Kapitel vom 18.08.1887: Die innere Vorbereitung auf die Exerzitien.
Es ist angebracht, dass wir alle vor den geistlichen Exerzitien zu mehreren Kapiteln zusammenkommen, damit jeder sich gut darauf vorbereite und die notwendigen Dispositionen mitbringe.
Jede wahre Hilfe kommt von Oben und besonders die Hilfe für gute Exerzitien. Darum tut Gebet und Treue zu unseren religiösen Verpflichtungen not, weil wir gerade darin die Mittel finden für unseren Fortschritt. Obwohl ihr zurzeit in Ferien seid und die äußeren Übungen nicht so regelmäßig wie sonst vorgenommen werden, lade ich euch dringend ein, euch mit allem Eifer in der Übung des Direktoriums zu erneuern. Nur dann werdet ihr die Exerzitien in der rechten inneren Verfassung beginnen, dass sie euch Nutzen bringen.
Wenn alle Menschen Exerzitien brauchen, dann umso mehr wir, denen mehr als allen anderen Heiligung nottut. Die Kirche braucht in den gegenwärtigen Zeitläufen dringend heilige Seelen. Umsonst wird man sich bemühen aufzubauen, wenn es nicht in Zusammenarbeit mit unserem Herrn geschieht. Unsere Existenz, die wir doch die letzten und erbärmlichsten von allen sind, hängt wesentlich von dieser Vereinigung mit unserem Herrn ab. Aus uns vermögen wir nichts hervorzubringen. Von Gott müssen wir diese äußerste Treue erbitten, damit unser Werk nicht zugrunde geht, sondern Wurzel schlage und sich ausbreite. Alles, was uns anvertraut wurde, gehört nicht uns, ist das anvertraute Talent, das man nicht im Taschentuch verstecken noch im Garten vergraben darf. Wir sollen es vielmehr zur Geltung bringen.
Wir sind Männer des Gebetes, hängen ab vom Willen Gottes, müssen in Gottvereinigung leben. Nur unter dieser Bedingung stellen wir einen Wert dar. Unsere sämtlichen Werke müssen „mit den Gewichten des Heiligtums“ gemessen werden. Wenn Gott über uns urteilt, wird er kein anderes Maß anwenden. Jeder hat darüber Rechenschaft abzulegen und seine Dosis Verantwortung zu tragen. Wir können der göttlichen Gerechtigkeit nur dann Genüge tun, wenn wir die Mittel einsetzen, die uns speziell anvertraut wurden. Wir wollen darum in diesen Tagen unter den Schutz der seligen Jungfrau, in deren Festoktav wir stehen, uns erneuern. Nur auf diese Weise sind wir für Gott und die hl. Kirche interessant. Möge darum ein jeder von uns es sich zur Pflicht, zum allbeherrschenden Gesetz machen, sein Direktorium zu üben. Jeder möge sich diesen Übungen in einem Maße hingeben, dass er wie der hl. Stifter sagt, zur Liebe des Wohlgefallens gelangt, dass er alles, was ihm an Demütigungen und Mühsalen begegnet, mit Dankbarkeit aus der Hand Gottes annimmt, dass er immer mit dem Verstand und dem Herzen gehorcht, dass er die Augen schließend ohne Unterlass spricht: „Fiat voluntas tua.“ (Anm.: „Dein Wille geschehe.“), und indem er alles mit Wohlgefallen am Willen Gottes tut. Jeder prüfe sich, ob er zu diesen beiden Zielen, der Geduld wie dem Gehorsam schon gelangt ist. Haben wir dieses Ziel einmal erreicht, brauchen wir uns nicht mehr um die einzelnen Punkte des Direktoriums zu sorgen. Bis dahin aber kümmern wir uns intensiv um jeden einzelnen Punkt.
Wenn unser Seelenzustand einmal dieses hohe Ideal erreicht hat, werden wir alles gut vollbringen, unsere Seele wird auf dem rechten Weg voranschreiten, auf dem Weg der Vollkommenheit.
Sagt es dem Beichtvater ehrlich, wenn ihr euch gegen das Direktorium verfehlt habt, so wie ihr es beichtet, wenn ihr gegen andere Verpflichtungen verstoßen habt, und beichtet es als schweres Vergehen. Ihr wisst, wie man in der Theologie solche Fragen beurteilt: Sünde liegt vor, wenn der Verstoß gegen Regel und Direktorium der Nachlässigkeit oder Eigenliebe entspringt. Hier haben theologische Diskussionen keinen Platz. Wir sind die Kinder Gottes und der Guten Mutter Maria Salesia und müssen genau tun, was sie uns zu tun gebieten. Haben wir dagegen verstoßen, beichten wir es und legen uns eine Buße auf. Darin liegt für uns alles. Der Segen und die Gnade Gottes folgen zwangsläufig der Treue gegen das Direktorium. Das wird für uns in Versuchung und Heimsuchung zu einer unüberwindlichen Kraft, der nichts zu widerstehen vermag. Halten wir das Direktorium nicht, sind wir Wetterfähnchen, die sich nach jedem Wind der Meinungen und Leidenschaften richten. Bereiten wir uns darum auf die hl. Exerzitien vor, indem wir das Direktorium sehr treu und pünktlich beobachten. Noch einmal: Fasst die Vorteile wohl ins Auge, die euch aus seiner treuen Beobachtung erwachsen.
