise, dies fruchtbringend zu tun. Heutzutage lässt man keine Messen mehr lesen und wohnt ihnen nicht mehr bei. Sie hat in den Augen der Katholiken ihren Wert verloren – und ist doch alles!
Gehen wir von der authentischen Lehre der Kirche aus: das ganze alttestamentliche Gesetz dreht sich um den Opfergedanken. Das Opfer war der Pol, der Mittelpunkt der Religion. Die Philosophen de Maistre, de Bonald und andere haben dies trefflich herausgestellt. Das Opfer ist ein Wesensbestandteil der Anbetung Gottes. Aufs Holokaustum (Brandopfer) bezogen sich im Alten Bund alle anderen Opfer: Morgenopfer, Abendopfer, Sühnopfer für die Sünden. Es gab nur einen Glaubenssatz und nur eine Praxis: das Opfer.
Der Charakter der Gottesverehrung hat sich aber nicht geändert. Das Kreuzopfer beherrscht auch im Neuen Testament die Religion, und die hl. Messe ist nichts anderes als die Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers. Alle übrigen Opfer, die uns Tag für Tag von unserem Glauben abverlangt werden, der Kampf gegen unsere bösen Neigungen und Leidenschaften, gewinnen ihren Wert einzig und allein aus dem Blut Christi, das sich in seiner ganzen Fülle im Opfer der hl. Messe findet.
Möge darum unsere Kongregation allezeit einen unverbrüchlichen Glauben an das hl. Messopfer bekunden! Den Gläubigen sollt ihr in euren Unterweisungen wie in der Seelenführung ein unbegrenztes Vertrauen zur hl. Messe einflößen. Die Genossenschaft möge es als ihr großes Anliegen betrachten, der hl. Messe wieder den Platz zu sichern, der ihr im Christenleben zusteht. Das ist der Wille der hl. Kirche, das ist in Sonderheit die Lehre unseres hl. Stifters. Das war auch Lehre und Praxis der Guten Mutter: während der hl. Messe schien sie wie verklärt, hier empfing sie alle Gnaden, die Gott ihr zu verleihen beschlossen hatte.
Es ist nicht schwer festzustellen: wo die Messe in der allgemeinen Achtung sinkt, da schwindet auch der Glaube, die Religion. Wo man dagegen der Messe beiwohnt, erblüht das Glaubensleben zu neuer Kraft. Gewiss besucht man gern die hl. Messe gerade aufgrund eines starken Glaubens. Aber auch das Gegenteil ist wahr: vernachlässigt man die Messe, dann erlahmt die Glaubenskraft, die Seelen ermangeln der Vitalität. Alle von uns also, die nicht selber die hl. Messe lesen können, mögen sich treu an die Ratschläge dieses Artikels halten, auf die ich im Einzelnen nicht eingehen möchte, weil sie von selbst zu verstehen sind. Nur einen Punkt möchte ich herausgreifen: unser hl. Stifter drückt den Wunsch aus, wir sollen uns bei der Erhebung der hl. Hostie und des hl. Kelches dem himmlischen Vater ebenso aufopfern wie unser Herr und Heiland es tut. Mit Leib und Seele, mit unseren Sinnen und unserem ganzen Willen sollen wir uns da ungeteilt mit Christus zum Opfer bringen! Beteuern wir in diesem hl. Augenblick Gott unsere Entschlossenheit, alle Leiden und Prüfungen, alle Fügungen und alles, was ihm uns zu senden beliebt, großmütig anzunehmen. Und erneuern wir gleichzeitig in Gemeinschaft mit dem Heiland am Kreuz und in gleicher Gesinnung unsere ganze Hingabe an Gott. Dies eine Wort genügt, um die ganze Lehre unseres hl. Stifters über die hl. Messe zu erläutern und deutlich zu machen.
So rufe ich die ganze Genossenschaft auf, dem großen Opfer des Neuen Bundes die höchste Aufmerksamkeit zu schenken. Beichtväter und Prediger mögen sich nicht damit begnügen, dieses Thema ein- und zweimal zu behandeln. Sie sollen oft und oft darauf zurückkommen, damit die Einzigartigkeit der hl. Messe ihren Zuhörern aufgehe. Es kommt darauf an, die Seelen zu den Stufen des Altares zu ziehen. Dort wird ihnen das nötige Licht zuteilwerden, dort wird Gott selbst zu ihnen sprechen.
Die Methode, die der hl. Stifter in diesem Artikel empfiehlt, um der Messe beizuwohnen, ist recht gut. Wenn man will, kann man zu Beginn einen Teil des Rosenkranzes beten. Zieht man aber andere Gebete vor, z.B. Gott für empfangene Gnaden Dank zu sagen, so steht dem nichts im Wege. Patres wie Brüder mögen die Anregungen dieses Artikels wohl beherzigen, vor allem unsere Fratres mögen sich mit großer Treue daran halten. Denn wie will man später die hl. Messe gut lesen, wenn man ihr vorher nicht gut beigewohnt hat. Nur wenn unsere jungen Kleriker mit großer Sorgfalt sich darauf vorbereitet haben, wird ihre ganze Liebe und Frömmigkeit dem hl. Messopfer gehören und werden sie diese Verehrung auch anderen weitergeben können.
