Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 04.05.1887: Loyalität gegen den Hl. Vater.

Die Kongregation bekennt sich zu einer unverbrüchlichen Anhänglichkeit an die hl. Kirche. Bei jeder Gelegenheit, in jedem Meinungskonflikt entscheiden wir uns für den Standpunkt des Hl. Stuhles, des Hl. Vaters und der römischen Kongregation. Wir zeigen keine andere Farbe als diese. Unser hl. Stifter hatte auch keine andere: bei theologischen Meinungen, in Gegenwart zweier paralleler Lehrmeinungen, wenn der Hl. Stuhl sich nicht für eine der beiden entschieden hatte und es nicht um Fragen ging, die einem Glaubenssatz nahekamen. Bei Diskussionen über die Gnade, wo unser hl. Stifter durchaus seine eigene Meinung haben konnte, entschied er sich für die Meinung Roms, und seine Lehre entsprach der Lehre Roms. Wir wollen uns keine persönlichen Anschauungsweisen erlauben. Anfänge sind auf jedem Gebiet wichtig, doppelt wichtig für eine Kongregation. Unsere Anfänge legen uns nicht trennen wollen. Wir haben in der Person von Papst Pius IX. ungewöhnlich Wohlwollen gefunden, der uns das „Decretum laudis“ (Anm.: „Beschluss des Lobes“) schon nach sechs Monaten gewährte. Schon vor diesem Dekret und bevor ich darum bitten konnte, war mir durch Vermittlung des Herrn Bonamy, eines Großindustriellen, ein erstes Zeugnis der Approbation zugegangen. Ich hatte ihm einen Brief übergeben, worin ich den Hl. Vater bat, uns zu segnen. Und dieser schickte mir spontan einen äußerst gnädigen Brief, in dem er alle Oblatinnen und Oblaten sowie deren sämtliche Seelsorgewerke segnete und ihnen Ermutigungen aussprach.

Wir schulden darum schon Pius IX. eine ganz besondere Anhänglichkeit. Ich habe ihn zwei Mal gesehen und fand ihn ungemein gütig und von unglaublichem Wohlwollen. Die ganze Umgebung des Hl. Vaters war uns ebenfalls äußerst gewogen. Der einführende Prälat kniete vor uns nieder und bat uns um den Segen des hl. Franz v. Sales: „Ich liefere euch dem Papst aus“, sagte er uns dann, „solange ihr ihn wollt.“

Und Leo XIII. war noch positiver, wenn man so sagen kann. „Alle Angelegenheiten der Guten Mutter“, sagte er mir, „stehen im Willen Gottes und des Papstes. Die Billigung der Hl. Kirche“, fuhr er fort, „ich, der Papst, gebe sie euch und ich sende euch aus. Ich sende euch nach Frankreich. Ihr werdet auch noch woandershin gehen aber zunächst sende ich euch nach Frankreich.“

Das zweite Mal, wo wir ihn besuchten, schickte er uns zu allen Bischöfen Frankreichs. Das dritte und das vierte Mal bekundete er uns dieselben Gefühle. Auch seine Umgebung zeigte uns nur Wohlwollen. Diese Dinge müssen wir alle in der Geschichte der Kongregation festhalten. Das ist die Eichel, die in die Erde fiel. Trampelt man darauf herum, bringt sie nichts herfür. Fällt sie auf Kies, wird sie nur ein jämmerlicher Eichbaum. Die Anfänge sind von größter Wichtigkeit. Nun hängen die Anfänge aber in einem gewissen Sinn von der Person des Papstes ab.

Mittels unseres innerlichen Lebens stehen wir in Beziehung zu Gott. Mittels unserer Liebe und unseres Mitfühlens stehen wir mit der Kirche und dem Papst in Verbindung. Ihnen gegenüber bleiben wir immer wie Kinder unter dem Schutz von Vater und Mutter. Bei uns gibt es keinen Kampf und Streit um verschiedene Meinungen. Das wäre Zeitverlust. Genauso wie ich wünsche, dass man keine politischen Zeitungen liest, so lehne ich auch derlei Diskussionen und Streitgespräche ab, wir übernehmen jederzeit die Gedanken des Hl. Vaters. Seine Meinung braucht nicht immer dasselbe zu sein: jeder Papst mag ein bisschen variieren. Es geht nicht an, wie es nicht wenige Orden zu Beginn der Herrschaft Leos XIII. getan haben… Das geht vorüber, sagten einige unkluge Geister, seine Politik wird Misserfolg haben, er begünstigt diese oder jene Partei… Wir hingegen halten zum Papst aus Ehrfurcht vor seiner Person, wie auch seine Handlungsweise sein mag. Sollten die Dinge anders laufen, als wir es bislang gewohnt waren, sollten wir wirklich etwas Unangenehmes zu erdulden haben, was nicht anzunehmen ist, dann müssten wir darin eben den Willen Gottes sehen und uns nicht bloß dem Willen des Papstes beugen, sondern auch seinen inneren Absichten. Das ist unsere Basis, unser Fundament. Wir sind nicht auf diese oder jene Steinunterlage gegründet, auf diese oder jene Bürgschaft, sondern einzig und allein auf den Felsen Petri. Unser Herz muss gegenüber dem Papst etwas zutiefst Kindliches und Frommes empfinden, eine tiefe Verehrung als dem Stellvertreter Jesu Christi. Das ist unsere ganze Lehre. Wir lehren das, was der Papst will, dass wir lehren sollen. Der eine Papst neigt sehr zu dieser Art von Andacht, z.B. zur Herz-Jesu-Andacht. Dann treten wir eben mit ganzem Herzen in diese seine Absichten ein. Ein anderer neigt mehr zu den traditionellen Andachten, z.B. zum Rosenkranzgebet, dann lassen wir uns eben auf diese Geistesart ein. Übernehmen wir immer, was unser Papst liebt. Im Himmel wird es nicht anders sein, man beschäftigt sich nicht immer mit denselben Dingen, das würde langweilig. Unser Paradies und unser Glück sollten immer in unserer Geisteseinheit mit dem Papst gründen.