Bei den Benediktinern gilt das Prinzip: „Ubi deficit locus, deficit monachus.“ (Anm.: „Wo kein Kloster ist, gibt es auch keinen Mönch.“). Bei uns ist der Mönch nie abhängig von der Existenz eines Klosters, denn wir tragen unser Kloster im Herzen. Der Oblate trägt alles bei sich, seine Pflichten, seine Regeln, sein Kloster, Kirche, Altar und Tabernakel. Darum ist er stark, darum kann er etwas… Man lasse es sich nicht einfallen, die Praktiken des Direktoriums als bloße Übungen der Frömmigkeit anzusehen! Ganz und gar nicht! Betrachtung, Gute Meinung, hl. Messe, Breviergebet, das sind keine bloßen Frömmigkeitsübungen. Alles ist ausdrücklich von der Regel gewollt, all das ermöglicht uns erst. Das sind keine Allgemeinplätze, und nichts Unbestimmtes. Ihm kommt im klösterlichen Bereich größte Wichtigkeit zu: es bedeutet Gleichgehen mit dem göttlichen Wollen, bedeutet Gehorsam. Das sind Akte, die Himmel oder Hölle verdienen. Sind Akte des Guten, wenn wir uns unterwerfen, oder Akte des Bösen, wenn wir uns dagegen sperren.
Hierfür fehlt uns noch das volle Verständnis. Unsere Erziehung weist Mängel auf. Der Geist der Unabhängigkeit und falschen Freiheit hat uns von früher Jugend an umgarnt. Seien wir wachsam, das Heil eines jeden einzelnen, der ganzen Kongregation, ja der ganzen Welt hängt daran. Als unser Herr am Kreuz sein Leben aushauchte, um welche Wahrheit ging es da? Um sein Leben, seinen Einfluss auf die Welt! … Und doch starb er. Wer weiß, ob der hl. Johannes nicht in seinem Glauben erschüttert wurde? Wie wurde dieses gewaltige Geschehen von der Welt aufgenommen? Die selige Jungfrau und die hl. Magdalena glaubten vielleicht allein daran… Auch unsere Kongregation ist von der hl. Kirche approbiert, und sie wird es in allernächster Zeit auch offiziell werden, ich habe sichere Beweise dafür. Das wird für uns wie ein Glaubensdogma sein. Dem muss aber auch eure Verpflichtung entsprechen. Glaubt an unsere Genossenschaft wie ihr an die großen Glaubenswahrheiten glaubt. Stellt sie auf dasselbe Niveau. Hier geht es um eine echte und volle Wahrheit. Nehmt sie an als das, was sie ist: „Ja“ oder „Nein“. Darauf heißt es sich jetzt vorbereiten, in dieser Gesinnung sollt ihr jetzt eure Exerzitien machen. Geht nicht auf menschliche Weise voran, weder in euren Ideen, noch in euren Urteilen, sonst würde es sich nicht lohnen, ins Kloster zu gehen. Macht nichts schal und fade, macht keine Bauchlandung, sondern geht den Weg nach oben, der euch angezeigt worden ist. Auf zwei Ziele steuern wir los: Gleichwerden dem Willen Gottes im gegenwärtigen Augenblick, und Angleichung an den Gehorsam. Das ist unsere Angelegenheit. Es ist gar nicht so leicht, Oblate zu werden. Die hl. Regel verlangt vom Oblaten, was sie von keinem anderen Ordensmann verlangt… Die Basis, das Fundament ist allesentscheidend, das Übrige ist Nebensache: Ihr seid aber das Fundament (Anm., erg.: „der entstehenden Kongregation.“).
Man soll mit Vergleichen keinen Missbrauch machen. Dennoch gilt von der Dampfmaschine, vom Dampfkessel: Wo kein Feuer, da kein Dampf. Feuer und Wasser werden aber gar nicht sichtbar, aller Zubehör umso mehr. Nehmt aber den Dampf weg, dann steht alles still. Ihr seid der Dampf! Man kann an die Maschine mehr oder weniger viele Waggons anhängen, man mag uns nach Pella oder Springbock oder Rio-Bamba schicken, das ist unwichtig. Wir müssen alle Gott danken, dass er uns den Pater Simon (Anm., erg.: „der später Bischof geworden ist.“) geschenkt hat, der ein echter Ordensmann ist, absolut gehorsam, und der dort wahre Wunder vollbringt. Ich habe den Pater Fromentin nach Springbock geschickt, der fast noch kein Noviziat gemacht hatte: es war zu schwierig gewesen, er musste immer Unterricht erteilen. Er kommt also dort unten an und findet keine Arbeit für sich. Da kommt P. Simon, lässt ihn sein kleines Noviziat machen, versetzt ihn wieder auf den rechten Weg und macht mit ihm gute Exerzitien. Er eröffnet eine Schule und glaubt zunächst, keine Schüler dafür zu bekommen. Nach drei Wochen hat er schon 38 Schüler.
