Kapitel vom 27.04.1887: Die Kranken. Die Pflichten der Genossenschaft gegen die Kirche und den Hl. Vater
Die Kranken.
Von dem Gedanken, dass die Krankheit uns innig mit unserem Herrn verbindet, müssen wir uns tief durchdringen. Das ist für uns echt Lehrweisheit. Gäbe es eine klösterliche Gemeinde, in der diese Wahrheit nicht leben würde und diese Doktrin nicht vorhanden wäre, praktisch aufs Wort genau, dann befänden sich besonders die alten Ordensleute in einem äußerst bedauerlichen Zustand. Denn ohne diese Wahrheit sind sie ja zu nichts mehr fähig, eher eine Last, und wer am meisten diese Last fühlt, wäre gerade der, der leidet. Das wäre ein Mangel an Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes, der die Segnungen Gottes vereiteln würde.
In der Krankheit und Schwäche heißt es einen Akt der Anhänglichkeit an den Willen Gottes vollziehen, und der beste ist der des Vater Unsers: „Fiat voluntas tua!“ (Anm.: „Dein Wille geschehe!“). Die bedeutungsvollste Wirkung der Erlösung ist ja gerade die Gleichförmigkeit unseres Herrn mit dem Willen seines himmlischen Vaters. Sein Leben, sein Leiden, sein Sterben sind das Amen, das „also sei es!“, und das Amen in alle Ewigkeit hinein.
So müssen auch wir unser Leben leben und enden. Gerade in den letzten Augenblicken unseres Lebens muss dieses Anhangen und Aufgehen im Willen Gottes am stärksten sein.
In der Heimsuchung habe ich feststellen können, dass die Schwestern, die sich im Gedanken an den Tod am treuesten erwiesen, in ihren letzten Augenblicken große Tröstungen verspürten. Das wäre sehr wünschenswert, dass auch wir und jene, die uns umgeben, in unseren letzten Augenblicken uns auf diese Weise von Gott gesegnet sähen.
Gebraucht darum treu die Gedanken jeder vollbrachten Stunde. Den Stundenschlag der Uhr hört man leider nicht immer. Hauptsache ist, keine Stunde zu verbringen, ohne dass wir unseren Geist zu Gott hinwenden, wie es unser Direktorium empfiehlt, und an den Tod zu denken: würde ich im Augenblick des Todes auch so handeln wie ich es jetzt tue? Wäre ich genau so feige und so mutlos? … Fassen wir den festen Vorsatz, diese Übung nie aufzugeben. Alle Meister des geistlichen Lebens empfehlen das. Es verleiht unserem Leben großen Ernst und Sammlung und lässt uns leben in Gemeinschaft mit den Toten.
Die Pflichten der Genossenschaft gegen die Kirche und den Hl. Vater
Wir erklären feierlich unentwegte Anhänglichkeit an die hl. Kirche und unseren Hl. Vater. Wenn Rom die Kongregationen approbiert und sie der ordentlichen Jurisdiktion entzieht, dann will es ihnen ein einziges Band geben und sie in besonderer Weise mit Hilfe von stärkeren und allgemeineren Banden an den Papst binden. Unsere Einheit mit dem Papst ist nicht eine Einheit des Willens, sondern vor allem eine solche des Herzens, eine Familieneinheit. Die Art und Weise, wie man uns in Rom behandelt, bezeugt eindeutig, dass man uns als zur Familie gehörig betrachtet. Jeder von uns sollte sich von dieser großen Wahrheit tief durchdringen. Schleißen wir uns eng an die hl. Kirche an. An ihr Dogma: das ist selbstverständlich. Gehen wir aber noch viel weiter: fühlen wir allezeit mit der Kirche, mit dem Hl. Vater.
Der Hl. Vater wünscht keine Gruppierungen und Schattierungen unter den Katholiken. Gewisse Geister haben Samen der Trennung und Spaltung gesät, indem sie die Katholiken in mehr freisinnige Liberale und mehr konservative Ultramontane eingeteilt haben. Auf Befehl des Hl. Vaters sind diese Einteilungen verschwunden. Die Liberalen sind Ultramontane geworden und umgekehrt, indem die konservativen Ultramontanen großmütig die Nächstenliebe geübt haben. So gibt es jetzt nur noch eine Herde und einen Hirten. Wenn sich eine dogmatische Entzweiung zeigt, schauen wir doch auf den Stern wie der Seemann auf den Polarstern, um den sich alle übrigen Sterne drehen scheinen. Die Meinung des Hl. Vaters und der Kirche sollte immer unser Mittelpunkt sein, unser Bereich, worin wir uns in aller Güte und Liebe drehen wollen nach Art unseres seligen Vaters. Er erzeigte immer jedermann Güte, vorrangig jenen, die der Hilfe und Stärkung im Glauben bedurften.
