Kapitelvorträge für die Oblaten 1873-1899

      

Kapitel vom 22.12.1886: Verhalten gegen uns selbst.

„Die Oblaten haben die besondere Aufgabe, Handel und Wandel unseres Herrn auf Erden nachzuahmen.“

Wie es in diesem Artikel vorgeschrieben ist, wollen wir uns „der Freiheit der Blicke“ enthalten. Unsere Beherrschung sei etwas ganz Einfaches, das nicht auffällt. Und nicht etwas Sonderbares. Mitunter begegnet man Menschen von hohem Verdienst, die dieses rechte Maß nicht wahren. Sie verdrehen die Augen und nehmen eine unmögliche Verhaltensweise an. Wir bitten unseren hl. Stifter um seinen bescheidenen, einfachen Blick, der keine verwirrte Seele verrät. Geht ihr durch die Stadt, so meidet die Blicke, die umherschweifen und den Nächsten skandalisieren. Gerade heute, wo die Buchläden so viele ungehörige Dinge ausstellen, mäßigt beim Vorbeigehen eure Augenlust. Der Erzbischof von Paris erzählte gern diesbezüglich etwas Lustiges. Als er noch Weihbischof war, und in den Straßen in Soutane ging, passierte es ihm manchmal, dass er vor den Schaufenstern von Gemäldeläden Geistliche in Betrachtung versunken sah. Der gute Erzbischof zog ihn dann sanft beim Ärmel. Der Delinquent wollte dann in seiner spontanen Reaktion den Anmaßenden in seine Schranken weisen. Wenn er aber erkannte, mit wem er es zu tun hatte, schlich er sich eilends und errötend von dannen.

Wir wollen alle Nachlässigkeit und das Sichgehenlassen in der Haltung und im Gang vermeiden. Wir wollen auch nicht watschelnd und in den Hüften wiegend dahingehen, sondern würdig und einfach. Unser Gang soll das Innere unserer Seele zum Ausdruck bringen, ihre Schlichtheit und Bescheidenheit. Wir halten uns nicht schlecht, krümmen den Rücken nicht und übertreiben nach keiner Seite.

In der Kirche zeigen wir besondere Würde. Wenn wir knien, schlagen wir die Füße nicht übereinander, stützen uns auch nicht auf die Bank, sondern legen lediglich die Hände auf. Die Gläubigen merken diese einfache und abgetötete Haltung sehr wohl und sind darüber höchst erbaut.

Denken wir in der Kirche daran, dass wir unter den Augen Gottes sind. Durch diese kleinen Praktiken hat unser hl. Stifter sich geheiligt. Nehmen wir auch keine allzu abgetötete Haltung ein, die nur unnatürlich wirken würde. Wir meiden ja alles Gekünstelte. Den Kapuzinern erlaubt man Haltungen und Gesten, die etwas freier sind. Zu ihnen passt das ausgezeichnet, nicht aber für uns. Nichts Steifes und Gezwungenes also, alles beweise Ordnung und Schicklichkeit. Wir wollen ja nicht die Blicke auf uns ziehen, und die Augen der anderen durch was immer für eine Komik nicht beleidigen.

Beim Gehen wollen wir auch nicht die Absätze wie ein Soldat zum Klappern bringen, sondern gehen einfach und ungezwungen dahin und meiden die Allüren eines Menschen, dem alles egal ist.

Seien wir ebenso schlicht in unseren Worten, aber immer schicklich. Unsere Kleider sollen immer sauber sein, wir vermeiden da alle Nachlässigkeit. Das würde eine Beleidigung darstellen. Der hl. Augustinus sagt, Reinlichkeit und Ordnungsliebe seien die äußeren Tugenden des Priesters, und infolgedessen auch des Ordensmannes. Über die Form der Soutane ist nichts zu sagen, weil sie festliegt und wir nur tragen, was man uns gibt.