Die dortigen Schwestern schreiben mir dasselbe. Wenn wir unser Noviziat gut machen und das Direktorium gründlich verstehen, wirken wir Großes und alles klappt wie durch Zauberei. Und das ist unsere Aufgabe. Alles, was wir in diesem Sinne angreifen: Predigten, Kollegien, Missionen, Seelsorgewerke, alles gelingt uns.
Ich erkläre es vor dem ewigen Gott, dass ich kein Vertrauen in was immer es sei, in kein anderes Mittel außer diesem habe. Besonders setze ich kein Vertrauen in mich, weit davon entfernt. Versetzen wir uns in den Exerzitien in diese innere Verfassung, dann machen wir eine ausgezeichnete Einkehr. Davon wollen wir nicht abgehen.
Ich wünsche, dass alle diese Einstellung teilen, weil es die Wahrheit ist. Wir können nicht außerhalb dessen handeln, was man heutzutage gern das „Übernatürliche“ nennt. Es ist vielleicht lächerlich, so zu sprechen, weil es für uns das Natürliche, das Selbstverständliche, unser Leben ist. Wir sind doch Kinder Gottes. Ordensleute leben doch nur von diesem Übernatürlichen, um uns der Sprache der Welt zu bedienen, und zwar ausschließlich vom Übernatürlichen. Wenn unsere natürlichen Kräfte nicht ausreichen, wird Gott das Fehlende ersetzen. Es ist hart, das zu sagen: Das vollbrachte Werk beweist den Arbeiter. Erforschen wir gründlich unser Gewissen und denken wir daran, dass alle Urteile, die sich von diesen Grundsätzen entfernen, falsch sind. Ich lege Gewicht auf die Feststellung: zweifellos sind jene, die dieses noch nicht begriffen haben, entschuldbar, völlig entschuldbar.
Was ich euch vortrage, wer sagt euch dies? Wer außer mir? Niemand! Der Novizenmeister noch, das ist alles. Ein Wort ist ein Wort. Wird es gut in der Seele aufgenommen, muss es reifen und Frucht bringen. Dazu bedarf es aber der Vorbedingungen. Ihr hört beständig das Gegenteil meiner Worte: eure Leidenschaften, eure Natur, selbst in dem, was gut in ihnen ist, was die anderen tröstet und stärkt, will euch das Gegenteil einreden…
Ihr seid darum alle entschuldbar, wenn ihr nicht mehr getan habt inmitten all eurer Arbeiten, Überlastung und Niedergeschlagenheit. Ich denke nicht daran, euch Vorwürfe zu machen. Wenn ich irgendjemandem solche machen wollte, wäre ich es, da ich die Pflicht habe, diese Dinge zu sagen und immer wieder zu sagen.
Auf diese Gedanken und diese Lehre müsst ihr euch alle einigen und die Exerzitien beginnen, indem ihr alles aus der Hand Gottes annehmt und den Gehorsam liebt. Das wird für uns zu einer Quelle von überreichen Gnaden und Erleuchtungen werden. Alles ist darin beschlossen, absolut alles. Unser Leben hängt von der Bewegung unseres Herzens ab. Hört das Herz auch nur eine Sekunde auf zu schlagen, ist es mit dem Leben für immer aus. Das Leben für unsere Seele, für unsere Werke, für die Seelen, mit denen wir betraut sind, besteht in der Lehre, von der wir sprachen. Wir kennen sie jetzt gut, halten wir sie fest und vergessen wir sie nie mehr. Und noch einmal: Das sind keine bloßen Frömmigkeitsübungen. Ein Priester, der keine Übungen der Frömmigkeit pflegte, würde gewiss unterliegen. Jedoch bedeuten diese Dinge für uns etwas ganz anderes: Frömmigkeitsübungen sind ein Mittel, eine Hilfe, aber kein Ziel. Das Direktorium dagegen ist für uns alles, ist unsere Existenz, der Boden unter den Füßen. Nehmen wir es darum ganz ernst, dann kann man uns Kühe zu pflegen geben oder Seelen zu führen, es ist dasselbe. In der Ordnung unserer persönlichen Heiligung haben diese Dinge alle denselben Rang, ebenso für die Hilfe, die wir der hl. Kirche schenken sollen. Werdet euch darüber ganz klar und nehmt diese Wahrheit tief in euch auf.