Pfarrer G., der Direktor des Waisenhauses von D., war die letzten Tage hier und sagte mir, es scheine ihm, der hl. Franz v. Sales und die Oblaten seien nicht „Nägel“, sondern „Schraubmuttern“: Ein Nagel dringe nämlich ins Holz auf Grund von Hammerschlägen und mit lautem Getöse ein und bringe manchmal das Brett zum Springen. Die Schraube dagegen dringt unmerklich ein und sitzt fester als der Nagel. Sie löse sich nicht mehr und falle nicht heraus. Lehnen und schmiegen wir uns darum eng an die Kirche an, ohne Lärm zu machen, wie ein Nagel, sondern mit der unwiderstehlichen Kraft einer Schraube.
Die Satzungen empfehlen uns dann, mit besonderer Sorgfalt die Beachtung der Kirchengebote betreffs Buße und Abstinenz zu predigen und zu unterrichten. Diesen Geist heißt es sich wohl zu Eigen zu machen. Denn nicht ohne eine Eingebung Gottes wurde dieser Artikel in unsere Satzungen aufgenommen. Es ist gesagt worden, wenn unsere Regel schon so gütig ist und wir nicht wie die anderen Orden schwere Bußübungen auf uns nehmen können, müssen wir wenigstens die anderen anhalten, die von der Kirche vorgeschriebenen Abtötungen, die heute so vernachlässigt werden, zu üben. Die Fastenzeit geht heutzutage fast unbeachtet vorbei. Unser Hl. Vater erinnert aber in seinen Rundschreiben an die Notwendigkeit, Buße und Abtötung zu üben. Übernehmen wir darum in diesem Punkt ganz den Standpunkt der hl. Kirche. Beginnen wir damit, erst selber Männer der Buße zu werden. Die Wirkung wird nicht auf sich warten lassen. Die Gnaden werden in überfließendem Maße über uns kommen und unsere Werke befruchten und heiligen.
Die Buße bewahrt die Seele und rettet sie vom Bösen, wirkt Wunder für uns wie für die anderen, Wunder der Bekehrung und Rückkehr zu Gott. Geben wir in unseren Beziehungen zur Außenwelt jederzeit das Beispiel der Abtötung. Das tun wir nicht, weil wir glänzen wollen, aber wir tun es trotzdem. In unserer Haltung in der Kirche, während der Danksagung nach der hl. Messe im Besonderen wollen wir uns selbstbeherrschend halten, uns nicht aufstützen, die Beine nicht kreuzen, und in einer bescheidenen und gesammelten Haltung verharren. Die Welt liebt es im Allgemeinen, es sich gemütlich zu machen. Hüten wir uns davor, wahren wir die Vorschriften der alten, früheren Höflichkeit, und tun wir es aus dem Geist der Abtötung heraus.
Ist irgendwo ein kleiner Zwang damit verbunden, überlassen wir das nicht den anderen, sondern tun wir es selbst. Nehmen wir die Überwindung an, die Armut, die Einfachheit in unseren Möbeln, Kleidern, in allem. Gebrauchen wir Dinge, wie mittelmäßig begüterte Menschen, wie Arbeiter sie gebrauchen. Wenn wir so handeln, ahmen wir in uns die Abtötung Christi und seine Art, sich zu geben, nach.
In der Seelenführung lasst uns jene ermutigen, die uns anvertraut sind, dass auch sie auf diesem Weg vorangehen. Was die Welt zugrunde richtet, ist der Sinnenkult. Wir hingegen müssen den Geist der Buße tief in uns eingepflanzt tragen. Seien wir eine „Schraube“ auch hierin. Gehen wir dabei friedlich vor, ohne zu poltern, aber indem wir die Schraube immer fester anziehen.
Man lehrt andere nur in dem Maße, als man es selber vormacht. Töten wir uns darum immer in unseren Blicken, Kleidern und unserer ganzen Seinsart ab. Meiden wir allzu weltliche Geistesblitze und Witze, und tragen wir überall hin die Abtötung unseres Herrn, der immer einfach und allen angenehm war. Lasst uns in dieser hl. Zeit treu den Gedanken an den Tod nehmen und den Gedanken der Abtötung unseres Herrn damit verbinden.