Tragen wir Sorge für Kleidung und Mobiliar. Wir wollen, was uns zum Gebrauch dient, nicht verderben lassen. Aus Liebe zur hl. Armut wollen wir es möglichst lange erhalten. Das legt uns sicher etwas Einschränkung auf, entspricht aber ganz dem Geist der Armut. Beim Essen lassen wir uns nicht von der Gaumenlust leiten und vergessen die Abtötung bei den Mahlzeiten nicht, negativ, indem wir weniger vom Leckeren essen, positiv, indem wir von dem mehr essen, was uns weniger schmeckt.

Früher erzog man in der Familie die Kinder zu solchen Selbstüberwindungen. Das gleiche tat man auch in den Priesterseminarien. Selbst an der Tafel des Kardinals Gousset geschah das. Denn da gab es immer etwas Schlechtes. Manchmal wurde dort sicher Wein aus der Champagne serviert. Der Kardinal machte das auf eine ganz und gar priesterliche Art. Tun wir immer etwas Wasser in unseren Wein. Wenn ihr natürlich bei einem guten Pfarrer oder sonst einem eingeladen seid, der betrübt wäre, wenn ihr seinen guten Wein mit Wasser versetzt, dann verzichtet darauf. Bei anderen Gelegenheiten könnt ihr es dafür ungenierter tun. Dispensiert euch davon nur aus Gründen der Nächstenliebe und der Schicklichkeit. Tötet euch in diesem Fall ab, indem ihr davon weniger nehmt. Diese kleinen Praktiken binden uns, machen uns demütig und ziehen unseren Herrn in uns hinein.

Seid beherrscht in euren Gedanken und lasst sie nicht auf weltliche und frivole Dinge abgleiten. Gewiss sind wir nach des Tages intensivem Studium müde, und immer können wir nicht ernst sein. Man kann durchaus ein bisschen entspannen, einige Minuten lang. Erwecken wir dann aber wieder unsere Gute Meinung und verlassen wir unser Direktorium nicht. Da wir uns erholen wollen, tun wir es mit Erlaubnis unseres Herrn und in seiner Gegenwart.

Beschäftigen wir unseren Geist nicht mit allen möglichen Vorstellungen, Plänen, unnützen und billigen Dingen und leichtfertigen Unterhaltungen. Gerade in solchen Augenblicken unterhalten wir uns lieber mit Gott! Diese Gewohnheit, mit Gott zu sprechen, bringt uns viel Trost ein. Wir wissen es von der Guten Mutter. Vornehmlich wir Oblatenpriester stehen ja unablässig im Einsatz der Seelsorge. Wo wollen wir denn finden, was wir weitergeben? In unserer eigenen Vorratskiste? Die ist nicht sehr reich bestückt. Wir finden es in Gott. Vergessen wir es nicht: der Zwang, den uns diese kleinen Übungen auflegen, ist ein Teil unserer Regelabtötung. Dieser Zwang ersetzt die Fasten und Abtötungen der anderen strengeren Orden. Gott reicht uns unser Kreuz in kleinen Teilchen, und wir wollen uns heiligen, indem wir jedes Stückchen sorgsam auflesen.

Wir werden völlig unnütz sein, wenn wir hierin nachlässig werden. Und wenn wir einen Wert darstellen, dann nur dadurch. Ohne das stehen wir tief unter allem und allen, da allen anderen Orden etwas ihnen Eigenes vorweisen können, während uns nichts anderes bleibt. Diese Wahrheit heißt es beherzigen und in die Tat umsetzen, nicht nur für einen Tag und für eine Woche, sondern für die Dauer unseres Lebens.

Bitten wir unseren Herrn, die Gute Mutter darum. Bitten wir das Jesuskind, uns die Früchte seines Kommens auf die Erde mitzuteilen. Feiern wir das schöne Fest der hl. Nacht, indem wir dieses Kapitel unserer Satzungen ganz ernst nehmen.

Möge uns Christus den Frieden, die Freude und die Wohltaten seiner Geburt mitteilen. Die großen Feste der hl. Kirche sind ja nicht nur geschichtliche Erinnerungen, sondern Wiederaufleben und Erneuern der Gnade, Anwendung der Verdienste der Erlösung. Weihnachten, das ist der Erlöser, der in uns eingeht, in unser Herz kommt. Bei ihm finden wir das Licht, das Leben, die Kraft, um voranzuschreiten. Beten wir füreinander.