Das ist kein Gesichtspunkt und Standpunkt, der mir persönlich eigen ist. Ich sage das im Auftrag Gottes, das ist der Wille Gottes. Der Hl. Geist drängt mich, euch diese Wahrheit zu sagen. Das ist unsere Türangel, und unser Stützpunkt.

Machen wir nicht wie die Jansenisten, die zwischen dem Papst und seiner Umgebung unterscheiden. Stehen wir zu allen Willensäußerungen des Papstes, die direkt oder indirekt von ihm stammen. Das sei, um es noch einmal zu sagen, unsere Basis, die wesentliche Doktrin unserer Kongregation: ein starker Glaube, eine große Liebe zum Hl. Vater.

Machen wir das in der Predigt und Seelenführung unseren Hörern und Beichtkindern gut verständlich, dies und den folgenden Artikel:

„In Unterricht und Predigten sollen die Oblaten die Gläubigen immer wieder ermahnen, die Gebote und Vorschriften unserer Mutter, der hl. Kirche zu befolgen, besonders das Fasten…“ Machen wir den Seelen verständlich, dass die Buße zum Heil absolut notwendig ist. Ist ihre Gesundheit schwach und zählen sie zu den von der Theologie vorgesehenen Fällen, schärfen wir ihnen ein, dass die Verpflichtungen zu Verzicht und Abtötungen bleibt, dass sie aber an Stelle des Fastens und der Abstinenz andere Opfer bringen und Almosen geben müssen. Denn kann man keine Buße tun nach der Ordnung der Kirche, so soll man sie tun nach der Ordnung der Vorsehung: und diese ist oft schwieriger als die andere. Todesfälle, besonders plötzliche, Verlust an Geld und Vermögen und Krankheiten sind oft eine Strafe für den Mangel an Treue gegen die Gebote der Kirche. Sie können natürlich auch Heimsuchungen sein, die Gott zum Fortschritt in der hl. Liebe. Ein Oblate sollte nie ohne irgendein Leiden sein! Bemerkt er, dass er nichts leidet, erweckt er sofort einen Akt der Liebe: „Domine, quare me dereliquisti?“ (Anm.: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“).

Herr, warum bringst du dein Opfer ohne mich dar? Benutzen wir als Buße treu unsere Arbeiten, die Einschränkung in der Kleidung, in der Nahrung, und winden wir aus all dem ein Myrrhenbüschel, wie der hl. Bernhard sagte, das wir auf unser Herz legen. Das opfern wir dann Gott auf, damit sich immer etwas Buße in unserem Herzen vorfinde. Freilich keine traurige Buße. Seien wir vielmehr angenehm im Umgang und nehmen wir zur Grundlage unserer Buße die Abtötung unseres Willens, unseres Geschmackes, und unserer Bequemlichkeiten.

Das bringen wir auch unseren Schülern bei. So feien und stärken wir sie gegen die kommenden Kämpfe. Um es aber gut zu lehren, müssen wir es erst selber tun. Denn man bringt anderen nur das bei, was man selbst geübt hat.

Ohne Buße jedenfalls kann man ins Reich Gottes nicht eingehen. In der Praxis unserer christlichen Familien glaubt man nicht mehr an die Buße. Der Teufel kennt sein Evangelium sehr genau, und seine Helfershelfer, die Freimaurer, befleißigen sich, das Gegenteil zu predigen. Im „Leben der Guten Mutter“ ist nicht viel die Rede von Buße. Zunächst muss zur Erklärung gesagt werden, dass sie fast beständig krank war und Kranksein keine kleine Abtötung ist. Den Kranken gibt man immer und überall, was ihnen Freude macht, die hl. Regel erlaubt dies. Die Gute Mutter jedoch nahm nie eine Erleichterung an, was es auch sei. Sie vergab ihrem Geist und ihrem Willen nie etwas, und das nenne ich eine schwere Abtötung.

Wir vergessen nicht, was uns der Hl. Vater in den Satzungen ans Herz legt: die Pflicht, die Buße zu predigen und sie von den Gläubigen üben zu lassen, nachdem wir sie auch selbst geübt haben. Besonders an den kirchlichen Festtagen und während der Fastenzeit dringen wir auf die Notwendigkeit, der Kirche hierin zu gehorchen. An diesen Tagen sollte unsere Abtötung bei Tisch spürbarer sein. Bedenken wir den Hymnus der Fastenzeit, der den Christen nahelegt, sich in allem, was zerstreut und belustigt, Entsagung aufzulegen: „jocis“ (Anm.: „Spiele“).

Ohne das erreichen wir nichts, und unser Leben während der Fastenzeit würde sich dann in nichts vom übrigen Jahr unterscheiden.