Unser hl. Stifter legt großen Wert auf die geistliche Kommunion. Er empfiehlt sie dringend, wenn man sie nicht wirklich empfangen kann.
Diese Art Kommunion war auch den hl. Alfons von Ligouri sehr teuer. Unser hl. Stifter kommt in seinen Werken öfter darauf zu sprechen. Die geistliche Kommunion besteht in einem Akt der Sehnsucht nach Vereinigung mit unserem Herrn, wobei die Form und Formel, deren man sich bedient, uns überlassen bleibt. Wir können aber auch das Gebet des hl. Franz v. Sales vor der hl. Kommunion beten oder die verschiedenen Gebete des hl. Alfons, die in der Kirche großes Ansehen genießen.
Den Segen des Priesters sollte man mit der gleichen Andacht und Frömmigkeit empfangen als wäre es der Segen des Heilandes selber. Auch eure äußere Haltung soll die innere Ehrfurcht wiederspiegeln. Stützt euch also nicht auf, kreuzt nicht die Beine, haltet euch gerade, auf eine ehrfürchtige Weise, dass die Gläubigen an eurer Sammlung merken, dass ihr von der Gegenwart Gottes ergriffen seid und ihr ihn wirklich anbetet.
Bischof Mermillod erzählte mir einmal in diesem Zusammenhang ein eindrucksvolles Erlebnis. Eine vornehme Protestantin betrat seine Domkirche unserer lieben Frau von Genf. Da sie sich allein wähnte, verbarg sie sich in einem Beichtstuhl, um die Katholiken ungestört beobachten zu können. Da tritt der Bischof zum Portal herein. Er glaubt sich sicher allein, sagt sie sich: „Nun, ich will sehen, was er tut.“ Sie sah, wie er zuerst Weihwasser nahm, eine tiefe Kniebeuge zum Hochaltar hin machte, im Vorübergehen vor den Heiligenstatuen der Nebenaltäre eine ehrfürchtige Verneigung machte, ein Gebet vor dem Tabernakel sprach und nach Erledigung dessen, wozu er gekommen war, sich anschickte, die Kirche zu verlassen. Zuvor aber tat er, was auch unser hl. Stifter zu tun pflegte, wenn er allein war: er küsste in Ehrfurcht die Stufe des Altares. Da aber hält es die Dame in ihrem Versteck nicht mehr aus. Sie läuft dem Bischof nach und fragt: „Hochwürdigster Herr, haben Sie mich denn nicht in der Kirche gesehen?“ – „Es war niemand darin.“ – „Doch, ich war zugegen. Sie müssen nämlich wissen, dass ich seit einiger Zeit Glaubenszweifel habe, und Neigung verspüre, katholisch zu werden. Doch ich sagte mir, die katholischen Geistlichen glauben selber nicht, was sie anderen predigen. Nun musste ich mich aber davon überzeugen, dass sie durchaus ehrlich sind ihrem Glauben. Nehmen Sie bitte meine Abschwörung entgegen, und sagen Sie mir, was ich zu tun habe.“ Aus diesem Grund empfehle ich noch einmal, auf eine gute äußere Haltung Gewicht zu legen. Habt ihr vor euch eine Armstütze, so stützt lediglich die Hände auf, es sei denn, ihr fühltet euch matt oder krank.
Auch wollen wir ein schönes Kreuzzeichen machen, wenn es das Direktorium anrät oder der allgemeine Brauch es vorschreibt. Und haltet ihr es aus, dann verharrt ehrfürchtig während der ganzen hl. Messe oder wenigstens vom Sanctus bis zum Schluss auf den Knien. Diese Anweisungen tragen etwas wie eine sakramentale Gnade in sich und ziehe Gottes Gnaden auf uns wie auf andere herab.
Beherzigt gut, was ich euch in diesem Kapitel von der Wichtigkeit der hl. Messe gesagt habe. Sie ist die Fortsetzung des Kreuzesopfers von Golgota und ein Abriss unserer ganzen Religion. Sie muss auch das Fundament eures religiösen Lebens sein, die Grundlage eures Glaubens, die Zusammenfassung eurer Lehre und Moral… So muss denn unsere besondere Übung während der nächsten Woche darin bestehen, der hl. Messe wie es sich gehört beizuwohnen, bis uns das zur Gewohnheit wird.
Ich empfehle euren Gebeten ganz dringend die Mission in Süd-Afrika. P. Simon schreibt mir, dass man ihm am jenseitigen Ufer des Oranje-Flusses ein kleines Haus zum Kauf angeboten habt, wo wir uns trotz der Opposition der protestantischen Prediger niederlassen möchten. Damit hätten wir auch dort ein Absteigequartier und ein Zentrum weiterer Aktivitäten. Betet, dass eine großmütige Seele uns finanziell zu dieser Erwerbung verhelfe und wir bei dieser Gelegenheit etwas Unterstützung auch von der Propaganda fide erhalten. So könnten wir unsere Zelte auch jenseits des Oranje inmitten der Hottentotten aufschlagen.
D.s.b.
