Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 16.02.1887: Unser Verhalten gegen Fremde.

„Die Arbeit in der Seelsorge nötigt uns, mit der Außenwelt zu verkehren.“
Dieser Gedanke sollte uns ganz erfüllen, vornehmlich dann, wenn wir eine Sendung zu erfüllen haben: dass wir reden und handeln wie unser Herr es getan hätte. Ist die Sendung eine heilige, die sich auf unsterbliche Seelen erstreckt, wie Beichthören und Predigen, so müssen wir diesen Schatz immer mit uns tragen. Das macht nämlich den Ordensmann, seine Kraft und Macht aus, verleiht Gnade seinen Worten und seiner Gegenwart. Wir ahnen gar nicht, welch einen Einfluss ein heiliger Ordensmann auf die treuen Seelen ausübt. Unsere ganze Kraft kommt einzig von unserer inneren Verfassung, unserer Vereinigung mit Gott.

„In weltliche Dinge… mischen wir uns nicht ein.“ Das müssen wir vermeiden. Was nicht ausschließt, dass wir unseren Beichtkindern einen Fingerzeig, eine Auskunft geben. In Heiratsangelegenheiten dagegen sowie in Testamentsfragen lassen wir uns nicht ein und suchen auch nicht zu vermitteln. Wir achten vor allem auf Briefe, die von uns zu diesem Zweck geschrieben werden könnten. Zwingt unser Amt uns dazu, so gehen wir mit äußerster Klugheit vor. Menschen, die wir auf diese Weise zusammengeführt haben, wahren uns nur äußerst selten ein vollkommen gutes Andenken. Bei der kleinsten Schwierigkeit wird der betreffende Pater dafür verantwortlich gemacht. Das geschieht von zehn Fällen neunmal. Testamente sind noch ernster zu nehmen als Heiraten. Bittet man euch darum, lehnt lieber ab, und fragt einen ernsten und gewiegten Pater um Rat. Befragt im Verlauf solcher Dinge den Hausoberen und selbst den Generaloberen. In all diesen Fragen heißt es die strengsten Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Vor allem heißt es sich hier davor zu hüten, Streitigkeiten und Spaltungen in den Familien hervorzurufen und zu unterhalten. Nie darf man die Frau vom Mann und umgekehrt trennen, oder die Kinder von ihren Eltern,  um den eigenen Einfluss zu vermehren und Eingang ins Haus zu gewinnen. Handeln wir stets unter den Augen Gottes, der uns die Nächstenliebe empfiehlt. Das Amt eines Priesters ist ein Friedens- und Versöhnungsdienst. Das sei jederzeit die Sendung der Oblaten des hl. Franz v. Sales. Führen wir immer zusammen statt dass wir auseinanderreißen. Und wenn wir manchmal ein gegenteiliges Beispiel erleben, möge dieses ärgerliche Schauspiel uns eines Besseren belehren und unsere Verpflichtung zum Gegenteil stärken.

„Wichtige Werke darf niemand unternehmen. Doch sich verpflichten, sie zu unterstützen.“
Mit einem wichtigen Werk versteht man die Gründung eines Hauses, die Annahme einer Schenkung, um ein Waisenhaus oder ein ähnliches Werk dieser Art zu gründen. Hier soll man nur nach Anweisung des Oberen handeln und lohnt sich die Sache, wende man sich an den Generaloberen. Weder darf seine eigene Person noch materielle Güter noch seine Kommunität darf man auf diese Weise einsetzen. Nichts darf man hier ohne Erlaubnis tun, da jedermann jederzeit versetzt werden kann, und seine Kompetenzen und sein Amt wechseln können.

„Eine Einladung zum Essen, zu einem Fest oder sonst einer Veranstaltung darf niemand annehmen…“ Hier besteht bereits eine diesbezügliche Gewohnheit, die wir weiter pflegen wollen. Hat man auswärts eine hl. Messe zu lesen, nehmen wir dort keine Mahlzeit oder sonstiges an. Darin liegt eine Gefahr: Schwierigkeiten zwischen Orden und Priestern waren häufig die Folge davon, dass man ein Frühstück nach der hl. Messe eingenommen hat.

„Einen Briefwechsel mit Fremden darf man nur mit Wissen und mit ausdrücklicher Erlaubnis des Oberen unterhalten.“ Handelt es sich um weltliche Dinge, die man in Briefen behandeln will, so versteht sich die Erlaubnis von selbst. Geht es um geistliche Anliegen, soll man ebenfalls den Oberen ins Bild setzen. Die hl. Regel unterscheidet da nicht. Das heißt nicht, der Obere müsse immer die Briefe durchlesen. Aber absenden soll man sie nie ohne Kontrolle, denn mitunter liegt eine große Gefahr in dieser Art von Korrespondenz ohne Kontrolle. Ich habe es zurzeit mit einem traurigen und schmerzlichen Beispiel dieser Art zu tun, vielleicht spreche ich das nächste Mal davon. Wenn wir gewissenhaft diesen Punkt der hl. Regel beobachten, ersparen wir uns äußerst bedauerliche Zwischenfälle.

„Man vermeide sorgfältig, Fremden mitzuteilen, was im Hause vorgeht.“
Setzten wir Außenstehende nicht ins Vertrauen über die innere Verwaltung des Hauses. Selbst unter Nachbarn wird das gute Einvernehmen leicht getrübt, wenn man in solche inneren Einzelheiten eingeht. Was erbauen kann, und zur Gottesliebe anstachelt, darf man natürlich weitersagen, vorausgesetzt, es geschieht mit Klugheit und Diskretion.

„Man bestrebe sich, die Regeln zu befolgen, die der hl. Franz v. Sales für den Verkehr mit Fremden aufgestellt hat.“ Diese „Regeln für den Umgang mit Menschen“, die unser hl. Stifter in Padua geschrieben hat, als er noch ein junger Student war. Sie zeugen damals schon von einer weit über sein Alter hinausgehenden Weisheit. Alles, was er damals niederschrieb, zog er nicht aus seinem eigenen Hirn. Es wurde ihm vom Hl. Geist eingegeben.

„Weist der Obere dem Oblaten einen Mitbruder als Begleiter zu, so muss dieser dem ersten Vortritt und Wort lassen.“ Das muss geschehen, selbst wenn dieser Sozius durch Stellung oder Alter seinem Gefährten überlegen wäre. Die Zeugen eines solchen Verhaltens werden erbaut sein und erkennen, dass sie es mit Ordensleuten zu tun haben.

„Mit Fremden zu verkehren oder auszugehen, darf niemand verlangen, ohne dem Oberen zu sagen, mit wem und aus welchem Grund…“ Würde man anders handeln, gäbe es keine Unterwerfung mehr und unheilvolle Missgriffe würden sich einschleichen und zögen fast unfehlbar denn Ruin des Berufes mit sich. Ich erlebte in meiner langen Erfahrung noch keinen Verlust des Berufes, der nicht davon gekommen wäre. Aus solchen Beziehungen würde sich zwangsläufig ein verlorener oder so geschwächter Beruf ergeben, dass er für den Mitmenschen eine Gelegenheit zum Ärgernis würde.