Kapitel vom 15.06.1887: Die Notwendigkeit einer Reform.
Bevor ich mit der Erklärung der Satzungen beginne, will ich euch von unseren „persönlichen Satzungen“ sprechen: Wir müssen uns alle reformieren, ich an erster Stelle. Wir müssen uns eng an den Gehorsam halten. Jetzt kommt die Erschlaffung durch die große Sommerhitze zusätzlich dazu. Wappnen wir uns mit Mut und beginnen wir mit unserer Erneuerung.
Ich beginne mit unserem Kleinen Kolleg. Jeder Pater schreibe dort diese Woche seine Rechenschaft nieder und übergebe sie dem Novizenmeister. So wie ihr euch jede Woche umfassend und demütig im Beichtstuhl anklagt, so sollt ihr allwöchentlich eure Rechenschaft schreiben. Der Novizenmeister werfe einen Blick darauf, und gebe euch dann die passenden Ratschläge.
Ich will nicht, dass das Kleine Kolleg sein derzeitiges Aussehen behält und dass dort ein oder zwei Unbesonnene alle anderen auf den schlechten Weg führen…
In St. Bernhard sollen die jungen Patres dasselbe tun: Rechenschaft ablegen. Sagt nicht, ihr hättet keine Zeit dafür. Man braucht dazu keine Ewigkeit, um sie abzufassen. Die Novizen von St. Quen legen mir alle 14 Tage Rechenschaft ab. So mögen auch die Patres von St. Bernhard sich erinnern, dass sie Gelübde abgelegt haben: Das Gelübde des Gehorsams in Sonderheit verlangt, dass man eines Tages ohne Abtötung da steht. Und das Gelübde der Armut sieht vor, dass man über nichts frei verfügt ohne Erlaubnis des Oberen oder Ökonoms. Der arme Ordensmann ist ein Mensch, der nichts mehr besitzt als ein Leichnam. Hat man mit Geld zu tun, braucht man die Erlaubnis des Ökonoms. Gehört der Geldgebrauch zu unseren Amtspflichten, so muss der Obere über alles auf dem Laufenden sein.
Lest das „Leben der Guten Mutter“! Ihr solltet davon ganz durchdrungen sein. Was begründet das christliche Leben? Das Evangelium. Unser Oblatenevangelium ist das Leben der Guten Mutter. Wenn wir uns tief mit ihrer Lehre erfüllen, uns nach ihrer Handlungsweise bilden, werden wir echte Oblaten werden. Wir werden uns alle erneuern, vornehmlich in dem Augenblick, wo wir Weizen gesiebt werden, wie der Herr zu Petrus sagt. Beachtet, wie wahr das Wort des Herrn an Petrus ist: „Rogavi pro te, ut non deficiat fides tua.“ (Anm.: „Ich habe für Dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke.“). Ihr werdet alle im Tiefsten erschüttert werden, sagte der Herr zu den Aposteln, und du, Petrus, wirst gesiebt werden. Judas wurde durch ein Siebwerk gepresst. Was hatte er schon getan? Etwas Geiz, ein wenig Abseitigkeit, ein bisschen Untreue gegen die Gnade. Alles in allem nichts Besonderes, bis zum Tod unseres Herrn.
Nach dem Leiden Christi wurden alle Apostel in der Gnade und Treue bestärkt. Auch uns wird das geschehen. Seit einigen Tagen habe ich Zeichen und Zeugnis dafür in Händen… Dinge, die das treue Eingreifen der Guten Mutter beweisen. Aber die Gute Mutter war ja nur eine Frau… Das war mein großer Einwand. Ich sehe aber ein, dass die Grundsätze der Guten Mutter, wenn sie auf Männer angewandt werden, noch größere Wirkung hervorrufen als bei Frauen. Ein hl. Priester schreibt mir: „Ich suchte meinen Weg der Heiligung. Ich finde ihn in der Lehre.“
Herr Flèche von Macon, der ein heiliger Mann ist, sagte mir neulich: „Diese Lehre ist wirklich etwas Großartiges: ‚via plana ac tuta.‘ (Anm.: ‚ein ebener und sicherer Weg.‘).“ Sie führt alle Menschen den Weg der Vollkommenheit. Der hl. Franz v. Sales beginnt und die Gute Mutter fährt fort. Hier handelt es sich nicht um Phantasie und Erfindung. Hier geht es um einen Weg, der allen Menschen offensteht, die guten Willen haben. Dazu seid auch ihr berufen, und eingeladen. Das sind keine Kindereien, sondern höchst ernste Dinge. Euch ist es anvertraut, diesen Weg bekannt zu machen. Beten wir viel darum!
